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Kryptowährungen: Wer hält sich an seinen Coins fest?

Rebecca Zacks

(Bild: Velishchuk Yevhen / Shutterstock.com)

Wenn der Wert einer Währung davon abhängt, ob die Menschen an sie glauben, könnte so mancher Coin in Zukunft Schwierigkeiten bekommen, meinen Experten.

DeFi ist und war in aller Munde. Das dezentrale Finanzwesen, "decentralized finance", ein Sammelbegriff für allerlei Kryptowährungen und Blockchain-Projekte, die stets mit dem Austausch virtueller Werte zu tun haben, soll die bösen Banken entmachten – und ein System schaffen, das widerstandsfähiger gegenüber globalen Krisen, wirtschaftlichen Verwerfungen und Kriegen [1] ist, die traditionelle Märkte erschüttern. Das Problem: Dem scheint mit Blick auf die aktuelle Kursentwicklung eher nicht so zu sein.

Denn in unserem derzeitigen prekären Finanzklima, in dem die traditionellen Märkte dramatisch abrutschen und selbst große Tech-Aktien abstürzen, hat sich die Theorie der DeFi-Widerstandsfähigkeit praktisch in Luft aufgelöst.

So hat Bitcoin [2], die Kryptowährung aller Kryptowährungen, in den letzten Wochen einen Sturzflug hingelegt, während Ethereum und andere bekannte Coins ebenfalls nachgegeben haben. Während die Aktien von angeblich altertümlichen "Web2"-Technologieunternehmen wie Amazon und Netflix fallen, sahen Coinbase, eine der drei größten Krypto-Börsenplattformen oder das App-Handelshaus Robinhood, das den Krypto-Handel unterstützt, ihre Aktien ebenfalls abschmieren. Sogar das beliebte Proof-of-Stake-Netzwerk Solana musste einen Wertverlust von etwa 80 Prozent gegenüber seinem Allzeithoch im November hinnehmen.

Der größte Absturz kam aber beim algorithmischen Stablecoin TerraUSD (UST) [3]. Ein Einsatz von 100 Dollar in UST am vorvergangenen Montag war am darauffolgenden Sonntagmorgen nur noch 18 Dollar wert; der gleiche Betrag im Schwester-Token Luna ist jetzt nur noch ein paar Cent wert.

Stablecoins sind, wie der Name schon sagt, als Fels in der Brandung des Krypto-Ökosystems konzipiert und fest an reale Vermögenswerte wie den Dollar gekoppelt. Börsen verwenden Stablecoins, um die Volatilität anderer Kryptowährungen auszugleichen – und Krypto-Investoren bevorzugen sie als sicherere Anlagemöglichkeit für ihr Geld. Sie haben ihre Funktion bisher recht gut erfüllt, obwohl Fragen zum Verbraucherschutz oder zu ihrem Potenzial für illegale Aktivitäten die Aufmerksamkeit der Regulierungsbehörden auf sich gezogen haben.

Algorithmische Stablecoins sind jedoch eben nicht von Echtgeld gedeckt. [4] Das sah man an UST. Im Prinzip sind sie ein DeFi-Experiment, das nicht an Fiatgeld gekoppelt ist und keine Sicherheiten zur Stabilisierung ihres Wertes enthält. Stattdessen werden sie in der Regel durch einen zweiten Token in einer "Push-me-pull-you"-Gleichung gestützt. Terra zum Beispiel gleicht Schwankungen im Wert des Stablecoins aus, indem es das Angebot an Luna-Token durch Anreize erhöht oder verringert. Investoren können von diesen Tauschvorgängen profitieren, wodurch sie – theoretisch – Token in den Mengen handeln, die der Algorithmus vorhersagt. Aber vieles davon scheint magisches Denken zu sein.

Schon lange vor dem UST-Crash wurde allgemein davon ausgegangen, dass algorithmische Stablecoins weit weniger stabil sind als reguläre Stablecoins. Sogar Sam Bankman-Fried, CEO der Kryptobörse FTX und bekannter "Krypto-Milliardär", argumentierte auf Twitter, dass die beiden Arten von Stablecoins sowohl aus funktionaler als auch aus Risikoperspektive so unterschiedlich sind, dass "wir eigentlich nicht das gleiche Wort verwenden sollten".

Warum also algorithmische Stablecoins überhaupt nutzen? Weil sie der heilige Gral der DeFi sein sollten: eine stabile Werteinheit, die sich selbständig und elegant reguliert. Sie sprechen Bitcoin-Puristen an, weil algorithmische Stablecoins darauf abzielen, das zu vermeiden, worauf reguläre Stablecoins wie Tether und USDC angewiesen sind, um zu funktionieren: eine Verbindung zur realen Welt und zu traditionellen Märkten. Sie funktionieren allein auf der Grundlage von Code – abgesehen natürlich von den menschlichen Händlern, von denen das System annimmt, dass sie auf vorhersehbare Weise handeln. Wenn die algorithmischen Stablecoins die versprochene Leistung erbringen, könnten sie zeigen, dass Krypto-Code die Zukunft des Finanzwesens ist, und dieser Weltanschauung neue Glaubwürdigkeit verleihen.

Eine Zeit lang sah es so aus, als könnte das Experiment von Terra funktionieren. Im Februar schloss die Firma hinter dem Coin einen millionenschweren Sponsoringvertrag mit den Baseball-Team Washington Nationals ab. Vor etwas mehr als zwei Monaten, im März, wurde die Blockchain – zu diesem Zeitpunkt die siebtwertvollste der Welt – zum zweithäufigst genutzten Netzwerk hinter Bitcoin und verdrängte Ethereum. Doch am Montag, den 9. Mai, geriet alles aus den Fugen. Offenbar hat jemand entgegen den Vorhersagen des Algorithmus dafür gesorgt, dass der Wert von UST zu sinken begann. Dann stürzte die Münze weit unter den Wert von einem US-Dollar ab, den sie eigentlich halten sollte, angeheizt durch einen sehr menschlichen "Bank Run".

Als UST am Donnerstag vor zwei Wochen einen Wert von 0,37 Dollar erreichte, hat das verwaltende Unternehmen Terraform Labs als letzten Ausweg die Transaktionen in seinem Netzwerk vorübergehend gestoppt, um einen weiteren Rückgang zu verhindern, und die Währung dann über Nacht erneut eingefroren, um zu verhindern, dass Token-Inhaber das Wenige, das sie noch hatten, nehmen und abhauen. Seit dem Neustart des Netzwerks schwankt der UST von Terra in der letzten Woche deutlich unter 0,50 Dollar; Luna liegt knapp über Null.

Jedes Unternehmen im Krypto-Ökosystem hat seine eigene Erklärung dafür, warum es zu einem Crash kommt. Der mit Spannung erwartete NFT-Marktplatz von Coinbase hatte Ende April einen enttäuschenden Start [5], was die Investoren abgeschreckt und dem Aktienkurs geschadet haben könnte. Die "Luna Foundation Guard", jene Non-Profit-Organisation, die Terraform Labs unterstützt, hatte bis Anfang Mai 3,5 Milliarden Dollar in Bitcoin gehortet und schien dann einen Teil ihrer Bestände zu verkaufen, um sich über Wasser zu halten, als der UST-Preis zu sinken begann.

Beide Aktionen könnten dazu beigetragen haben, dass der Wert von Bitcoin sank. Einige Terra/Luna-Anhänger beschuldigten die großen Investmenthäuser BlackRock und Citadel sogar, den Markt absichtlich manipuliert zu haben, um UST zum Absturz zu zwingen – ein Gerücht, das bösartig genug war, um die Unternehmen zu einer Stellungnahme zu veranlassen, in der sie beteuerten, dass sie keinen Einfluss auf das Ereignis hatten. Und dann ist da noch die Frage des Managements. CoinDesk berichtete, dass der CEO von Terraform Labs auch hinter einem früheren gescheiterten DeFi-Experiment stand.

Aber all diese problematischen Teile summieren sich zu einem experimentellen System, das für die gleichen Markttrends anfällig ist wie das traditionelle Finanzwesen – nur ohne strenge Regulierung und echte Leitplanken. Der Preis für die wilde Fahrt der vorletzten Woche beläuft sich auf rund 270 Milliarden Dollar [6] an verlorenen Krypto-Vermögenswerten. Sogar der nicht-algorithmische Stablecoin Tether – selbst immer wieder hinterfragt – rutschte letzte Woche kurzzeitig unter die 1-Dollar-Marke, was darauf hindeutet, dass Standard-Stablecoins möglicherweise nicht gegen Volatilität immun sind. Und die Auswirkungen all dieser Aktivitäten enden wahrscheinlich nicht an der Grenze der Kryptowährungen.

Mit der Nutzung von Kryptoprodukten durch Banken und nicht-algorithmischer Stablecoins, die auf Papiergeld angewiesen sind, um sie stabil zu halten, ist die Kryptoindustrie in mehrfacher Hinsicht eindeutig mit dem Rest des Finanzmarktes verbunden. Die Frage ist nun, ob die fallenden Preise im Gegenzug traditionelle Aktien nach unten ziehen werden. Im Januar prophezeite Paul Krugman in der "New York Times", dass Kryptoanlagen die neuen Subprime-Hypotheken [7] sein könnten – faule Eier, die den gesamten Markt verderben. Diese Woche haben einzelne Krypto-Investoren angeblich bereits ihre gesamten Ersparnisse verloren. Es könnten noch mehr Schmerzen bevorstehen.

Aber selbst wenn sich die sozialen Medien mit spöttischen Memes füllen und skeptische Medien dies als den "Beginn eines Krypto-Winters" bezeichnen – das war es sicher noch nicht. Investoren und Krypo-Fans machen sich auf einen Neustart bereit, denn auf den Winter kommt der Frühling. Am Mittwoch twitterte der Terra-Gründer Do Kwon einen Brief an seine Community, in dem er seinen Plan zur Wiederbelebung des Stablecoins beschrieb und versicherte, dass es wieder aufwärts gehen wird. "Kurzfristige Stolpersteine definieren nicht, was man erreichen kann", schrieb er. "Es kommt darauf an, wie man auf sie reagiert." Der Gründer von Coinbase, Brian Armstrong, behauptet ebenfalls, sich voll und ganz auf die Zukunft zu konzentrieren – trotz Aktienrutsch. In einem internen Memo, das Armstrong veröffentlichte, schrieb er: "Volatilität ist unvermeidlich. Wir können sie nicht kontrollieren, aber wir planen sie ein." Man werde stärker aus der Krise kommen.

[8]

Viele Krypto-Gläubige sind auf eine lange Reise vorbereitet. Die vorherrschende Philosophie der Web3-Enthusiasten ist HODL: "Hold on for dear life." Das ist sowohl zum Wohle der Krypto-Gemeinschaft gedacht als auch zum Erhalt des Wertes der eigenen Bestände bei einer Kursdelle. Einige "Lunatics", wie sich Terra/Luna-Fans und Investoren selbst nennen, halten tatsächlich an ihren Coins fest. Do Kwons Plan, Terra wieder gesund zu pflegen, bedeutet, dass eine große Menge an Terra-Token "verbrannt" wird, was Terra- und Luna-Besitzer erhebliche Werte kostet. Bis Sonntag letzter Woche hatten mehr als 60 Prozent der Inhaber von Governance-Token für den Plan gestimmt; es sind nur 40 Prozent nötig, um ihn zu verabschieden.

Das nächste Kunststück wird für Investoren und Führungskräfte sein, den Rest der Welt davon zu überzeugen, dass Krypto – insbesondere Bitcoin und Stablecoins – immer noch ein gesundes Experiment ist. Dafür gibt es gute Gründe: Der Glaube allein kann die ungedeckten Kryptomärkte tatsächlich nach oben treiben. In einer gut getimten Erklärung am Donnerstag letzter Woche gab das Bitcoin-Lightning-Netzwerk-Startup Lightspark – gegründet von einem Veteranen des geschlossenen Stablecoin-Projekts von Meta – bekannt, dass es unter anderem von den großen Web3-Akteuren Andreessen Horowitz und Paradigm finanziert wird. Am selben Tag gab Bankman-Fried bekannt, dass er eine bedeutende neue Investition in die schwächelnde Investmentplattform Robinhood getätigt hat; daraufhin sprang die Aktie um 22 Prozent. Weitere vertrauensstiftende (und aktiensteigernde) Ankündigungen von Krypto-Größen dürften folgen.

Es bleibt abzuwarten, ob das echte Geld, das noch immer von VCs und Evangelisten in die Branche fließt, sie durch eine eisiger werdende Zeit führt. Gelingt der Weg zurück zur Sonne, fragt sich, wer dabei übrig bleibt – und wie viele untergehen.

(jle [9])


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https://www.heise.de/-7100019

Links in diesem Artikel:
[1] https://wifpr.wharton.upenn.edu/wp-content/uploads/2021/05/DeFi-Beyond-the-Hype.pdf
[2] https://www.heise.de/thema/Bitcoin
[3] https://www.heise.de/news/Kryptowaehrungen-Abstuerzende-Kurse-und-steigende-Sorge-um-Stablecoins-7089388.html
[4] https://www.wsj.com/articles/cutting-edge-crypto-coins-tout-stability-critics-call-them-dangerous-11650226597
[5] https://techcrunch.com/2022/05/06/coinbases-nft-marketplace-is-off-to-a-lackluster-start/
[6] https://www.bloomberg.com/news/articles/2022-05-13/after-crypto-s-270-billion-meltdown-an-uneasy-calm-returns
[7] https://www.nytimes.com/2022/01/27/opinion/cryptocurrency-subprime-vulnerable.html
[8] https://www.instagram.com/technologyreview_de/
[9] mailto:jle@heise.de