Kraftsparende Choreographie: Wie Zugvögel migrieren

Von Übersee bis in die Toskana – Forscher sammelt erstmals konkrete Daten dazu, wie Zugvögel im Fluggebilde kollektiv Energie einsparen.

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(Bild: Waldrappteam)

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Schwärmende Zugvögel im eindrucksvollen Gebilde eines "V": Dieses faszinierende Naturspektakel haben die meisten schon am Himmel bestaunt. Wissenschaftler sind nun einen Schritt weitergegangen und haben sich dem Schwarm unmittelbar angeschlossen. Mittels eines Ultraleichtflugzeugs haben sie sogar die Funktion des Leitvogels übernommen. Sie wollten etwas herausfinden, was zuvor nur theoretisch bekannt war und lediglich mit mathematischen Modellen simuliert werden konnte: Wie gelingt es Vögeln über ihr Kooperationsverhalten bei ihrem Wanderflug Kraft zu sparen? Energieeffizienz ist ein wichtiger Überlebensfaktor.

Das internationale Forschungsteam leitete junge Waldrappen zu ihrem italienischen Winterquartier, um einen neuartigen Datensatz zu gewinnen. Zu der überwiegend österreichischen Forschungsgruppe zählen auch zwei Doktoranden aus Italien und Israel, weitere Partner stammen von der Veterinärmedizinischen Universität Wien, der Universität Wien, der Fachhochschule Joanneum in Graz und der Universität Bern.

Begleitet wurden bereits in den Jahren 2018 und 2019 zwei Gruppen von Jungvögeln. Bei dieser ersten Migration von Überlingen (Bodensee) legten sie bis zu ihrem Winterquartier in der südlichen Toskana (WWF Oasi Laguna di Ortobello) rund 1000 Kilometer zurück. Die Reise dauerte zwei Wochen, darunter sechs bis sieben Flugtage, während denen die Alpen und der Apennin überquert und Flughöhen von bis zu 2900 Metern erreicht wurden. Die Vögel waren allesamt von Menschenhand aufgezogen. Somit konnten sie mit einem extraleichten "Datenlogger" ausgestattet werden, der täglich auf- und abmontiert wurde. "Der Datenlogger übermittelt keine Daten, sondern speichert sie intern ab. Besonders herausfordernd war für uns, die extrem hohe Präzision auf wenige Zentimeter genau zu erreichen", resümiert Forschungsleiter Johannes Fritz, Biologe, Artenschützer und Waldrapp-Experte.

Was das Team am meisten interessierte, waren die exakten Positionen der einzelnen Tiere und ihre Relationen zueinander – erfasst werden konnten diese dank dreier globaler Satellitennavigationssysteme (GPS, Galileo, GLONASS). Klar war, dass der Leitvogel bei der Energie-Einsparung eine entscheidende Funktion übernehmen würde. Nur welche? Ursprünglich ging das Team davon aus, dass dieser am wenigsten von dem Gebilde profitieren würde. Doch sie wurden überrascht: "In einer Vorstudie haben wir herausgefunden, dass die Tiere einander abwechseln, gingen aber von einem eher statischen System mit einem Leitvogel aus. Im aktuellen Forschungsprojekt beobachteten wir nun viel mehr Dynamik als erwartet. Jedes Tier befand sich sowohl in der Leit- als auch Folgefunktion, was bedeutet, dass alle profitieren", erklärt Fritz.

Um kollektiv Energie einzusparen, ist also eine genaue Choreographie im Fluggebilde entscheidend: Abstand zum Vordermann und exakte Synchronisierung des Flügelschlags. Bewegungssensoren in den Datenloggern messen daher sowohl die Frequenz des Flügelschlags als auch die Position des Flügels. Bei vier separat aufgezogenen Jungvögeln wurde zudem die Herzfrequenz über Elektroden abgenommen, um diese Werte mit dem stoffwechselbedingten Energieumsatz unter Laborbedingungen kalibrieren zu können und Rückschlüsse zu ermöglichen.

Im Zuge des Klimawandels wird ein Verständnis der Migrationsflüge insbesondere für den Artenschutz immer relevanter. Aktuell werden die Datensätze noch ausgewertet. Fritz und das Team vermuten, dass die Energieersparnis zwischen 15 und 30 Prozent liegen wird. Gerade für unerfahrene Jungvögel mit niedrigem Leistungsvermögen sei dies ein erheblicher Wert. Das Forschungsprojekt läuft noch bis Ende 2021 und wird vom Wissenschaftsfonds FWF finanziert.

Redaktionsassistenz: Ramona Raabe

(bsc)