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Krisenbewältigung: Motorrad-Neuzulassungen im 1. Halbjahr 2020

Ingo Gach
Krisenbewältigung: Motorrad-Neuzulassungen im 1. Halbjahr 2020

Die Lage der Motorradbranche nach dem ersten Halbjahr 2020 ist erstaunlich gut.

Die Motorradbranche steht nach den ersten sechs Monaten 2020 erstaunlich gut da. Der Einbruch ist nur geringfügig und die meisten Händler sind optimistisch.

Als die Bundesregierung Mitte März wegen der Covid-19-Pandemie den Ausgang beschränkte, überkam viele Motorradhändler das Grausen. Traditionell verkaufen sie zu Saisonbeginn im März und April die meisten Motorräder. Doch das war ihnen nun behördlich untersagt, lediglich die Werkstätten durften als systemrelevant noch offen bleiben.

Motorradbranche nach dem ersten Halbjahr 2020 (0 Bilder) [1]

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Theoretisch hätten die Händler ihre Motorräder zwar online oder telefonisch verkaufen können, doch das machte kaum jemand, denn Motorradfahrer wollen ein neues Modell anfassen und probefahren. Die schon im Laden befindlichen Motorräder ließen sich somit nicht verkaufen und bereits von Kunden georderte Bikes konnten teilweise von den Importeuren nicht geliefert werden. Bei vielen Marken standen in den jeweiligen Produktionsländern auch die Bänder wegen der Corona-Pandemie still.

Doch als Ende April in Deutschland der Lockdown für die Motorradhändler aufgehoben wurde, stürmten die Kunden die Verkaufsräume. In Krisenzeiten neigen die Konsumenten eher zum Sparen, lehrt uns die Volkswirtschaft, deshalb musste die Autoindustrie auch gewaltige Einbrüche verkraften. Doch auf die Motorradfans traf das nicht zu, sie wollten weiter ihrer Zweirädrigen Leidenschaft frönen und kauften eifrig Krafträder.

Was sie im März und April nicht gekauft hatten, holten die deutschen Motorradkunden ab Ende April nach. Mit Mundschutz und unter Einhaltung des „Social Distancing“ tauchten sie scharenweise bei den Motorradhändlern auf, das gute Wetter förderte die Kauflust der Biker zusätzlich. Bei manchen Modellen kamen die Marken mit der Lieferung kaum noch hinterher.

Nach einem halben Jahr zog die deutsche Motorradindustrie eine erfreuliche Bilanz: Der Verkauf von Krafträdern war wider erwarten um nur 5,8 Prozent zurückgegangen. In Stückzahlen ausgedrückt: Es wurden mit 70.877 Krafträdern über 125 cm3 lediglich 4360 Stück weniger verkauft als im Vorjahreszeitraum. Bei den Leichtkrafträdern und -rollern spielte sich sogar Erstaunliches ab: Die Industrie verzeichnete 15.970 neu zugelassene 125er und damit ein Plus von 45 Prozent, bei den Leichtkraftrollern [3] waren es mit 14.771 Einheiten sogar satte 68,5 Prozent mehr. Hier spielte die neue Führerscheinregelung eine Rolle, nach der Autoführerscheinbesitzer über 24 Jahre auch 125er fahren dürfen, ohne dafür eine Prüfung ablegen zu müssen [4], es sind lediglich mindestens neun Unterrichtseinheiten zu je 90 Minuten zu absolvieren.

Einige befragte Motorradhändler zeigten sich sichtlich erleichtert über die Verkaufsentwicklung. Das finanzielle Defizit, das sich im März und April angehäuft hatte, war zur Jahresmitte wieder ausgeglichen, manche konnten sogar bereits einen leichten Gewinn verzeichnen. Im zweiten Halbjahr sinken traditionell die Verkaufszahlen deutlich bis zum Jahreswechsel, aber die ab 1. 1. 2021 verbindliche Euro-5-Norm [5] könnte dieses Jahr noch einmal einen Endspurt auslösen, wie er bereits Ende 2016 kurz vor Einführung der Euro-4-Norm stattfand. Ab 2021 Jahr dürfen keine Neumotorräder mehr zugelassen werden, die nicht der Euro-5-Norm entsprechen, deshalb müssen die Händler zusehen, die noch auf Lager befindlichen Euro-4-Modelle loszuschlagen. Zwar beantragte die Motorradindustrie bei den zuständigen EU-Stellen in Brüssel wegen der Pandemie eine Aufschiebung des Termins, aber noch ist nichts diesbezüglich entschieden.

Europaweit sieht der Motorradverkauf nicht ganz so rosig aus wie in Deutschland. Unter den fünf verkaufstärksten Ländern in Europa führt Deutschland mit insgesamt 110.863 neu zugelassenen Motorrädern im ersten Halbjahr 2020. Zählt man die Verkaufsstatistiken aller fünf Länder – Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien und Großbritannien – zusammen, so kommt man auf 413.212 neu zugelassene Krafträder und -roller. In den ersten vier Monaten 2020, zu Beginn der Pandemie, brach der Verkauf um heftige 32,7 Prozent ein. Doch im Mai und Juni verzeichneten die Händler in den fünf genannten Ländern bereits wieder steigende Zahlen und so reduzierte sich das Minus im ersten Halbjahr auf rund 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Italien, das bekanntlich als erstes Land in Europa hart von Covid-19 getroffen wurde, kommt auf 106.507 Motorrad-Neuzulassungen im ersten Halbjahr und Frankreich auf 91.093. Dahinter folgt Spanien mit 62.268 Neuzulassungen und Großbritannien – mittlerweile europäischer Spitzenreiter bei den Covid-19-Infizierten – bringt es auf nur noch 47.710 Stück. Ganz offensichtlich profitiert der deutsche Motorradmarkt von den relativ früh eingeleiteten Maßnahmen und dem verhältnismäßig glimpflichen Verlauf der Pandemie in Deutschland.

Die Zeichen stehen für mache Motorradmarken gar nicht so schlecht, BMW jubelt sogar über einen neuen Verkaufsrekord. Die Münchner konnten alleine im Juni weltweit 20.021 Motorräder verkaufen, was einem Zuwachs um 9,8 Prozent zum Vormonat bedeutet und auf den eher schwachen Verkauf im Mai zurückzuführen ist. Davon entfielen auf Europa 13.937 Krafträder. Trotz der Corona-Pandemie hat BMW im ersten Halbjahr 2020 global 76.707 Motorrädern absetzen können. Auch wenn das insgesamt einen Rückgang von 17,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum entspricht, blickt BMW zuversichtlich in die Zukunft.

Wenn wir uns die Zahlen auf dem deutschen Motorradmarkt genauer ansehen, erscheint BMW im ersten Halbjahr 2020 vermeintlich als Verlierer mit einem Minus von 9,79 Prozent, doch die Münchner bleiben klarer Spitzenreiter auf ihrem Heimatmarkt mit 16.076 neu zugelassenen Motorrädern und einem Marktanteil von 22,6 Prozent. Zu verdanken hat BMW das natürlich vor allem seinem Bestseller R 1250 GS (Test) [6] mit 5400 Stück, doch unter den Top 15 haben sich noch fünf weitere BMW platziert.

Kawasaki auf Rang zwei konnte bis einschließlich Juni 2020 mit 8746 Motorrädern fast exakt die gleiche Menge an Bikes losschlagen wie im Vorjahreszeitraum – damals waren es genau acht Stück mehr. Daran hat vor allem die Z 900 (Test) [7] einen entscheidenden Anteil, die mit 2460 Stück Platz zwei in den Verkaufscharts belegt und der Z 650 (Test) [8] mit 1504 Stück auf Platz vier. Kawasaki schafft einen Marktanteil von 12,34 Prozent.

Honda kommt knapp dahinter mit 8455 verkauften Einheiten auf ein geringes Minus von lediglich 0,89 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Marktanteil des größten Motorradherstellers der Welt [9] liegt im ersten Halbjahr in Deutschland bei 11,93 Prozent. Allerdings schafft es nur die kleine und günstige CMX 500 Rebel als einzige Honda unter die Top Ten, die neue CRF 1100 L Africa Twin [10] scheint unter Lieferschwierigkeiten zu leiden, denn sie wurde im ersten Halbjahr nur 885 Mal neu zugelassen und kommt lediglich auf Rang 13. Die Vorgängerin CRF 1000 L Africa Twin (Test) [11] war letztes Jahr (Gesamtjahr) noch mit 2343 Stück und auf Gesamtrang fünf die meistverkaufte Honda in Deutschland.

KTM verliert mit einem Minus von 4,89 Prozent schon etwas mehr, was aber vor allem auf den Lockdown in Österreich zurückzuführen ist. Die Bänder in Mattighofen [12] standen etliche Wochen lang still, so dass sich die Auslieferung unter anderem der neuen Duke 890 R verzögerte. Aber mit 7930 Neuzulassungen in Deutschland und damit Rang vier kann KTM zufrieden sein und die Österreicher können gleich drei Modelle (KTM 790 Duke (Test) [13], KTM 390 Duke (Test) [14] und KTM 690 SMC-R (Test) [15]) auf den Plätzen fünf bis sieben verzeichnen. Im zweiten Halbjahr dürften die noch ausstehenden Bestellungen sukzessive bei den Händlern eintreffen, so dass sich KTM Deutschland mit 11,19 Prozent im ersten Halbjahr keine allzu große Sorgen machen muss.

Auch Yamaha auf Platz fünf der Statistik litt unter stillstehenden Produktionsbändern, so wird etwa die begehrte neue Ténéré 700 in Frankreich gebaut, das bekanntlich wochenlang im Lockdown verharrte. Daher klingt das Minus von 10,19 Prozent schlimmer als es ist, der Yamaha-Marktanteil von 9,31 Prozent ist relativ stabil. Die bislang 6598 neu zugelassenen Yamaha-Motorräder dürften sich im zweiten Halbjahr noch deutlich steigern, vor allem dank des Bestsellers Yamaha MT-07 [16] und der neuen Ténéré 700 (Test) [17] – beide übrigens noch mit Euro-4-Motoren, die dieses Jahr noch verkauft werden müssen.

Motorradbranche nach dem ersten Halbjahr 2020 (0 Bilder) [18]

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Harley-Davidson auf Rang sechs musste mit einem Minus von 9,57 Prozent zwar Federn lassen, aber immerhin befindet sich mit der Street Bob [20] die meistverkaufte Harley im ersten Halbjahr auf Platz 18 mit 770 Stück, insgesamt wurden 5908 Harley-Davidsons neu zugelassen, was einem Marktanteil von 8,34 Prozent bedeutet. Die US-Marke leidet aber weiterhin [21] unter ihrer verfehlten Modellpolitik, Kundenüberalterung und hohen Preisen.

Triumph blieb mit 3343 neu zugelassenen Motorrädern 115 Stück unter dem Vorjahresniveau und belegt Rang sieben mit 4,68 Prozent Marktanteil. Lieferschwierigkeiten gab es bei der britischen Marke nicht, die fast alle Modelle in Thailand fertigen lässt. Die meistverkaufte Triumph ist die gewaltige Triumph Rocket 3 (Test) [22] auf Platz 38 mit immerhin 491 Stück.

Suzuki verharrt wie festbetoniert auf dem vierten und letzten Platz in der separaten Japan-Wertung. Es bleibt auch nur Rang acht in der Gesamtwertung mit 3094 neu zugelassenen Motorrädern und einem Minus von satten 19,22 Prozent. Die einst so innovative Marke hinkt den Trends weiter hinterher und schafft es einfach nicht mehr, einen Bestseller zu landen. Lediglich die zwar immer noch gute, aber eigentlich völlig überaltete Suzuki SV 650 [23] kann die Markenflagge auf Platz 16 mit 844 Stück hochhalten. Nur noch 4,37 Prozent Marktanteil bleiben für Suzuki übrig.

Ducati auf Rang neun muss einen Rückgang von 14,65 Prozent auf nur noch 2948 neu zugelassene Motorräder verzeichnen. Die Marke [24] konnte im ersten Halbjahr kein einziges Modell in den Top 50 platzieren und kommt nur auf einen Marktanteil von 4,16 Prozent. Hier rächt sich die Hochpreispolitik der Italiener und das Ausbleiben eines neuen, günstigen Einsteigermodells. Etliche Jahre konnte sich Ducati auf die Scrambler (Test) [25]verlassen, doch das bereits 2014 vorgestellte Retro-Bike wird hierzulande kaum noch verkauft. Hingegen war die Monster fast drei Jahrzehnte lang die Stückzahlenkönigin der Marke, aber man hat es in Bologna versäumt, eine günstige Nachfolgerin zu entwickeln. Das Design der Monster [26] wirkt inzwischen nicht mehr so frisch und selbst die billigste Variante kostet happige 11.490 Euro.

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Die ursprünglich schwedische Traditionsmarke Husqvarna wächst unter KTM-Regie stetig und erreicht einen respektablen zehnten Gesamtrang in Deutschland. Mit 2003 neu zugelassenen Bikes im ersten Halbjahr 2020 kann sich Husky über ein Plus von 7,51 Prozent freuen und kommt auf einen Marktanteil von 2,83 Prozent. Auch wenn man sich die Motoren mit dem Mutterkonzern teilt, setzt Husqvarna die Modelle sehr eigenständig um. Besteller der Marke ist die 701 Supermoto [28] mit 682 Stück auf Platz 28.

(fpi [29])


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[4] https://www.heise.de/hintergrund/Kleines-Glueck-125er-fuer-Autofuehrerscheinbesitzer-4677024.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Euro-5-fuer-Motorraeder-4335464.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-BMW-R-1250-GS-4359631.html
[7] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-Kawasaki-Z-900-3768565.html
[8] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-Kawasaki-Z650-3713168.html
[9] https://www.heise.de/autos/artikel/400-Millionen-Honda-Motorraeder-4634456.html
[10] https://www.heise.de/autos/artikel/Vorstellung-Honda-CRF-1100-L-Africa-Twin-4540147.html
[11] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-Honda-CRF-1000-Africa-Twin-3210251.html
[12] https://www.heise.de/autos/artikel/KTM-ueberholt-BMW-2103428.html
[13] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-KTM-790-Duke-3991009.html
[14] https://www.heise.de/autos/artikel/KTM-390-Duke-Langstreckentest-3269553.html
[15] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-KTM-690-SMC-R-4300811.html
[16] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-Yamaha-MT-07-4457008.html
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[20] https://www.heise.de/autos/artikel/Harley-Davidson-Softail-Modelle-2018-3821615.html
[21] https://www.heise.de/news/US-Motorrad-Hersteller-Harley-Davidson-im-Minus-4856941.html
[22] https://www.heise.de/tests/Dreinschlag-Test-Triumph-Rocket-3-R-4855524.html
[23] https://www.heise.de/autos/artikel/Schlicht-ergreifend-Die-neue-Suzuki-SV-650-3027946.html
[24] https://www.heise.de/autos/artikel/90-Jahre-Ducati-3175985.html
[25] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-Ducati-Scrambler-1100-Speciale-4106461.html
[26] https://www.heise.de/autos/artikel/Ducati-Monster-1200-3567597.html
[27] https://www.heise.de/autos/artikel/Die-erfolgreichsten-Bikes-der-Saison-2019-4640115.html
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