"Jeden Tag neue Ergebnisse"
Gerd Binnig und Heinrich Rohrer, die Erfinder des Rastertunnelmikroskops, im TR-Interview über Innovation, den Stand der Nanotechnik, Assembler und die Freiheit der Grundlagenforschung.
Die Geschichte beginnt mit einem Misserfolg: Als Gerd Binnig und Heinrich Rohrer 1981 die ersten Messungen mit ihrem frisch erfundenen Rastertunnelmikroskop bei einer renommierten wissenschaftlichen Zeitschrift eingereicht hatten, wurde der Aufsatz zurückgewiesen.
Gerade mal fünf Jahre später wurden die beiden für ihre Entwicklung mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet. Denn das Instrument ermöglichte nicht nur erstmals Abbildungen mit atomarer Auflösung, sondern öffnete den Weg für das Rasterkraftmikroskop, mit dem Don Eigler nur wenige Jahre später erstmals einzelne Atome gezielt manipulieren konnte. 25 Jahre nach der Erfindung des Rastertunnelmikroskops feiern rund 1400 Wissenschaftler auf der Fachtagung ICNT (International Conference on Nanoscience and Technology) die ungeheure Dynamik ihres Fachgebietes – und natürlich die Gründerväter Binnig und Rohrer. Gerd Binnig arbeitet heute mit seinem Spin-Off an einem Computersystem zur Erfassung von Bildinhalten. Heinrich Rohrer ist mittlerweile im Ruhestand. TR sprach mit den beiden über Innovation, den Stand der Nano-Technologie, Drexlers Assembler und die Freiheit der Grundlagenforschung.
TR: Herr Binnig, Sie haben vor drei Jahren angekündigt, ein Buch über Innovation schreiben zu wollen. Ist das mittlerweile fertig?
Gerd Binnig: Ich trage das immer mit mir rum – sozusagen als verkörpertes schlechtes Gewissen. Ich habe ja angefangen und schon einiges daran getan, aber ich komme momentan nicht dazu, weil ich einfach so viel um die Ohren habe. Aber das Buch wird kommen – es dauert vielleicht noch ein oder zwei Jahre aber ich habe das fest im Plan.
TR: Also nicht so eine fortlaufende Geschichte wie bei Donald Knuths "The Art of Programming"?
Binnig: Das kann man in dem Fall, glaube ich, nicht sagen, weil mir das ein echtes Anliegen ist, das zu schreiben. Die Erfahrungen, ein Unternehmen zu gründen, in ein völlig neues Gebiet reinzugehen – ich glaube, es lohnt sich, das aufzuschreiben.
TR: Was waren denn die wichtigsten Erfahrungen?
Binnig: Für mich ist das ein Unterschied wie Tag und Nacht, in der Business-Welt zu arbeiten oder in einer wissenschaftlichen Gemeinschaft.
In der Business-Welt ist das noch mehr wie im Dschungel. Das ist ein viel härteres Leben. Die Wissenschaftler gehen vor allen Dingen in unserem Bereich der Nano-Technologie konstruktiv miteinander um. In der Business-Welt spielen Power Games dagegen eine große Rolle. Ich will nicht sagen, dass es das in der Wissenschaft nicht gibt, aber im Vergleich zur Business-Welt ist das vernachlässigbar. Und auf diese Machtspielchen muss man vorbereitet sein, weil es auf diese Weise passieren kann, dass gute Ideen eben nicht in Produkte umgesetzt werden. Und dabei kann es auch passieren, dass ein Patent in der Versenkung verschwindet. Das ist uns auch passiert.
Wir haben ein paar Patente auf dem Gebiet des mobilen Internets gemacht – wie Autos miteinander kommunizieren. Und die Autoindustrie hat gesehen, das ist eine kleine Firma, mit der können wir machen, was wir wollen – und hat uns am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Die wissen natürlich genau, wie der Betrieb tickt; dass Patente natürlich nur eine gewisse Laufzeit haben. In der Wissenschaft gibt es dagegen eine viel kultiviertere Art, miteinander umzugehen.
TR: Vor 25 Jahren galt das IBM-Labor in Rüschlikon, in dem Sie beide damals gearbeitet haben, noch als eine Art Insel der Seligen für Wissenschaftler. Heute wird, auch bei IBM, diese Freiheit immer mehr eingeschränkt. Wie beurteilen Sie diese Tendenz, Forschung immer mehr an Produkten auszurichten?
Binnig: Dass Forschung nicht frei wäre, kann man ja so nicht sagen. Es kommt immer darauf an, an welchen Orten sie freier ist. Und die Tendenz in der Industrie, weniger Freiheit zu geben, betrifft ja nicht nur die IBM. Bell Labs hat das Monopol verloren und damit ist fast gleichzeitig die ganze freie Forschung eingeschränkt worden. Und bei IBM hat sich das nur noch mal wiederholt. Aber es gibt immer noch einen sehr sehr guten Geist in Rüschlikon – der beste, den ich kenne.
Heinrich Rohrer: Das ist eigentlich das Tragische. Wie Sie gesagt haben, wurde die Freiheit in den Industrielabors eingeschränkt – die wird aber auch in den Universitäten eingeschränkt. Die Universitäten stehen immer mehr unter Druck, ihr Geld durch Programme zu bekommen, die eindeutig auf industrielle Entwicklungen hinzielen.
Binnig: Aber wenn man sich die gesamte historische Entwicklung ansieht, dann gab es auch früher schon nur ganz ganz wenige Leute, die wirklich frei forschen konnten.
Rohrer: Stimmt. Der Newton musste kein Proposal schreiben, oder?
Binnig: Dann gab es im letzten Jahrhundert mit der industriellen Revolution immer mehr Grundlagenforschung. Und dann ist das so eine große Masse geworden, dass man das vielleicht wieder ein wenig korrigieren muss. Und es gibt heute immer noch eine Menge Leute, die ihren Gedanken völlig frei nachhängen können, obwohl ich völlig eingebunden bin in diese kleine Firma.
TR: Aber kommen wir doch zum Thema Nano-Technologie. Ich war erstaunt, hier auf der Tagung zu lernen, dass immer noch darüber diskutiert wird, ob beispielsweise ein Bucky Ball, wenn man ihn mit einer Spitze anstößt, wirklich rollt.
Binnig: Ich dachte, er rollt nicht.
Heinrich Rohrer: Also, das kommt auf die Temperatur an. So viel ich weiß, funktionieren Bucky Balls nicht sehr gut als Lagerkugeln. Da gibt es viel bessere Sachen, um zwei Ebenen übereinandergleiten zu lassen.
Binnig: Das ist sowieso ein Problem in dieser Nano-Welt, dass ja zwei Flächen oft aneinanderkleben. In der Makrowelt spielt die Gravitation eine wichtige Rolle, die uns am Boden hält, aber da ist es hauptsächlich die elektrostatische oder Van-der-Waals-Anziehung, die Nano-Partikel sehr stark aneinanderkleben lässt.
TR: Aber an diesem Beispiel kann man doch sehen, dass 25 Jahre nach der Erfindung des Rastertunnelmikroskops viele Grundlagen noch immer nicht klar zu sein scheinen. Ist dieser Eindruck richtig?
Binnig: Wir kriegen eigentlich jeden Tag neue Ergebnisse. Wir sind jetzt in einer Phase, in der man mehr und mehr Systeme versteht.
Sie haben natürlich schon recht, insofern, als dass man jetzt oft fragt, wie ist das nun eigentlich. Aber es ist auch so, dass man diese Fragen nicht beantworten kann, aber ein Jahr später – bei der nächsten Konferenz – sind die Probleme gelöst. Wenn also heute – ich kannte diese Diskussion gar nicht – unklar ist, ob die Bucky Balls rollen, dann garantiere ich Ihnen, dass das Problem nächstes Jahr gelöst ist.
TR: Ein Stichwort, das hier auf der Konferenz recht oft zu hören war, ist Nano-Mechanik. Das klingt ein wenig wie die Idee von den phantastischen Nano-Maschinen, die besonders in der Anfangsphase der Nano-Wissenschaften viel verbreitet worden ist. Bleibt das reine Science Fiction, oder sind diese phantastischen Nano-Maschinen wirklich möglich?
Rohrer: Das, würde ich sagen, hängt jetzt wieder davon ab, was Sie unter Mechanik verstehen. Wenn in einem Molekül ein Atom die Position wechselt, dann ist das Mechanik. Aber das ist eine andere Mechanik, als die, die wir uns hier draußen mit Autos vorstellen.
Binnig: Wenn das Atom die Position wechselt, haben wir auch gleich ganz andere elektronische Zustände. Wenn man da einen Strom durchfließen lassen würde, dann würde der anders fließen als vorher. Also man kann Elektronik und Mechanik gar nicht mehr voneinander trennen. Wenn ich etwas verschiebe, verschiebe ich ja die Elektronik mit.
Rohrer: Die mechanischen Eigenschaften von Stahl beispielsweise sind ja durch die Elektronik bestimmt. Das gibt die Festigkeit des Materials.
TR: Das heißt, diese phantastischen Maschinen, die Drexler beispielsweise beschrieben hat – Nano-Roboter und winzig kleine Carrier, die von winzigen Motoren getrieben werden – sind keine Science Fiction?
Rohrer: Das gibt es teilweise heute schon. Es gibt ein Molekül aus einem Bakterium, das dreht. Und ein paar dieser Moleküle bewegen einen anderen Körper.
Binnig: Was der Drexler gemacht hat, war ja, die Prinzipien der Natur zu nehmen, und auf das Künstliche zu übertragen.
TR: Aber es gibt Leute die sagen, mit Metall und Silizium wäre das nicht möglich, was in der Natur passiert mit Kohlenstoff und Wasserstoff – in wässriger Lösung.
Rohrer: Das ist richtig, aber mit dem zusammen können wir etwas Neues machen, was die Natur nicht kann, weil sie das nicht kombiniert. Die Natur hat keine elektronischen Schaltkreise entwickelt – obwohl die nur aus Silizium bestehen. Und da spielen wir wieder eine Rolle. Man kann sich von den komlexen Lösungsmöglichkeiten der Natur inspirieren lassen. Es ist Inspirieren, nicht Kopieren. Viele Leute wollen etwas kopieren, aber wenn man sich inspirieren lässt kann man wiederum etwas machen, das die Natur nicht kann. Aber Drexler hat keinen einzigen Weg gezeigt, wie man so etwas machen kann.
Binnig: Das habe ich beim Drexler auch etwas vermisst. Sein Ansatz war eigentlich das Kopieren. Das erinnert mich an die Zeit, als das Auto erfunden wurde. Da waren die ersten Vorstellungen auch noch, da müssten Beine dran sein wie bei einem Pferd. Also so wird es nicht kommen. Ein Flugzeug fliegt ja auch nicht, indem es seine Flügel kopiert. Aber wenn der Mensch das dann noch mal künstlich nachbaut, kommt etwas völlig Anderes dabei heraus. Und das wissen wir heute noch nicht, was das sein wird.
TR: Sie haben gesagt, jetzt verstehe man ein System nach dem anderen. Aber kann man denn überhaupt noch unterscheiden zwischen dem Einfluss des Messinstruments und dem Verhalten des zu messenden Systems?
Binnig: Man kann natürlich den Einfluss untersuchen. Man kann die Größe der Kopplung untersuchen, indem man unterschiedlich nah drangeht. Das sollte man natürlich bei jeder Untersuchung mit einbeziehen
Rohrer: Und das ist ja eigentlich genau das, was auch der Don Eigler gemacht hat. Der ist relativ nahe rangegangen und konnte die Atome bewegen. Dann ist er weiter weg und konnte die Atome abbilden. Das konnte er hundertmal machen, oder – und das Atom hat sich nicht mehr bewegt.
Binnig: Aber es kann natürlich bei der Abbildung schon sein, dass das Atom etwas höher erscheint, als es ist, weil es sich der Spitze bei der Abbildung etwas nähert. Man kann dann den Abstand variieren und schauen, misst man dann eine andere Höhe – und erst wenn man keine Abhängigkeit des Ergebnisses von der Beobachtungshöhe feststellt, dann weiß man, die Spitze hat eigentlich keinen Einfluss mehr. Man muss sich dann schon Einiges überlegen.
TR: Nun gibt es hier auf der Konferenz einen relativ großen Optimismus, was die Möglichkeiten der Nano-Technologie angeht, aber in der öffentlichen Wahrnehmung ist das nicht so. Da wird Nanotechnologie mehr als Gefahr gesehen. Ist die Furcht möglicherweise übertrieben?
Rohrer: Furcht ist sicherlich übertrieben, aber Vorsicht sicherlich geboten. Ob ich mit einem Messer Brot abschneide oder einem anderen in die Brust stecke – das ist immer noch das gleiche Messer. Bei den Nano-Materialien gibt es sicherlich Gesundheitsgefahren, aber man kann nicht sagen, je kleiner die Partikel, desto gefährlicher sind sie. Die Luft ist ja nicht gefährlich – die brauchen wir sogar. Vielleicht tragen wir irgendwann alle mal einen kleinen Sensor – kleiner als so ein Knopf –, der uns warnt, wenn die Luft eine gefährliche Zusammensetzung hat. Man kann sich, glaube ich, mit der Nano-Technik auch wappnen gegen solche Gefahren.
Es gibt keine absolute Sicherheit. Was in dieser Diskussion meiner Auffassung nach verpasst wurde, ist, die Risiken gegeneinander abzuwägen. Ich würde sagen, die Nanotechnolgie nicht zu betreiben, ist das größere Risiko.
TR: Warum?
Binnig: Weil uns die Nanotechnologie so viele Vorteile bringt. Wir haben uns an die anderen Risiken, denen wir ausgesetzt sind, gewöhnt. Niemand kann sagen, dass es nicht möglich wäre, das die Menschheit von einem einzigen Virus ausgerottet wird. Niemand kann argumentieren, dieses Risiko wäre gleich Null. Aber vielleicht kann die Nanotechnologie das verhindern.
TR: Aber trotzdem haben Sie sich von der Nanotechnologie abgewandt und betreiben jetzt Informatik. Warum? Sehen auch Sie die gerade in den USA oft beschworene Konvergenz Bio, Infotech, Nanotech – das "nächste große Ding"?
Binnig: Ja, das sehe ich genauso. Und ich sehe eher das Manko bei der Informatik. Da war das größte Loch in meinen Augen. Die Nanotechnologie ist auf einem Super-Weg – da ist der richtige Geist. Die richtige Aufbruchsstimmung in der Informatik habe ich dagegen etwas vermisst. Da ist also vielleicht am ehesten was, wo ich einen Beitrag leisten kann. Das ist der globale Aspekt, und der persönliche ist, ich muss auch ab und zu was Neues machen. Ich muss auch mal wieder in den Dschungel, wo nichts beackert ist. Ich kann nicht immer auf der Autobahn fahren.
Rohrer: Das ist nicht nur figurativ. Er fährt lieber schneller auf einer gewöhnlichen Straße. (wst)