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Missing Link: Alltag und Krisen - wie Corona das Internet immer noch verändert

Simon Koenigsdorff
Missing Link: Alltag und Krisen - wie Corona das Internet immer noch verändert

(Bild: lekkystockphoto / shutterstock.com)

Traffic-Daten zeigen, dass viele Internetdienste in Deutschland trotz Lockerungen immer noch die Folgen der Pandemie spüren – im Guten wie im Schlechten.

Als im März viele Staaten das öffentliche Leben wegen der Corona-Pandemie stark einschränkten, wurden Onlinedienste wichtiger als je zuvor. Das Leben vieler Menschen, auch in Deutschland, veränderte sich radikal – und verlagerte sich in vielen Bereichen ins Internet: Videokonferenzen statt persönlicher Treffen, digitale statt analoger Unterhaltung, Online-Shopping statt Einkaufsbummel.

Die schlagartig ansteigende weltweite Internetnutzung machte bereits im März Schlagzeilen: Der Frankfurter Internetknoten DE-CIX meldete einen Weltrekord beim Datendurchsatz [1]. Streamingdienste sahen sich dazu genötigt, die Bildqualität zu senken [2], um Bandbreite zu sparen. Auch erste Datenanalysen am Beginn des Lockdowns zeigten starke Veränderungen im digitalen Verhalten der Menschen, zum Beispiel einen vermehrten Zulauf auf Streamingplattformen und in sozialen Netzwerken [3].

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Viele Menschen in Deutschland bewegen sich inzwischen in ihrem Alltag wieder fast wie vor der Pandemie. Doch die Nutzungsdaten verschiedener Webseiten und Onlinedienste zeigen, dass die Auswirkungen auch Ende Juli noch bei vielen Anbietern deutlich spürbar sind. Dafür hat heise online die wöchentlichen Seitenbesuche aus Deutschland auf verschiedenen großen Webseiten von Ende Januar bis Ende Juli ausgewertet. Als Grundlage dienen Daten der Analysefirma SimilarWeb [5], die mithilfe von Stichproben und internen Daten von Webseitenbetreibern Traffic-Hochrechnungen erstellt. Außerdem haben wir verschiedene öffentliche Quellen ausgewertet.

Den Anfang machen drei der größten Onlinedienste überhaupt: YouTube, Netflix und Facebook. Mit der ersten untersuchten Woche als Referenzpunkt zeigt der prozentuale Zeitverlauf, dass alle drei Seiten spätestens ab der Woche vom 15. März einen starken Zuwachs an Besuchen aus Deutschland verzeichnen konnten. Das war noch vor der Verkündung der strengsten Lockdown-Maßnahmen am 22. März. Facebook erreichte die meisten Besuche früher als YouTube und Netflix: Zuerst kam das Informationsbedürfnis, dann der Lockdown und damit der Wunsch nach Zerstreuung.

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Der Zeitverlauf zeigt dabei nur die wöchentlichen Besuche der klassischen Webseiten– Apps für Mobilgeräte oder Smart-TVs sind nicht abgedeckt. Doch auch die reinen Browser-Besuche zeichnen bereits ein klares Bild. Facebook verlor bis Juni seinen vorübergehenden Zuwachs von fast 25 Prozent wieder vollständig. Besuche auf YouTube und der Startseite von Netflix (auf der der Dienst abonniert werden kann) schwankten zwar von Woche zu Woche, können sich bisher jedoch klar über dem Vor-Corona-Niveau stabilisieren. Seit Juli sind in der Ferienzeit außerdem noch einmal häufiger Menschen auf die Seiten von YouTube und Netflix geströmt.

Auch Facebook scheint im Juli noch einmal an Besuchen zugelegt zu haben. Ein Blick in die Daten des Vorjahrs zeigt jedoch, dass das soziale Netzwerk Ende Juli trotzdem rund drei Prozent weniger Besuche aus Deutschland bekam als in derselben Kalenderwochen 2019. YouTube und Netflix hingegen übertreffen seit Beginn der Pandemie fast durchgehend ihre Vorjahreszahlen. Insgesamt geht die Nutzung von Facebook zum Beispiel unter deutschen Jugendlichen bereits seit Jahren zurück [7], weltweit sind die Nutzerzahlen des Netzwerks während Corona jedoch insgesamt gestiegen [8].

Nachdem physisches Shopping in Deutschland ab März wochenlang extrem eingeschränkt wurde, steht nun fest: Der Online-Versandhandel hat davon spätestens im zweiten Quartal 2020 massiv profitiert. Stark gewachsene Umsätze meldeten Ende Juli sowohl Amazon [9] und eBay [10] als auch Zalando [11]. Dass die Onlinehändler seit dem Ausbruch des Coronavirus insgesamt deutlich mehr Geld verdienen, spiegelt sich aber nicht unbedingt in den deutschen Besuchszahlen ihrer Webseiten wider.

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Den unauffälligsten Verlauf der Seitenbesuche hat die deutsche Domain von Amazon – weder im Verhältnis zur Ausgangswoche noch im Vergleich mit dem Vorjahr ist hier ein eindeutiger Trend zu erkennen. Das liegt aber auch an unterschiedlichen Voraussetzungen: Die Basis in absoluten Seitenbesuchen war bei Amazon Anfang Februar mehr als doppelt so groß wie bei eBay und mehr als 18 Mal so groß wie bei Zalando. Schwankungen machen sich deshalb bei dem Internetriesen prozentual weniger bemerkbar, obwohl sie in absoluten Zahlen sogar teils größer ausfallen als bei der Konkurrenz.

Einen Rückgang der Besuche bekamen jedoch alle drei Plattformen zu Beginn der Pandemie in Deutschland Mitte März zu spüren. Am stärksten traf es dabei Zalando, deren wöchentliche Besuche im Vergleich zu Anfang Februar zeitweise um fast vierzig Prozent einbrachen. Das Unternehmen erklärte den Rückgang später damit [13], dass durch die generelle Verunsicherung am Beginn der Corona-Maßnahmen die Menschen deutlich weniger kauffreudig gewesen seien. Aber auch Lieferschwierigkeiten und Verzögerungen dürften so manche Käufer zunächst abgeschreckt haben.

Mit einigen Wochen Verzögerung schnellten dann bei eBay die wöchentlichen Seitenbesuche nach oben. Mitte April erreichte die Plattform ein Plus von rund 25 Prozent. Ein konkreter Grund lässt sich aus den Daten nicht ablesen. Möglicherweise wurde eBay dank vieler gebrauchter Artikel und Privatverkäufer besonders dann attraktiv, als anderswo Lieferungen länger dauerten oder Lagerbestände zur Neige gingen. eBay war bis Ende Juli auch der einzige der drei Onlinehändler, der seine Besuchszahlen deutlich über dem Wert von Anfang Februar stabilisieren konnte.

Missing Link: Alltag und Krisen - wie Corona das Internet immer noch verändert

Onlineanbieter in der Reisebranche gehören auch noch im Juli zu den größten Verlierern bei den Web-Besuchszahlen. Besonders eindrücklich ist dabei der Vergleich mit 2019. Im März, April und Mai lagen die deutschen Seitenbesuche bei Anbietern wie Airbnb, fluege.de oder Tripadvisor durchgehend zwischen 60 und 87 Prozent unter der Vorjahreswoche. Und auch hier sind mobile Apps nicht einmal berücksichtigt.

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Seit Juni erholen sich die Seitenbesuche bei den Reiseanbietern nur sehr langsam. Besonders den Ticketanbieter fluege.de nutzen weiterhin viel weniger Menschen – hier lagen Ende Juli die wöchentlichen Besuche immer noch mehr als 60 Prozent unter dem Vorjahr. Für Airbnb, Tripadvisor und booking.com sah der Trend Ende Juli ebenfalls alles andere als positiv aus. Sie können immerhin darauf hoffen, dass deutsche Nutzer ihre Portale auch für Reisen in Nachbarländer oder innerhalb Deutschlands nutzen, während für die Welt außerhalb Europas immer noch Reisewarnungen gelten.

Insgesamt blieben ihre Besuchszahlen im Juli trotzdem zwischen 20 und 30 Prozent hinter dem Vorjahr zurück – eine Verbesserung ist bisher nicht in Sicht. Dass die Branche in einer solchen Lage verzweifelt versucht, ihre Einnahmequellen zu erhalten, zeigt währenddessen ein Hilferuf einiger anderer deutscher Reise-Startups: Sie sehen sich von Google benachteiligt [15].

Zu den großen und längerfristigen Gewinnern der coronabedingten Veränderungen gehören hingegen Anbieter aus der Gamingbranche. Der Streamingdienst Twitch und die PC-Spieleplattform Steam ermöglichen es via API, ihre Nutzung von außen noch genauer zu beobachten als bei anderen Webangeboten. Und diese Zahlen zeigen klar: Auch wenn die absoluten Rekorde vom März und April [16] nicht wieder erreicht wurden, sind die neu hinzugewonnen aktiven Nutzer längst noch nicht wieder verschwunden. Das dürfte auch daran liegen, dass die Zahlen von Steam und Twitch nur für die ganze Welt zur Verfügung stehen – und wichtige Märkte wie die USA von der Pandemie und den Einschränkungen immer noch stärker betroffen sind als Deutschland.

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Die Streamingplattform Twitch konnte im April im Vergleich zu Februar im Schnitt rund eine Million gleichzeitiger Zuschauer hinzugewinnen. Auch die monatlich insgesamt angesehenen Stunden stiegen in derselben Zeit um rund 80 Prozent. Die stark gewachsene Zuschauerschaft brach zum Teil auch wegen aggressivem Marketing für den Shooter Valorant [18] im April sämtliche Rekorde. Bis Juli gingen diese Zahlen nur sehr langsam zurück – eine Rückkehr zum Vor-Corona-Niveau ist bisher nicht in Sicht.

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Ähnlich stellen sich die durchschnittlich gleichzeitig eingeloggten Steam-Nutzer dar: Diese Zahl erreichte bereits Ende März ihr Allzeithoch von fast 24 Millionen Spielern, ging dann aber etwas stärker zurück als die Twitch-Zuschauerschaft. Ende Juli waren jedoch im Wochenschnitt immer noch rund zwei Millionen mehr Menschen gleichzeitig auf Steam aktiv als im Februar.

Ob sich die Internetnutzung in den kommenden Monaten wieder stärker dem Vor-Corona-Stand annähert, wird davon abhängen, wie Deutschland mit einer möglichen zweiten Welle umgeht. Noch sind die positiven wie die negativen Folgen der ersten Welle bei den meisten Onlinediensten längst nicht abgeklungen. Zumindest legt diese Momentaufnahme das nahe. Doch viele Menschen waren während des Lockdowns so stark wie noch nie auf digitale Angebote angewiesen. Vielleicht werden sie ihr Verhalten nach dieser Erfahrung auch auf Dauer verändern. Und damit das Internet auch in Zukunft anders nutzen als zuvor.

In dem Artikel sind interaktive Grafiken eingebunden, die über den Berliner Dienstleister Datawrapper erstellt und ausgeliefert werden. Zum Datenschutz bei Datawrapper siehe deren Datenschutzerklärung [20]. Persönliche oder personenbeziehbare Daten von Lesern der interaktiven Chats werden nicht gesammelt.

(jk [21])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-4874508

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/news/Neuer-Weltrekord-am-DE-CIX-9-Terabit-Datendurchsatz-4680727.html
[2] https://www.heise.de/news/YouTube-drosselt-weltweit-die-Bildqualitaet-4689739.html
[3] https://www.nytimes.com/interactive/2020/04/07/technology/coronavirus-internet-use.html
[4] https://www.heise.de/thema/Missing-Link
[5] https://www.similarweb.com/corp/ourdata/
[6] https://www.heise.de/Datenschutzerklaerung-der-Heise-Medien-GmbH-Co-KG-4860.html
[7] https://www.heise.de/news/Jugendliche-lieben-Netflix-und-WhatsApp-keiner-mag-Facebook-4234532.html
[8] https://www.heise.de/news/Zuckerberg-beklagt-gedaempftes-Wachstum-und-kritische-Sicht-auf-Facebook-4859856.html
[9] https://www.heise.de/news/Amazon-verdoppelt-Quartalsgewinn-dank-Online-Shopping-Boom-4859784.html
[10] https://www.heise.de/news/Online-Shopping-Boom-beschert-eBay-starke-Zuwaechse-in-Corona-Krise-4857331.html
[11] https://corporate.zalando.com/de/investor-relations/news-storys/zalando-beschleunigt-ausbau-der-plattform-nach-herausragendem
[12] https://www.heise.de/Datenschutzerklaerung-der-Heise-Medien-GmbH-Co-KG-4860.html
[13] https://corporate.zalando.com/de/investor-relations/en/news-storys/zalando-baut-plattformgeschaeft-aus-mehr-unterstuetzung-fuer
[14] https://www.heise.de/Datenschutzerklaerung-der-Heise-Medien-GmbH-Co-KG-4860.html
[15] https://www.handelsblatt.com/technik/it-internet/marktmacht-in-der-reisebranche-kartellbeschwerde-bei-der-eu-deutsche-start-ups-gegen-google/26089426.html
[16] https://www.heise.de/news/Neuer-Steam-Rekord-20-Millionen-User-gleichzeitig-online-4683273.html
[17] https://www.heise.de/Datenschutzerklaerung-der-Heise-Medien-GmbH-Co-KG-4860.html
[18] https://www.heise.de/news/Valorant-Riot-trickst-sich-zum-Twitch-Rekord-4700410.html
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