KĂĽnstliche Ohren

Der Deutsche Zukunftspreis 2012 geht an eine Forschergruppe von der Universität Oldenburg und dem Elektronikkonzern Siemens. Das Team unter Leitung von Birger Kollmeier hat Hörgeräten die räumliche Wahrnehmung beigebracht.

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Von
  • Robert Thielicke

Der Deutsche Zukunftspreis 2012 geht an eine Forschergruppe von der Universität Oldenburg und dem Elektronikkonzern Siemens. Das Team unter Leitung von Birger Kollmeier hat Hörgeräten die räumliche Wahrnehmung beigebracht.

Am gestrigen Abend verlieh Bundespräsident Joachim Gauck den mit 250.000 Euro dotierten Preis im Tempodrom in Berlin. Er wird seit 1997 für herausragende Innovationen mit einem großen Marktpotenzial vergeben.

Das dieses Jahr ausgezeichnete Team entwickelte sogenannte binaurale Hörgeräte. Die Technologie erlaubt es, die Hörhilfen des rechten und linken Ohrs per Funk so aufeinander abzustimmen, dass ein natürliches Hörgefühl entsteht. Das gelingt durch die elektronische Verarbeitung der eingehenden Geräusche. Algorithmen analysieren, aus welcher Richtung sie kommen und berechnen daraus, wie die beiden Hörverstärker reguliert werden müssen. Gleichzeitig lassen sich auf diese Weise auch Störgeräusche besser unterdrücken. Den Forschern zufolge können sich Hörgeschädigte dank der Technik besser im Stimmengewirr einer Party oder anderen geräuschintensiven Umgebungen orientieren. Doch nicht nur sie soll das System nützlich sein, hofft Teamleiter Kollmeier: „Wir wollen auch den Höreindruck in der Unterhaltungselektronik verbessern.“ Der Deutsche Zukunftspreis sei für ihn „der Höhepunkt nach einer 25 Jahre dauernden Forschungsarbeit“.

Die Entscheidung war dem Vernehmen nach knapp. Denn spannende Entwicklungen hatten auch die ĂĽbrigen drei Nominierten aufzubieten.

Die wohl eingängigste lieferte das Team um Thomas Wiegand. Die Entwicklung von Fraunhofer Institut für Nachrichtentechnik und Technischer Universität Berlin ermöglicht es, selbst Videos in HD auf Smartphones zu speichern und über das Internet zu verschicken. Die Wissenschaftler lieferten einen entscheidenden Beitrag zur einer Komprimierungsmethode namens H.264/AVC, die mittlerweile weltweit Standard ist. In mehr als einer Milliarde Geräte findet sie schon Verwendung. Einer ihrer Tricks ist, dass nicht mehr komplette Filme Bild für Bild gespeichert werden, sondern nur noch jene Elemente, die sich verändern. Bewegt sich etwa eine Person vor einem immer gleichen Hintergrund, wird dieser Hintergrund nur einmal abgelegt – und in jede Szene hineinkopiert. Die Datenmenge schrumpft ohne merklichen Qualitätsverlust auf handhabbare Größen. Der Endpunkt der Komprimierung ist „damit aber noch lange nicht erreicht“, glaubt Wiegand. „Es gibt natürlich eine Untergrenze, aber wir kennen sie nicht.“

Wirtschaftlich mindestens ebenso relevant, und für die Zukunft vielleicht noch entscheidender, ist die Innovation der Ingenieure um Stefan Rüping vom Chiphersteller Infineon. Sie waren mit einer völlig neuartigen Sicherheitsarchitektur für Chips für den Deutschen Zukunftspreis nominiert, der so genannten Integrity Guard. Dank zwei neuer Barrieren lassen sie sich kaum noch manipulieren. Erstens geschehen selbst die Rechenoperationen auf den Bauteilen verschlüsselt. In herkömmlichen Chips müssen die Daten für diese Operationen entschlüsselt werden und können dabei abgefangen werden. Zweitens laufen die schützenswerten Rechenoperationen auf zwei verschiedenen Chips, die sich gegenseitig kontrollieren. Kommt es dabei zu Unstimmigkeiten, wird der Prozess abgebrochen. 100 Millionen Chips auf dieser Basis hat Infineon bisher verkauft. Sie befinden sich etwa auf EC-Karten. „Aber sie kommen für viele weitere sensible Bereiche in Frage, von intelligenten Stromzählern bis hin zu vernetzten Autos“, betont Rüping.

Weiter vom Alltag entfernt ist die Entwicklung der Gruppe um Alberto Moreira vom Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum DLR – und das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Die Wissenschaftler hatten mit TanDEM-X ein revolutionäres Satellitensystem verwirklicht, das in 514 Kilometern Höhe die Erde umkreist. Dabei fliegen zwei Radarmessgeräte in einem so exakten Abstand zueinander, dass dreidimensionale Aufnahmen der Erde mit einer Genauigkeit von zwei Metern möglich sind. „Innerhalb von drei Jahren können wir damit die gesamte Erdoberfläche kartieren“, verspricht Moreira. Zudem ist bereits eine neue Antenne in Arbeit, um die Auflösung noch einmal um den Faktor Hundert zu steigern. (rot)