Kristallkugel im Web

Bit.ly kennen Nutzer vor allem als simplen URL-Verkürzer. Doch der Dienst sammelt auch Daten über Stimmungen und Trends.

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Bit.ly kennen Nutzer vor allem als simplen URL-Verkürzer. Doch der Dienst sammelt auch Daten über Stimmungen und Trends.

Der Link-Verkürzungsdienst Bit.ly gilt als großer Erfolg: Zahlreiche Menschen nutzen ihn jeden Tag, um aus langen Internet-Adressen (z.B. "www.technologyreview.de/infotech-1228.html") kompakte (z.B. "bit.ly/rFEJiF") zu machen, die sich dann über Facebook, Twitter, Instant Messaging oder E-Mail leichter mit anderen Nutzern teilen lassen. 80 Millionen dieser Kurzlinks fallen jeden Tag bei der Firma an, fast jeder Social-Media-User kennt und nutzt sie.

Da die grundlegende Technik des in New York beheimateten Unternehmens an sich nicht sonderlich komplex ist (URL-Erstellung und Weiterleitung), nur schwer geschützt werden kann und von zahlreichen Konkurrenten wie etwa TinyURL oder Twitter und Facebook selbst angeboten wird, versucht Bit.ly mittlerweile, die durch die Serviceleistung ermittelten Daten zu Geld zu machen. Immerhin lassen sich aus der Anzahl der verkürzten URLs und vor allem aus den auf sie erfolgenden Klicks interessante Statistiken zusammenstellen.

Bit.ly Pro: Nutzer des Premiumdienstes erhalten Zugriff auf eine Auswertungskonsole.

Aus all diesen Daten will Bit.ly nun eine Art Internet-Kristallkugel formen: Je nachdem, welche Internet-Adressen besonders häufig geteilt und aufgerufen werden, lassen sich Vorhersagen treffen, was Menschen in nächster Zeit besonders interessieren könnte. Das kann beispielsweise Firmen helfen, PR-Desaster frühzeitig zu erkennen. Bit.ly-Chef Andrew Cohen nennt als Beispiel den Fall eines Navigationsanbieters, dem in eine Blogeintrag Schnüffelverhalten vorgeworfen wurde. Bit.ly habe genau beobachten können, wie oft dieser Beitrag und andere thematisch ähnliche Artikel geklickt wurden. Wenig später nahmen auch Mainstream-Medien das Thema wahr.

Den Dienst lässt sich Bit.ly gut bezahlen: Das "Enterprise"-Angebot kostet 995 US-Dollar im Monat. Dafür können mehrere Domains überwacht werden, Kunden erhalten Zugriff auf einen Echtzeit-Analyse-Strom und können so viele Daten erhalten, wie sie wollen. Außerdem dürfen Unternehmen auf Wunsch auch einen eigenen Verkürzungsdienst unter der hauseigenen Adresse offerieren.

In Zusammenarbeit mit dem "Scientific American" hat Bit.ly ermittelt, für welche Wissenschaftsthemen sich Nutzer interessieren.

In einem nächsten Schritt will Bit.ly nun mit dem Domain-Anbieter Verisign zusammenarbeiten, der als wichtiger Server-Betreiber jeden Tag 50 Milliarden menschenlesbare Adressen (z.B. "www.heise.de") in computerlesbare Internet-Protokoll-Nummern (z.B. "193.99.144.80") umwandelt. Die darüber erhaltenen Informationen sollen das bit.ly-Vorhersagemodell noch genauer machen.

Cohen vergleicht Bit.lys Dienste mit einem Rauchmelder: "Man hört nicht viel davon, aber es wird wichtig, wenn er Alarm schlägt." Die VeriSign-Daten sollen dabei helfen, aktuell interessante Themen besser zu quantifizieren. Der Dienstleister könnte den üblichen Datenverkehr zu einer Seite messen und Abweichungen erkennen. "Das gibt Bit.ly eine weitere Möglichkeit, dem Internet den Puls zu messen", meint Johan Bollen, Computerwissenschaftler an der Indiana University. "Die Zusammenarbeit gibt der Firma deutlich mehr Möglichkeiten."

Trendbericht: Bit.ly ermittelt, wie die Stimmung im Web zu bestimmten Themen ist.

"Reputationsmanagement" nennt Bit.ly den Dienst auch. Als Beispiel hat die Firma die Daten mehrere Politiker zusammengestellt, die sich im Rennen um das Präsidentenamt der USA im nächsten Jahr befinden. Dabei lassen sich "Erwähnungen pro Stunde" ablesen oder auch negative Stimmungen, was durch Wortanalysen möglich ist.

Problemlos überstanden hat Bit.ly unterdessen die Revolution und den Bürgerkrieg in Libyen, dessen Länderdomain es trägt. Hatten Experten der Firma noch vor Jahren vorhergesagt, sie könne schlimmstenfalls vom Gaddafi-Regime die Adresse weggenommen bekommen, müsste man davon mittlerweile keine Angst mehr haben. Nicht, dass es keine Warnschüsse gegeben hätte: Im Oktober 2010 nahm die libysche Domain-Behörde einer Erotikkünstlerin die Adresse weg. Wahrscheinlich lenkt Bit.ly genau wegen solcher Vorfälle mittlerweile immer öfter auf seine reguläre "bitly.com"-Adresse um - ganz klassisch unverkürzt. (bsc)