Japan treibt die Kommerzialisierung der Gezeitenkraft voran

Auf der Suche nach Alternativen für Öl, Gas und Kohle enttäuschte Gezeitenkraft bisher die Hoffnungen. In Japan gibt es neue Lebenszeichen.

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Wattenmeer

Die Kraft von Ebbe und Flut wollen auch Projekte in Japan nutzen: für Gezeitenkraftwerke.

(Bild: Rudmer Zwerver / Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Martin Kölling

Die südjapanische Inselgemeinde Goto entwickelt sich zum Freilandlabor für neue Technologien. Der deutsche Drohnenhersteller Wingcopter testete dort zusammen mit der Fluglinie ANA bereits Lieferverkehr zwischen den kleinen Eilanden westlich der Stadt Nagasaki. Nun wird der Meeresgrund zum Prüfstand für einen alten Hoffnungsträger erneuerbarer Energien, der bisher die Erwartungen enttäuscht hat: die Gezeitenkraft.

Der lokale Energieversorger Kyushu Electric Power (Kyuden) wird zwischen den Inseln Hisaka und Naru einen Ein-Megawatt-Gezeitenstromgenerator in 40 Metern Tiefe verankern, die ab 2024 für ein Jahr getestet werden soll. Nach einem vorhergehenden Test einer kleineren Anlage macht Kyuden damit einen großen Schritt in Richtung einer Kommerzialisierung von Gezeitenkraft.

Die Demonstration ist ein wichtiger Teil des im Januar beschlossenen Projekts des Umweltministeriums, nun nach der Erforschung auch die Kommerzialisierung von Gezeitenkraftwerken zu fördern. Denn in den Meeren um das ostasiatische Inselreich ließen sich laut Japans staatlicher Organisation für neue Energie- und Industrietechnologien (Nedo) 82.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr produzieren.

Dies entspricht zwar nur etwa zehn Prozent der bisherigen Stromerzeugung. Aber für die Industrienation, die ihre fossilen Brennstoffe zu nahezu 100 Prozent importieren muss, ist dies ein interessanter Energieträger. Doch schon das Projekt von Kyuden zeigt, wie schwierig sich die Ernte des maritimen Potenzials gestaltet.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Großprojekte wie das südkoreanische Sihwa-Gezeitenkraftwerk benötigen gigantische Deichanlagen, wenn sie die Kraft von Ebbe und Flut nutzen wollen. Und kleinere Anlagen am Meeresgrund oder im Wasser müssen nicht nur besonders gut gegen Korrosion geschützt werden, da sie im Salzwasser arbeiten. Sie waren auch lange schwer zu warten, und den Japanern bisher zu klein für kommerzielle Großanlagen.

Bereits 2019 versenkte Kyuden eine erste Turbine des britischen Herstellers Simec Atlantis Energy, der das MeyGen-Gezeitenkraftwerk vor Schottland betreibt. Aber es handelte sich nur um eine 500-kW-Turbine mit 16 Meter großen Rotoren. Der Durchmesser des Propellers der neuen Turbine, die nun für die Bedingungen in Goto entwickelt wird, soll 18 bis 20 Meter betragen.

Das ist noch nicht das größte Modell, das Simec Atlantis Energy in Planung hat. Seit 2018 entwickelt das Unternehmen mit dem amerikanischen Technikkonzern GE das Modell AR2000, das Rotorblätter mit 10 bis 12 Meter Länge (Durchmesser entsprechend 20 bis 24 Meter) tragen kann. Bei einer Strömung von 3,05 Metern pro Sekunden soll die Turbine eine Leistung von zwei Megawatt haben.

Doch auch andere Technologien werden in Japan erprobt. Die Großreederei Mitsui OSK Lines (MOL), die auch ein Partner im Kyuden-Projekt ist, sticht dabei mit zwei eigenen Projekten besonders hervor.

Erstens will der Konzern ein Wellenkraftwerk des britischen Start-ups Bombora importieren, an dem MOL beteiligt ist. Dabei handelt es sich um mit Luft gefüllte Zellen, aus denen Wellen die Luft in eine Wartekammer drücken und dabei kleine Turbinen bewegen. MOL plant nun einen Test für ein 1,5-Megawatt-Kraftwerk.

Zweitens ist MOL an einem Projekt auf der subtropischen japanischen Insel Okinawa beteiligt, das Wärmeunterschiede im Ozean zur Energiegewinnung nutzt. Bei dem Projekt wird mit warmem Oberflächenwasser Flüssigkeit verdampft, die als Gas eine Turbine antreibt, und dann mit kaltem Tiefenwasser wieder abkühlt wird. Der so erzeugte Strom soll 20 Yen (15 Cent) pro Kilowattstunde kosten, was immer noch billiger ist als Strom aus Dieselgeneratoren, die oft auf entlegenen japanischen Inseln Elektrizität erzeugen.

Global Energy Harvest, ein Start-up der japanischen Keio-Universität, will Inseln weitaus billiger mit Wellenkraftwerken versorgen. Dieses Jahr soll eine Art schwimmender Tank demonstriert werden, in dem Süßwasser durch die Salzwasserwellen in Bewegung gesetzt wird und eine Turbine antreibt.

Die Initiatoren wollen so den Preis pro Kilowattstunde auf acht bis neun Yen drücken. Vor der Insel Kume in der Nähe von Okinawa soll nun in einem Test geklärt werden, wie taifunfest, zuverlässig und umweltfreundlich die Technik ist. Geht alles nach Plan, könnte das Wellenkraftwerk bereits ab 2023 Strom verkaufen. Dies wäre dann wirklich ein attraktiver Preis.

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