Maker verteidigen die Ukraine: Ein Jahr Gegenwehr mit innovativer Technik

Leitwerke für Granaten aus dem 3D-Drucker, Kamikaze-FPV-Drohnen und rollende Werkstätten – in der Ukraine prägt der Krieg auch die Projekte von Makern.

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Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Jurij Wlasjuk
Inhaltsverzeichnis
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Am 24. Februar 2022 gegen 04:50 Uhr sind wir aufgewacht, meine Frau Switlana und ich, und haben diskutiert, ob die Geräusche draußen von einer Rakete stammen oder nicht. Dann kamen unsere Kinder ins Schlafzimmer und wir haben sie unter die Bettdecken kriechen lassen. Wir lasen die Nachrichten und die Mitteilungen in unseren Messengern. Die Kinder beruhigten wir zwar, erklärten ihnen aber auch, dass ein Krieg begonnen hatte und wir sie an einen sicheren Ort bringen würden.

Uns war klar, dass die Schlacht um Kiew lange andauern würde, und wir beschlossen daher, die Kinder so weit entfernt von den Raketen unterzubringen, wie irgend möglich. Innerhalb von Stunden machten sich viele, viele Menschen mit dem Auto auf die Flucht aus der Stadt und verursachten enorme Staus. Wir warteten ab, besuchten einige Freunde und erkundigten uns bei anderen per Telefon, wie es ihnen ging. Um 21:00 Uhr hatte sich die Verkehrslage deutlich verbessert und wir verließen Kiew Richtung Lwiw im Westen. Diesmal dauerte die Reise 26 Stunden anstatt der üblichen 6 oder 7.

Nach zwei Tagen kehrte ich mit einem Freund nach Kiew zurück, der jetzt als PA-Berater (Public Affairs) für die Territorialverteidigung der Ukraine arbeitet, das ist die Reservistenorganisation. Switlana und die Kinder überquerten die Grenze nach Polen. Dort wurden sie von einem Freund abgeholt und nach Deutschland gebracht, wo sie bis heute leben. Ich blieb in Kiew, um mein Unternehmen für Computerhandel und Beratung am Laufen zu halten. Viele Nächte lang schlief ich auf einer Matte im Flur, weil das der sicherste Ort für mich war. Und ich nutzte jede freie Minute, um Freiwillige und Maker-Netzwerke zu unterstützen. Denn diejenigen von uns, die nicht im Kampfeinsatz waren, halfen, wo wir nur konnten, knüpften Kontakte zu anderen und beschafften ihnen die benötigten Ressourcen.

Nach einem Raketeneinschlag brennt es in Kiew.

(Bild: Jurij Wlasjuk)

Als wir 2015 erstmals die Maker Faire in der Ukraine organisierten, war unsere Hoffnung, ein Freiwilligennetz aus Makern aufzubauen. Wir haben 15 Mini-Maker-Faires in fünf Städten auf die Beine gestellt, ebenso ein zweitägiges Camp für Makerspace-Leitungen und wir planten, im Sommer 2022 ein Maker-Hacker-Camp zu veranstalten. Wir wollen eine Kultur verändern, die Switlana als charakteristisches Relikt der Sowjetzeit beschreibt: "sehr wenig Vertrauen, wenig Initiative, wenig neue Ideen". Sie ist überzeugt, dass die Ukraine "sehr hungrig nach Ideen, Startups und neuen Bildungsformen ist, insbesondere weil Schulen und Lehrer noch aus der alten Zeit stammen".

Krieg ist nichts Neues für die Ukraine. Wir sind seit 2014 im Kriegszustand und gingen fest davon aus, dass ein großer Krieg bevorstand. Unser Land ist schon länger geschwächt, und viele unserer Institutionen standen unter russischem Einfluss. Was wir brauchten, war eine große Bewegung aus Freiwilligen, die unsere Streitkräfte bei der Verteidigung unseres Landes unterstützen.

Im Hacklab Kiew geschweißte Nagelsperren

(Bild: Artem Synyzyn)

Zu Beginn des Krieges beschlossen dann viele, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, und sei es nur, um gegen die Angst und die Unsicherheit durch die Invasion und den Mangel an Informationen anzukämpfen. So organisierten wir uns selbst und konnten unabhängig von den Behörden agieren. Als Maker können wir Anfragen von Verwandten in nicht besetzten Regionen oder von Freunden in der ukrainischen Armee oder der Territorialverteidigung aufgreifen. Wir können eigene Tools einsetzen oder Kontakt zu Menschen in unserem Netzwerk aufnehmen, die das nötige Wissen oder die nötigen Tools haben.

3D-Druck

Der Sammelbegriff 3D-Druck steht heute für ein ganzes Bündel von Fertigungstechniken, die nach unterschiedlichen Prinzipien funktionieren und sich jeweils nur für ganz bestimmte Materialien eignen. Ihr gemeinsamer Nenner: Alle Verfahren bauen dreidimensionale Objekte, indem sie Material in dünnen Schichten auftragen und verfestigen.

Eine Umfrage im letzten Herbst hat ergeben, dass es der dringendste Wunsch der befragten 196 ukrainischen Maker ist, Neues zu lernen, von besonderem Interesse ist 3D-Druck. Aktuell gibt es ungefähr 18 Makerspaces in der Ukraine, und viele davon stellt der Krieg vor Probleme bei der Finanzierung. Im November 2022 wurde ein Makerspace in Kiew von einer Rakete getroffen. Dadurch haben wir einen Teil unserer Ausstattung verloren, unter anderem 3D-Drucker, aber immerhin wurde bei der Explosion niemand verletzt, weil der Einschlag in den frühen Morgenstunden kam.

Zahlreiche Maker wurden zur Armee eingezogen. Dort beschäftigen sich die meisten von ihnen damit, Prozesse zu verbessern, neue Technologien zu entwickeln und zu verfeinern, Vertrauen in ihren Teams aufzubauen, und all das mit großem Engagement. Außerhalb der Armee helfen zivile Maker, die Streitkräfte mit dringend benötigter Ausrüstung zu beliefern und Geräte umzubauen oder zu reparieren.