Wie Insekten-Larven Bioraffinerien nachhaltiger machen sollen

Um Erdölprodukte zu ersetzen, forscht ein Fraunhofer-Projekt an der Verwendung von Soldatenfliegenlarven. Aus ihnen lassen sich Fette und Proteine gewinnen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 4 Kommentare lesen

Die Häute der Larven enthalten Chitin, das in dem Fraunhofer-Projekt InBiRa extrahiert und in Chitosan etwa für die Textilindustrie umgewandelt wird.

(Bild: © Fraunhofer IGB)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Bettina Wurche
Inhaltsverzeichnis

(This article is also available in English)

Die "Schwarze Soldatenfliege" ist unter den Insekten ein heimlicher Star. Genauer gesagt: ihre Larven. Sie wachsen schnell und sind anspruchslos beim Futter. Beste Voraussetzungen also, um in Insektenfarmen Biomüll in wertvolle Produkte zu verwandeln. "Gegenüber anderen Insekten sind Soldatenfliegen oft genügsamer, sie begnügen sich mit organischen Reststoffen und gedeihen unter verschiedenen Umweltbedingungen“, erklärt Susanne Zibek vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) in Stuttgart. Sie leitet das Projekt InBiRa (Insekten-Bioraffinerie) und will mit einem interdisziplinären Team und Projektpartnern zeigen, dass die Soldatenfliegen-Larven ein noch wesentlich größeres Potenzial für die chemische Industrie haben.

Könnte die gefräßige Larve zum Ersatz für Erdölprodukte oder tropische Fette wie Palmkern- und Kokosöl "Made in Germany" werden?

Bioraffinerien sind komplexe Anlagen und arbeiten im industriellen Maßstab. Im Gegensatz zu anderen Raffinerien, die meist petrochemische Produkte verarbeiten, setzen die Bioanlagen auf Produkte aus nachwachsenden, organischen Rohstoffen. Bisher verwendeten Bioraffinerien etwa Zucker, Stärke, Pflanzenreste wie Grassilage, Pilze oder Mikroorganismen als Basis. InBiRa nimmt erstmals Insektenlarven in den Blick, die mit Reststoffen aus der Region gefüttert werden. Da bislang in Insektenfarmen oft speziell gefertigte Insektennahrung verfüttert wird, wäre dies ein wichtiger Schritt in eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft. Aus dem Reststoffstrom produzieren die fleißigen Fliegenlarven vier Stoffströme: Fette, Proteine, Chitin und Reststoffe wie Kot. Aus diesen vier Fraktionen entstehen in der Bioraffinerie Produkte für die industrielle Weiterverarbeitung, vor allem für die chemische Industrie, die dann daraus Endprodukte des alltäglichen Verbrauchs fabriziert – vom Kraftstoff bis zum Haarshampoo.

Eine Puppenhülle der Soldatenfliegenlarve.

(Bild: © Fraunhofer IGB)

Eine Soldatenfliegenmutter legt bis zu 500 Eier ab, aus denen schnell die Larven schlüpfen. Der Insektennachwuchs kann innerhalb von nur zehn Tagen organische Reststoffe in Fette und Proteine upcyceln. Im nächsten Schritt werden sie zu Larventrockenmasse verarbeitet und dann in ihre Bestandteile aufgesplittet. "Fraktioniert", wie Ingenieurin Zibek sagt. Die Trockenmasse besteht zu fast jeweils 50 Prozent aus Proteinen und Fetten. Konkretere Angaben zum Verhältnis von Futter, Menge an Larven und Ertrag gibt es noch nicht. Zum Vergleich: Ein anderes Forscherteam um Hui Wang von der Wuhan-University kam 2017 zu dem Ergebnis, dass Mehlwürmer und Soldatenfliegenlarven ihr Maisstroh-Futter zu über 50 Prozent in Insektenbiomasse umsetzten. 8,5 Gramm Larvenbiomasse lieferte 1,95 Gramm Rohfett zur Produktion von 1,76 Gramm Biodiesel, 6,55 Gramm Protein und 111,59 Gramm Biodünger."

Seit Zibek vor zwölf Jahren erstmals die Soldatenfliegen-Lipide analysierte und die Ähnlichkeit ihrer Fettsäuren-Zusammensetzung mit Kokos- und Palmkernöl erkannte, hat das Thema sie nicht mehr losgelassen. Fettsäuren haben als strukturelles Gerüst eine Kette von Kohlenstoffatomen, die sogenannte Kohlenstoffkette.

Die Länge dieser Kette ist entscheidend für die chemischen und physikalischen Eigenschaften eines Stoffes, wie etwa den Schmelzpunkt. Insektenfett ähnelt mit seinem hohen Anteil an Fettsäuren mit mittlerer Kettenlänge – wie etwa der in größeren Mengen vorkommenden Laurinsäure mir einer Kettenlänge von C12 – den tropischen Pflanzenfetten wie Kokosfett und Palmkernöl. Einheimische Fette wie Raps- oder Sonnenblumenöl hingegen haben mehr längerkettige Fettsäuren, wie etwa C18.

Die deutsche Oleochemie benötigt für die nachgefragten Produkte aber viele mittelkettige Lipide und importiert daher große Mengen tropischer Fette und Öle. Mit Insektenfetten aus heimischer Produktion könnte man unabhängiger von Importen werden. Die derzeitigen Lieferketten-Probleme in vielen Branchen haben gezeigt, dass die Etablierung einer einheimischen Produktion solcher industriell wichtigen Rohstoffe sinnvoll sein könnte.

Einer der InBiRa-Schwerpunkte sind auf Fetten basierenden Biotenside, die in Reinigungsmitteln als waschaktive Substanzen und in Kosmetika als Emulgatoren wirken. Insektenfette wären nachhaltigere Alternativen zu den modernen Tensiden aus Erdölprodukten und tropischen Fetten. Da sowohl petrochemische Substanzen als auch tropische Produkte, für die oft Regenwälder abgeholzt werden, klimaschädigend und ökologisch bedenklich sind, werden nachhaltigere Alternativen dringend gesucht. Tenside aus regional produziertem Insektenfett würden an die Zeit vor der Petrochemie und tropischen Rohstoff-Importen anknüpfen, schließlich wurden Seifen einst aus Tierknochen und -fetten hergestellten. Neben Biotensiden sind Bio-Kraftstoffe und industrielle Schmierstoffe weitere wichtige Anwendungsgebiete der Biofette.

Der erste Schritt im InBiRa-Projekt ist zunächst die weitere Erforschung, wie sich die wechselhaft zusammengesetzte Nahrung auf Wachstum und die chemische Zusammensetzung der Insektenfette auswirkt, so Susanne Zibek. Schließlich ändert sich die Zusammensetzung der Reste aus dem Lebensmittel- und Gastronomiebereich, aus Biotonnen und anderen Quellen täglich. Die ebenfalls wertvollen Proteine der Insekten werden in anderen Projekten etwa als Grundlage für Folien und Beschichtungen erprobt.

Nach der Häutung der Larven bleiben Insektenhäute als Reststoff.

(Bild: © Fraunhofer IGB)

Ein weiterer Projektschwerpunkt liegt in der Nutzung der Chitin-Häute der Larven und erwachsenen toten Fliegen. Aus dem Chitin lässt sich in mehreren Prozesschritten das Biopolymer Chitosan für die Textilindustrie gewinnen. Da Chitosan auch antibakteriell wirkt, ist es außerdem für den medizinischen Bereich interessant und als dünner Film für neuartige Verpackungen von Obst und Gemüse geeignet.

"Am Ende des Projekts wünsche ich mir, dass wir nach der Pilotanlage kleine Industrieanlagen aufbauen und unsere Technologien aus dem InBiRa-Projekt gemeinsam mit den Verbundpartnern verwerten können", so Zibek.

Mehr über Insekten

(jle)