Maschinen nach dem Lego-Prinzip

Schnell und kostengünstig müssen Maschinen produzieren. Künftig müssen sie auch modular und flexibel sein, denn die Betreiber fordern immer individuellere Produkte. Die deutschen Maschinenbauer erfüllen diese Wünsche – auch mit ansprechendem Design.

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Von
  • Bernd MĂĽller

Schnell und kostengünstig müssen Maschinen produzieren. Künftig müssen sie auch modular und flexibel sein, denn die Betreiber fordern immer individuellere Produkte. Die deutschen Maschinenbauer erfüllen diese Wünsche – auch mit ansprechendem Design.

Industrie 4.0 und Big Data treiben die Unternehmen um und dort vor allem die IT-Abteilungen. Jede Maschine, jeder Container und jedes Bauteil speichert seinen Zustand, da fallen Terabytes an Daten an. Doch Industrie 4.0 ist kein reines IT-Thema – im Gegenteil: Es ist die Basis für neue Geschäftsmodelle. Im Kern geht es um mehr Flexibilität in der Produktion, an die Stelle von Massenprodukten mit Millionenstückzahlen treten Produkte, die auf den Anwender zugeschnitten sind – Stichwort „Losgröße 1“. Das erhöht den Anpassungsdruck auf die Maschinenbauer. Früher musste eine Maschine einen Arbeitsschritt möglichst schnell mit höchster Wiederholgenauigkeit reproduzieren. In der Fabrik der Zukunft werden aber Maschinen gebraucht, die jetzt eine Handyschale und in einer Stunde ein Staubsaugergehäuse herstellen können. Diese Flexibilität erfordert fast zwangsläufig mehr Modularität, also Maschinen, die sich minutenschnell für neue Bearbeitungsschritte umrüsten lassen, indem man Bohrer, Fräse oder Handhabungseinrichtungen wie Legosteine austauscht. Oder Maschinen, die sich blitzschnell selbst umrüsten, wenn ein neues Bauteil auf dem Fließband ankommt, das anders bearbeitet werden will.

Maschinen nach dem Lego-Prinzip (4 Bilder)

85 Prozent weniger Verkabelung verspricht das modulare Antriebssystem IndraDrive Mi (Bild: Bosch Rexroth AG)

Modularität bei Maschinen lohnt sich schon bei der Inbetriebnahme. Bisher wurden Maschinen erst zusammengebaut und dann für den Transport zum Teil wieder zerlegt und im Werk des Kunden wieder zusammengesetzt. Heute konstruieren immer mehr Maschinenhersteller modulare Baukastensysteme, die sie beim Kunden zeit- und kostengünstig montieren können. Schätzungen gehen davon aus, dass die Zeit zur Inbetriebnahme dadurch auf ein Fünftel schrumpft, Ähn­liches gilt für Reparaturen.

85 Prozent weniger Kabel

Dazu müssen die einzelnen Komponenten in den Modulen dafür geeignet sein. So hat Bosch-Rexroth den motorintegrierten Servoantrieb IndraDrive Mi entwickelt. Diese Motor-Regler sind so kompakt, dass sie sich in die Module einbauen lassen. Das im Antrieb integrierte Motion-Logic-System regelt bis zu zehn Achsen. Dazu wertet es eigenständig die Prozesssignale der Sensoren aus. Für Stromversorgung, Synchronisation und Feedback genügt ein Kabel. Das reduziert den Verkabelungsaufwand um bis zu 85 Prozent. Auch nachträglich können Maschinenhersteller vorkonfigurierte Module wie etwa weitere Prozessstationen einfach mit einem Kabel in die Maschine integrieren – ohne Eingriff in den Schaltschrank.

Mechanische Modularität erfordert elektrische Modularität, also Kabel und Stecker, die sich in Sekunden abziehen und neu verbinden lassen. Phoenix Contact hat dazu platzsparende Kabeldurchführungen für Schaltschränke entwickelt, für die Energieversorgung gibt es den Steckverbinder Duplicon, der nicht nur dem Namen nach an die großen Duplo-Steine für Kleinkinder von Lego erinnert. Die robusten Steckergehäuse lassen sich einfach aufeinanderstapeln.

Modularität hilft, neue Kunden zu erschließen. Vor allem Kunden in Schwellenländern kaufen gerne günstige Maschinen mit Grundfunktionen, die sie im Lauf der Zeit durch weitere Module aufrüsten und möglichst viele Jahre nutzen können. Ein weiterer Wunsch der Betreiber sind möglichst kompakte Maschinen. Insbesondere Werkzeugmaschinen zur Bearbeitung kleiner Werkstücke haben ein ungünstiges Verhältnis von Bauraum zur Werkstückgröße.

Um die Maschinen allerdings klein zu halten und so flexibel, dass sie sich dem Werkstück anpassen können, müssen die Entwickler über neue Bearbeitungskonzepte nachdenken. Ein Forschungsvorhaben des Instituts für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen der Universität Stuttgart und des Instituts für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik der TU Braunschweig setzt auf eine kooperative Bewegung von Teilkinematiken. Das Werkstück ist nicht mehr unbeweglich eingespannt mit einem Werkzeug, das sich darum herum bewegt, sondern beide bewegen sich koordiniert. Antriebsgeschwindigkeit und Spitzenstrom im Motor halbieren sich, was Maschinen kompakter und energieeffizienter macht.

Design fĂĽr Macho-Maschinen

Mit dem Trend zur Modula­rität wandelt sich auch das Design von Maschinen. Grün, klotzig und tonnenschwer – so sahen Produktionsmaschinen bisher aus. Bunt, filigran und dennoch kraftvoll sollen sie in Zukunft wirken. Im Maschinenbau ist die Erkenntnis angekommen, dass gutes

Design auch bei Investitionsgütern verkaufsfördernd ist. „Design lohnt sich nicht nur für die Maseratis oder Apples dieser Erde, sondern auch für uns Maschinenbauer“, sagt Andreas Bauer, Direktor für Marketing bei der Kuka Roboter GmbH. Die Augsburger haben schon mehrere Preise beim Red Dot Award, dem führenden Designpreis, eingeheimst. „Sähen unsere Roboter weniger kraftvoll, schnell und präzise aus, als sie tatsächlich sind, dann müssten wir bedeutend mehr Geld ausgeben, um die Kunden von der tatsächlichen Leistung unserer Roboter zu überzeugen“, so Bauer. Das sehen auch andere so. Der Bielefelder Maschinenbauer Gildemeister befragte 2007 auf der Maschinenbaumesse Emo rund 4000 Fachbesucher, ob Design die Kaufentscheidung beeinflusse. Mehr als 80 Prozent bejahten die Frage und die Quote dürfte seither noch gestiegen sein.

Der Nutzen von Design im Maschinenbau liege keineswegs nur in der Ästhetik, sondern im wirtschaftlichen Erfolg, ist daher Jürgen R. Schmid überzeugt. Der Schwabe hat vor 30 Jahren Design Tech gegründet und vor 15 Jahren das Prinzip „Design to success“ aus der Taufe gehoben. Absatzsteigerungen um 600 Prozent oder Einsparungen im Millionenbereich mittels einfacherer Bedienbarkeit allein durch gutes Design führt Schmid als Erfolgsbeispiele an. „Unsere Kunden haben immer Erfolg“, verspricht er. Und so kann es sich das Unternehmen in Ammerbuch bei Tübingen leisten, Honorare auf Erfolgsbasis zu vereinbaren. Entwirft das Team zum Beispiel eine neue Maschine und diese übertrifft die Verkäufe des alten Modells, erhält Design Tech einen Anteil an diesem Plus.

Nur schön reicht nicht

Wenn die Kunden zu Schmid kommen, haben sie in der Regel keine genaue Vorstellung, was sie eigentlich wollen. „Ein schöneres Produkt“, lautet meist der vage Wunsch. Doch bis das Produkt erstmals die Werkshalle verlässt, ist es ein langer Weg. Design Tech macht Marktstudien und arbeitet mit dem Kunden die Alleinstellungsmerkmale heraus, die sich dann im Design wiederfinden. Wenn der potenzielle Kunde unbelehrbar bleibt, lehnt Schmid auch Aufträge ab. Das Ergebnis ist fast immer eine preisgekrönte Ästhetik mit einer Absatzsteigerung im Gepäck.

Obwohl es Kriterien für gutes Maschinendesign gibt, sehen die Produkte völlig unterschiedlich aus, vor allem für Kunden aus Asien. So hat das Design-Tech-Team für den japanischen Maschinenbauer Makino ein Gehäuse entworfen, das in dem weißen Sockel einen Knick hat. „Das sieht aus wie ein gefaltetes Origami-Papier und weist auf die japanische Herkunft hin“, so Schmid.

Für die Entwürfe seines Teams greift Schmid sogar auf Erkenntnisse des renommierten Ulmer Hirnforschers Manfred Spitzer zurück. Der weiß zum Beispiel, dass unser Gehirn unterbewusst Unordnung mit Gefahr gleichsetzt. Wenn wir eine Umgebung unübersichtlich finden, erinnert uns das daran, dass gleich ein Säbelzahntiger aus dem Gebüsch springen kann. Fürs Maschinendesign bedeutet das, dass die Gestaltung einfach und aufgeräumt sein soll, ohne viele Ecken und Kanten oder viele Bedienelemente. Das vermittelt Sicherheit, was im Fabrikumfeld mit Betriebssicherheit gleichgesetzt wird.

Schwarz und edel

In Reinkultur haben das die Ammerbucher bei einer Maschine für Supfina umgesetzt. Die Front der neuen Maschine RACE aus Wolfach sieht aus wie Klavierlack, schwarz und glatt. Gemeinsam mit dem Kunden hat man eine Schiebetür entwickelt, die völlig bündig schließt – ein Novum im Maschinenbau. „Das damit verbundene Produkterlebnis erinnert an das Design von Bang & Olufsen, dem legendären dänischen Hersteller von Hifi- und TV-Geräten“, findet der Design-Tech-Chef.

Ein weiteres Novum ist der 3D-Drucker der Firma Arburg. Er arbeitet mit dem Originalgranulat, das Arburg auch für seine Spritzgussmaschinen verwendet. Damit beide Maschinentypen in der Fabrik zusammenpassen, verpasste Design Tech dem 3D-Drucker ein schlankes Design, das nahtlos an eine Spritzgussmaschine andocken kann. Und im Labor macht das Gerät als frei stehendes Stück ebenfalls eine gute Figur. Für Arburg war nicht nur das Design eine Revolution, sondern auch das Material. Denn die Form war nur mit einem Kunststoffgehäuse zu verwirklichen – was für ein Pionierunternehmen in der Blechbearbeitung bis dahin undenkbar war. Vorher waren alle Gehäuse aus Blech.

Für die modularen Maschinen der Zukunft hat Design Tech ein Baukastensystem Maschinencloud aus zehn Designmerkmalen entwickelt. Sind mindestens sieben der Merkmale gleich, wird das Design als identisch empfunden, auch wenn ein Element verändert werden muss, etwa weil die Maschine eine neue Funktion bekommt. So bleibt der Wiedererkennungswert auch dann erhalten, wenn sich die Maschine verändert.

Welche Herausforderungen auf das Maschinendesign künftig zukommen, hat der Arbeitskreis „Maschine 2020“ auf Initiative von Design Tech mit dem Landesnetzwerk Mechatronik Baden-Württemberg im vergangenen Jahr in einem Kreativworkshop diskutiert. Modularität war dabei ein wichtiges Thema. In diesem Jahr soll der Workshop auf den Zeithorizont 2025 erweitert werden, dann mit dem Fokus auf das Thema Industrie 4.0. Aspekte wie Ökologie, Globalisierung, Automatisierung und Design sollen darin ganzheitlich betrachtet werden – und vielleicht sogar die Religion. Diesen Aspekt jedenfalls warf Friedrich Kilian, ehemaliger Leiter für Forschung und Entwicklung des Lasermaschinenherstellers Trumpf, bei der Vorbereitung zum Workshop in die Runde. Vielleicht gibt es künftig Maschinen, die für Mitglieder einer bestimmten Glaubensrichtung designt werden. (jlu)