Klassenkampf am Gate?

Mit dem so genannten "Clear"-Programm können sich US-Reisende vorab registrieren lassen, um schneller durch Sicherheitskontrollen am Flughafen zu kommen. High-Tech-Innovation oder Datenschutzhorror?

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Von
  • Bryant Urstadt
Inhaltsverzeichnis

Im British Airways-Terminal auf dem New Yorker Flughafen JFK befindet sich eine Einrichtung, in der man eine Art Persilschein für das Reisen in den USA erwerben kann. Das so genannte "Clear Registered Travelers"-Programm ermöglicht es all seinen Mitgliedern, sich schnell durch eigens für sie eingerichtete Sicherheitskontrollen an mehreren wichtigen US-Flughäfen zu bewegen.

Clear hält sich dabei an Gesetze, die die US-Regierung explizit festgelegt hatte: Lassen sich Reisende Vorab mit biometrischen Merkmalen registrieren, dürfen sie flotter durch die Kontrollen. Umgesetzt wird das Programm bereits seit 2005 von Privatfirmen, die Flughäfen dabei helfen soll, die Effizienz bei der Passagierabwicklung zu erhöhen. "Vertrauenswürdige" Reisende sollen dabei "vorsortiert" werden, um die langen Schlangen am Gate zu lichten. Erster Stützpunkt von Clear war der Orlando International Airport in Florida, inzwischen sind vier weitere Flughäfen dem Programm beigetreten. Auf längere Sicht soll es in den ganzen USA gelten.

Clear wird von einem Start-up namens "Verified Identity Pass" betrieben, das vom US-Dauergründer Steven Brill 2003 aus der Taufe gehoben wurde. (Brill hat bereits das Anwaltsmagazin "American Lawyer" und den Gerichtssender "Court TV" gegründet.) Obwohl auch andere Firmen an ähnlichen Projekten arbeiten – darunter auch der iT-Services Gigant Unisys –, ist Clear der erste Anbieter, der heute bereits nutzbar ist. Das Unternehmen unterhält auf "seinen" Flughäfen jeweils eigene Abfertigungsgassen. Die darf man nutzen, wenn man ein Abonnement bei Clear abgeschlossen hat – aktuell kostet das knapp 100 Dollar im Jahr. Mehr als 45.000 Menschen nehmen bereits Teil. Sie tragen eine ID-Karte mit einem Chip, der ihre biometrischen Informationen enthält. Dank Clear soll der Sicherheitscheck so innerhalb von knapp einer Minute erledigt sein.

Das Kundenzentrum des Unternehmens auf dem JFK-Flughafen ist ständig besetzt. Prominent direkt neben dem Haupteingang platziert, wirbt es mit modernen Farben und Designelementen. Beleuchtete Würfel schweben über den Terminals für Registrierung und Verifizierung der Kunden. Menschen in modischen Uniformen helfen dem Besucher. Die Erstregistrierung erfolgt auf einem der vielen Laptops, die Clear bereitstellt, Darauf muss man viele Details eingeben: Sozialversicherungsnummer, Führerscheinnummer, Reisepassnummer, Körpergröße und allerlei mehr.

Dann begibt man sich zum so genannten Verifizierungs-Kiosk, einer Maschine, die aus mehreren Elektronikkomponenten zusammengesetzt ist, die nicht weiter auffällig sind – inklusive eines Touchscreen-Rechners. Dort gibt man seine Kundennummer ein, legt den Pass in einen Dokumentenscanner und den Führerschein in ein Kartenlesegerät. Dann legt man die Hand auf einen Fingerabdruck-Scanner, der alle Finger der Hand gleichzeitig erfasst. Ein kleineres Lesegerät behandelt im Anschluss auch noch jeden Finger einzeln. Dann wird der Finger ausgewählt, dessen Ableseergebnis am konsistenten war. Dieser wird zum tatsächlichen "Schlüssel" im Clear-Programm.

Anschließend kommt das Iris-Erkennungssystem an die Reihe. Ein dünner Einwegspiegel wird dabei so eingestellt, dass er die eigenen Augen reflektiert. Dann muss man den verbalen Anweisungen des Computers folgen, bis man den richtigen Augenabstand eingenommen hat. Dann blickt man entspannt, die Augen werden angepeilt und das Ergebnis gespeichert. Zu guter Letzt blickt man ein letztes Mal in eine Webcam-ähnliche Kamera, die ein Gesamtbild aufnimmt.

Mitglied bei Clear ist man danach allerdings immer noch nicht. Die US-Transportsicherheitsbehörde TSA muss zunächst entscheiden, ob man überhaupt an Clear teilnehmen darf. Dazu werden die Daten des Interessenten eingeschickt, um sie mit einer Datenbank bekannter Terroristen abzugleichen. Auch wird abgeklärt, ob der Antragsteller vorbestraft ist. Sollte alles okay sein, erhält man seine durchsichtige Clear-Chipkarte in zwei bis vier Wochen. Sie enthält alle Daten, die man in der Clear-Filiale angegeben habe.

Neben der Gültigkeit an fünf Flughäfen will das Unternehmen weiter in den öffentlichen Raum hineinwachsen – die Ideen reichen vom schnellen Zutritt zu Bahnhöfen über Stadien bis hin zu Regierungsgebäuden. Überall dort, wo Sicherheit gefragt ist, soll Clear seine Mitglieder ganz nach vorne in die Warteschlange bringen. Sollte das Programm tatsächlich diese Ausmaße annehmen, wäre es das private Äquivalent zu einem US-Personalausweis, den es in dem Land noch immer offiziell nicht gibt. Daraus folgt allerdings auch, dass die Teilnahme bald keineswegs mehr freiwillig wäre: Ohne Clear hieß es dann bald kein Durchkommen mehr. Mit anderen Anbietern will sich das Unternehmen absprechen.

Obwohl die TSA keine eigene Sicherheitstechnologie für solche Registrierungsprogramme vorschreibt, hat Clear ein eigenes Checkpoint-Scanning-System entwickelt, das fortschrittlicher sein soll als das, was derzeit an öffentlichen Sicherheitsschleusen Verwendung findet. Die Technologie könnte dem Unternehmen dabei helfen, schnell in anderen Bereichen Fuß zu fassen, in denen es dann zum hauptsächlichen Sicherheitsanbieter würde.

Zentraler Teil des Clear-Systems ist der so genannte SRT-Kiosk, eine Maschine, die von GE Security entwickelt wurde und rund 150.000 Dollar pro Stück kostet. Um sie zu nutzen, steigt der zu Überprüfende auf eine Plattform, steckt seine Biometriekarte in das Gerät und bestätigt seine Identität dann mit einem Fingerabdruck- oder Iris-Scan. Anschließend werden die Schuhe, ohne dass man sie ausziehen müsste, nach Sprengstoffen durchsucht – mit dem so genannten Quadrupol-Resonanz-Verfahren.

Die Technologie, verwandt mit der Kernspintomografie, ist bereits seit längerem bekannt und wurde unter anderem in Vietnam zur Suche nach Landminen verwendet. Dabei kommen elektromagnetische Felder zum Einsatz, die die Moleküle in den Schuhen anregen. Wenn diese dann wieder in Normalposition zurückkehren, geben sie eine kleine Energiemenge ab, die als Strahlung messbar ist. Einige Frequenzen deuten dabei auf Sprengstoffe hin, andere auf normale Schuhmaterialien. Aktuell ist die Technologie nur am Flughafen Orlando zugelassen, soll aber auch bald an anderen Clear-Airports installiert werden.

Ebenfalls noch nicht zugelassen ist ein Clear-Verfahren, bei dem ein Reisender einen Finger auf einen Detektor legt, der winzige Sprengstoffspuren erkennen kann. Dies ist eine Alternative zu Systemen, durch die die Passagiere laufen müssen, um Partikel an Körper und Kleidung aufzuwirbeln, die von Sprengstoff stammen könnten. Obwohl es eher unwahrscheinlich klingt, dass ein einzelner Fingerscan die Untersuchung des gesamten Körpers ersetzen kann, glaubt man bei GE, dass die Sprengstoffpartikel "klebrig" genug sind, um an den Fingerspitzen haften zu bleiben. Proben seien so noch nachweisbar. GE arbeitet außerdem an einem Computertomografen, mit dem sich Laptops auf Sprengstoff untersuchen lassen, während sie sich noch in der Tasche befinden.

"Insgesamt wird Clear nicht nur das Reisen bequemer machen, sondern auch die Sicherheit insgesamt erhöhen", meint Matthew Farr, Sicherheitsanalyst bei der Beratungsfirma Frost and Sullivan. Er glaube, dass sich das Thema Flughafensicherheit dadurch vollkommen verändern werde.

Doch jeder Fortschritt in Sachen Sicherheit zieht auch Nachteile in Datenschutzdingen nach sich. Sich vor dem Antritt einer Reise in ein Register eintragen zu müssen, begreifen viele Amerikaner als Angriff auf ihre Freiheitsrechte. Auch die Abgabe der Abdrücke aller zehn Finger ist ein Eingriff, den sonst nur eines Verbrechens verdächtige Menschen ertragen müssen. Obwohl inzwischen auch in den USA erste Reisepässe mit Biometrie-Chips ausgegeben wurden, sorgte die Entscheidung des US-Heimatschutzministeriums vor zwei Jahren für viel Wirbel, ausländischen Reisenden standardmäßig Fingerabdrücke abzunehmen. Die Implementation solcher Technologien als Standardverfahren auch bei US-Bürgern – und sei es nur freiwillig -, dürfte für noch mehr Kritik sorgen. In Sachen Privatsphärenschutz will man bei Clear hingegen im grünen Bereich sein: Alle 24 Stunden würden die Daten gelöscht, zudem seien die Rechner nicht am Netz.

Tim Sparapani, auf Gesetzgebungsverfahren spezialisierter Jurist bei der US-Bürgerrechtsorganisation ACLU, fürchtet, die TSA könne nicht für Clear zugelassene Personen als Personen dritter Klasse behandeln. "Hier könnte eine ganze Unterschicht von Menschen entstehen, die nicht registriert werden." Das Horrorszenario: Sollte das Programm irgendwann einmal auf Bürogebäude oder den öffentlichen Nahverkehr ausgedehnt werden, müssten diese Menschen mit ständigen Schikanen leben.

Clear könnte durch die Entwicklung einer genauen und gleichzeitig bequemen Sicherheits-Screening-Technologie aber auch dafür sorgen, dass das Reisen für alle wieder leichter wird, hoffen die Firmenchefs. Fortschrittliche Erkennungssysteme, die dann auch irgendwann bei ganz normalen Sicherheitskontrollen zum Einsatz kämen, könnten darüber hinaus die üblichen Staus reduzieren. Die Nachfrage nach VIP-Ansätzen wie Clear würde dadurch wohl wieder sinken – ein Faktum, dass die Investoren des Unternehmens mit Sorge verfolgen sollten. (Der Vorsprung in anderen Sicherheitsbereichen bliebe allerdings erhalten – schließlich gibt es mehr Stadien und Bürogebäude als Flughäfen.) Die Perfektionierung einer Maschinerie, bei der man sich nicht vorher anmelden muss, würde dann wieder zu einer neuerlichen Demokratisierung am Gate führen.

Wichtige Teile des Clear-Systems funktionieren bereits gut: Das "Trusted Traveler"-Modell, die gut nutzbaren Registraturen und die neuartigen Sicherheitscheckpoints, dier zwar noch nicht ganz perfekt, aber bereits deutlich fortschrittlicher als das sind, was derzeit verwendet wird. Bleibt zu hoffen, dass die Technologie bald auch Menschen hilft, die sich nicht registrieren wollen. Schließlich ist ein Programm, bei dem die Regierung irgendwelche Listen führt, immer unschön. Bis Clear die Freiheit der Amerikaner wirklich bedroht, dürfte es aber noch ein Weilchen dauern. (bsc)