Künstliche Mäuse-Embryonen mit schlagenden Herzen erzeugt

Aus Stammzellen hergestellte Nager-Embryonen könnten dabei helfen, die ersten Phasen der Schwangerschaft besser zu verstehen.

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(Bild: Amadei und Handford / University of Cambridge / California Institute of Technology)

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Von
  • Rhiannon Williams
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Forschern an der University of Cambridge und dem California Institute of Technology ist es gelungen, Mäuse-Embyronen aus Stammzellen zu erzeugen, die bereits eine fortschrittliche Gehirnentwicklung zeigten – deutlich mehr als bislang gezüchtete synthetische Minimäuse. Konkurrierenden Wissenschaftlern war es zwar bereits gelungen, Stammzellen als Mäuse-Embryonenquelle zu verwenden. Doch bislang schaffte es noch niemand, den Punkt zu erreichen, an dem sich das gesamte Gehirn, einschließlich des zentralen vorderen Teils, zu entwickeln begann, so das US-britische Team in seinem Paper.

Die Ergebnisse, die im Journal "Nature" beschrieben wurden, könnten der Forschung helfen, mehr über die Entwicklung menschlicher Embryonen zu erfahren und ganz neue Einblicke in Krankheiten zu gewinnen. Außerdem könnte so eine Alternative zu Tierversuchen gefunden werden, die von Naturschützern als problematisch betrachtet werden.

Die neuen Embryonen aus Mäusestammzellen, die ohne Spermien oder Eizellen entstanden sind, wurden im Labor zusammen mit natürlichen Nager-Embryonen herangezogen. Sie spiegelten dabei die gleichen Entwicklungsstadien bis zu achteinhalb Tagen nach der Befruchtung wider und entwickelten bereits schlagende Herzen und andere Organgrundlagen, einschließlich der Neuralrohre, aus denen sich schließlich das Gehirn und das Rückenmark entwickeln.

"Ich denke, das ist ein großer Fortschritt", kommentiert Leonardo Beccari vom Zentrum für Molekularbiologie Severo Ochoa in Madrid, der die Studie kennt. Die Untersuchung der Frage, wie Mäusestammzellen in diesem Stadium der Entwicklung interagieren, könnte auch wertvolle Erkenntnisse darüber liefern, warum menschliche Schwangerschaften manchmal frühzeitig zu Abbrüchen führen – und wie dies künftig verhindert werden kann.

"Dies ist die erste Entwicklung eines Vorderhirns in einem Modell der Embryonal-Entwicklung – und das ist so etwas wie der heilige Gral für das Forschungsfeld", kommentiert David Glover, Forschungsprofessor für Biologie und Bioingenieurwesen am Caltech, Mitautor der Untersuchung.

Stammzellen sind bekanntlich in der Lage, sich zu spezialisierten Zellen wie Muskel-, Gehirn- oder Blutzellen zu entwickeln. Die synthetischen Embryonen wurden aus drei Zelltypen von Mäusen hergestellt: embryonale Stammzellen, die den Körper bilden, Trophoblasten-Stammzellen, aus denen sich die Plazenta entwickelt, plus extraembryonale endoderme Stammzellen, die zur Bildung des Eiersacks beitragen.

Die Embryonen wurden dann in einem künstlichen Inkubator herangezüchtet, der von Jacob Hanna vom Weizmann-Institut in Israel entwickelt wurde. Der Forscher hatte erst kürzlich realistische Mäuseembryonen mehrere Tage lang in einer mechanischen Gebärmutter wachsen lassen – bis sie schlagende Herzen, Blutfluss und Schädelfalten entwickelten. Hanna ist nun auch Mitautor der neuen Studie.

Durch die Nachahmung der natürlichen Prozesse, die bei der Bildung eines Mäuse-Embryos in einer Gebärmutter ablaufen, konnten die Forscher die Zellen dazu bringen, miteinander zu kooperieren, so dass sie sich selbst zu Strukturen organisierten, die über verschiedene Entwicklungsstadien hinweg bis zu dem Punkt fortschritten, an dem sie schlagende Herzen und die Grundlagen für die gesamte Gehirnentwicklung aufwiesen.

Das Team entfernte dabei auch ein Gen namens Pax6, das für die Bildung des zentralen Nervensystems und die Entwicklung von Gehirn und Augen unerlässlich ist – um zu testen, wie die Modellembryonen reagieren würden. Die synthetischen Minimäuse wiesen daraufhin die gleichen bekannten Mängel in der Gehirnentwicklung auf wie ein echtes Tier, das die Mutation trägt. Als Nächstes will die Gruppe nun Gene mit unbekannten Funktionen in der Gehirnentwicklung ausschalten, was Aufschluss über die Ursache bestimmter Defekte geben könnte.

Menschliche Modell-Embryonen aus Stammzellen könnten eines Tages – wenn die ethische Dimension geklärt ist – eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, zu verstehen, warum bestimmte Genmutationen auftreten. Auch bei der Erprobung potenzieller Behandlungsmethoden für eine Reihe von Erkrankungen wären sie äußerst hilfreich.

Noch sind die Forscher aber selbst bei den Nagern noch nicht zur Perfektion gelangt. Die synthetischen Embryonen erreichten zwar das gleiche Entwicklungsstadium wie die natürlichen Mäuseembryonen, aber sie hörten etwa nach der Hälfte der für Mäuse typischen Schwangerschaftsdauer von 19 bis 20 Tagen auf, zu wachsen. Eine Entwicklung über den achten Tag hinaus unterblieb. Im Labor von Hanna trat zuvor das gleiche Problem auf. Die Forscher wissen noch nicht, warum das so ist. Sie arbeiten deshalb bereits an einer synthetischen plazentaähnlichen Struktur, die es den synthetischen Embryonen ermöglichen soll, mindestens ein oder zwei Tage über die Acht-Tage-Marke hinaus weiterzuwachsen.

Die Überschreitung dieses Punktes wäre für die Entwicklung neuer Medikamente und die Feststellung, welche Wirkstoffe mit der natürlichen Entwicklung vereinbar sind, sehr wichtig, sagt Magdalena Zernicka-Goetz, Professorin für Säugetierentwicklung und Stammzellbiologie am Cambridge Department of Physiology, Development and Neuroscience. Sie war Studienleiterin. Ihre Arbeit an künstlichen Embryonen wurde von MIT Technology Review bereits als eine der zehn bahnbrechenden Technologien des Jahres 2018 ausgezeichnet.

(bsc)