Klima-, Artenschutz und soziale Entwicklung gemeinsam denken

Isolierte Klima- und Artenschutzmaßnahmen durchzuführen reicht nicht. Gesellschaften, Werte und Wirtschaft müssen sich tiefgreifend ändern.

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Tierwelt in Afrika.

(Bild: Baskoproducties/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert

Im Grunde ist es ein kompaktes Lehrbuch zur wirklich umfassenden und tiefen Beschreibung der Doppelkrise von Klima und Artenvielfalt, was 18 Klimaforscher und Ökologen da auf acht eng bedruckten Seiten in "Science" aufgeschrieben haben. Dazu liefert die Veröffentlichung gleichzeitig sehr konkrete Visionen, um die Krisen zu bewältigen und mit sozialen Zielen in Einklang zu bringen.

"In unserer Übersichtsstudie zeigen wir detailliert die Zusammenhänge von Biodiversitäts- und Klimakrise auf und schlagen Lösungen vor, mit denen die Menschheit beiden Katastrophen begegnen und die schon heute drastischen sozialen Folgen abmildern kann", sagt Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, der Hauptautor der Abhandlung.

Die Menschen haben inzwischen rund 75 Prozent der Landoberfläche und 66 Prozent der Ozeangebiete der Erde verändert. Um die 80 Prozent der Biomasse von natürlich vorkommenden Säugetiere und die Hälfte der Pflanzenbiomasse sind bereits verloren – womit sich auch die Speichermöglichkeiten von Kohlenstoff in Organismen, Böden und Sedimenten verringerten.

Im vergangenen Jahr stieg die globale Mitteltemperatur auf 1,2 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit, in Europa überschritt sie bereits die Zwei-Grad-Marke und in der Arktis war es sogar drei Grad wärmer, wie der europäische Erdbeobachtungsdienst Copernicus jüngst berichtete.

Pörtner befürchtet, dass die für 2030 und 2050 geplanten globalen Biodiversitäts-, Klima- und Nachhaltigkeitsziele wohl scheitern, wenn die politischen und administrativen Institutionen es nicht schaffen, wirklich fach- und länderübergreifend zusammenarbeiten. Die beiden getrennten UN-Konventionen – das Übereinkommen über die biologische Vielfalt und das Pariser Rahmenabkommen über Klimaänderungen – würden die zwei Krisen zu isoliert sehen. "Noch dazu sind sie fokussiert auf die nationalen Interessen der Vertragsstaaten", kritisiert Pörtner.

"Wir müssen Klima- und Artenschutz zwingend zusammen denken. Denn Maßnahmen, die sich beispielsweise allein auf den Klimaschutz konzentrieren, können sich durchaus auch negativ auf die Biodiversität auswirken", fasst Mitautorin Almut Arneth vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) einen Kerngedanken der Veröffentlichung zusammen.

"Generell sollten wir beispielsweise eben nicht darauf bauen, Millionen von Quadratkilometern mit Bioenergie oder Wäldern zu belegen – vor allem, wenn es sich dabei auch noch Monokulturen handeln sollte –, wenn wir die anderen Nachhaltigkeitsziele auch im Blick behalten möchten."

"Ganz oben auf der Prioritätenliste steht natürlich nach wie vor die massive Reduktion der Treibhausgasemissionen und die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels", so Pörtner. Zugleich müsste man aber auch mindestens 30 Prozent der Land-, Süßwasser- und Ozeanflächen unter Schutz stellen oder renaturieren.

Bereits die Renaturierung von nur 15 Prozent der zu Nutzland umgewandelten, oft degradierten Flächen würde ausreichen, um 60 Prozent der noch zu erwartenden Aussterbeereignisse zu verhindern, heißt es in dem Paper. Langfristig würden damit rund 300 Gigatonnen Kohlendioxid gebunden. Das entspricht zwölf Prozent allen Kohlenstoffdioxids, das seit Beginn des Industriezeitalters in der Atmosphäre deponiert wurde.

Dabei sollten Schutzgebiete nicht mehr als isolierte Rettungsinseln für Artenvielfalt verstanden werden, sondern Teil eines weltumspannenden Netzwerkes über Land und Meere hinweg.

Denn es gebe zahlreiche Herausforderungen im Zusammenhang mit der so genannten Telekopplung, bei der sich Auswirkungen einer Klima- oder Artenschutzmaßnahme auch noch weit entfernt zeigen können, selbst nach Jahren. Veränderungen durch Rückkopplungen, neue Anpassungen und nicht-lineare Ereignisse, wie Wetterumschwünge, seien im Erdsystem eher die Regel als die Ausnahme. Jeder Wandel verändere immer auch die vielfältigen Beziehungen zwischen biologischer Vielfalt, Klima und Gesellschaft.

Um das Ausmaß und den Umfang eines nie zuvor versuchten, jetzt aber nötigen transformativen Wandels zu erreichen, sei ein so genannter Nexus-Ansatz nötig, der die großen Zusammenhänge berücksichtige. Nur so ließen sich gleichzeitig die vereinbarten Klima-, Artenschutz- und sozialen Entwicklungsziele der UN-Agende 2030 erreichen.

Dazu müssten aber auch soziale Werte verschoben werden, weg von Individualismus und Materialismus, hin zu Prinzipien wie Verantwortung, Regulierung und Gerechtigkeit, sind die Autoren überzeugt. Das gehe nicht ohne neue strukturelle Maßnahmen, wie die Abschaffung von Subventionen, die derzeit die Nutzung fossiler Brennstoffe unterstütze, die Einschränkung von Abholzungen und die Überfischung. Sie verhinderten nämlich derzeit den Start alternativer Ansätze und Technologien. Hilfreich würden dabei Unterstützungskoalitionen sein, um widerspenstigen und mächtigen Interessensgruppen entgegenzutreten, die wirtschaftliche Privilegien und den politischen Status quo erhalten wollen.

Die Autoren kritisieren die derzeitigen Zusagen von Unternehmen und Ländern, ihre Emissionen auf Null zu reduzieren. Sie würden das Risiko bergen, Ungerechtigkeit zu verschärfen. Nämlich dann, wenn sie unangemessene naturbasierte Lösungen vorantreiben, wie das Pflanzen von Bäumen auf natürlichem Grasland, dabei aber nicht die fossilen Emissionen reduzieren.

Ganz grundsätzlich sei es aber nötig, so die Wissenschaftlergruppe, die wirtschaftliche Entwicklung neu zu konzipieren. Man müsse weg vom Gesamtwert der Marktströme, wie dem Bruttoinlandsprodukt, hin zu Konzepten, die zu einem umfassenderen Verständnis von Wohlstand führen. Dazu seien aber auch Modelle für beratendes Mitregieren wichtig, in denen die Rolle der Menschen als Bürger und nicht als Verbraucher betont wird. Und schließlich müssten die Schutzgebiete für indigene Völker und Gemeinschaften anerkannt werden, die von lokalen Gemeinschaften initiiert, gestaltet und verwaltet werden.

(jle)