Missing Link: Ausverkauf der Gesundheitsdaten im Namen der Forschung

Seite 3: Daten sind Gold wert

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Der EHDS würde die ärztliche Schweigepflicht und die berechtigten Erwartungen der EU-Bürger an den Schutz der Privatsphäre "vollständig sabotieren", rügt EDRi. Versicherungsunternehmen, die Pharmaindustrie und Big-Tech-Konzerne wie Google und Apple warteten nur darauf, die Gesundheitsdaten der Europäer in die Finger zu bekommen. Nutzer würden ermutigt, verfügbare Messwerte mit sensiblen Informationen aus anderen Quellen wie Wellness-Apps oder Wearables "anzureichern", also ein umfassendes Profiling ohne die von der Mehrheit der Bundesbürger geforderte Zustimmung durchzuführen. Solche weitreichenden Berechtigungen seien für datenintensive Branchen Gold wert.

Die zentralen Datenpools würden "die raffiniertesten Cyberkriminellen anziehen", warnen die Aktivisten. Pseudonymisierung und Anonymisierung seien nicht genug: "Gesundheitsdaten sind so spezifisch, dass eine Re-Identifizierung trivial sein kann." Sie müssten mit den "höchsten betrieblichen und technischen Sicherheitsstandards" geschützt werden. Eine Opt-out-Regelung, wie sie das EU-Parlament erwägt, sei "keine angemessene Lösung". Der Widerspruchansatz würde "die Last des Wissens, des Verstehens und der Entscheidung in unangemessener Weise den Patienten aufbürden". Jede Weitergabe von Gesundheitsdaten an andere als die an der Behandlung beteiligten Leistungserbringer müsse freiwillig erfolgen.

Die Freie Ärzteschaft sieht mit der ePA-Initiative Lauterbachs und dem damit verbundenen Wechsel auf ein Opt-out sowie mit dem EHDS ebenfalls endgültig die Diskussion eröffnet, ob Politiker "das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürger" mit Blick auf seine intimsten Daten "mit einem Federstrich aushebeln dürfen". Dies zeige die Unehrlichkeit der politischen Argumentation ebenso wie die Stärke der Lobbyinteressen der Gesundheitswirtschaft. "Schwerwiegende Webfehler" jenseits der fehlenden Widerspruchsmöglichkeit sieht der bayerische Datenschutzbeauftragte Thomas Petri im Kommissionsentwurf. Die "Dateninhaber" würden verpflichtet, die begehrten Informationen an die neuen Zugangsstellen im Klartext zu übermitteln, monierte er jüngst auf einer Konferenz der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz sowie des IT-Verbands Bitkom. Dort dürften sie im Zweifelsfalls "ein paar Jahre" zwischengelagert werden. Dies entspräche einer "Vorratsdatenspeicherung von extrem sensiblen Gesundheitsinformationen und Profilen". Erstmals dürften diese Daten sogar offenbar zur Strafverfolgung herausgegeben werden, sodass "datenschutzrechtlich Polen offen" wäre.

Eine hochproblematische und potenziell grundrechtswidrige Mogelpackung der Kommission sieht Petri darin, dass alle Betroffenenrechte aus der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) leer liefen. Insgesamt sei die skizzierte Sekundärnutzung "überschießend" und wohl kaum verhältnismäßig. Christoph Wagenblast, juristischer Referent beim Bundesgesundheitsministerium, begrüßte den EU-Entwurf dagegen "sehr". Der EHDS sei nötig, um für Forschung, Versorgung, Entwicklung von Arzneimitteln und KI-Anwendungen die erforderlichen Daten bereitzustellen. "Wir wollen einen Kreislauf der Datennutzung", unterstrich er. Ein zentrales Patientenregister werde nicht geschaffen, Informationen nur für bestimmte Zwecke von der jeweiligen nationalen Zugangsstelle zusammengeführt.

In der industriellen Praxis spielen regulatorische Schranken schon jetzt keine große Rolle: "Das Datenschutzrecht steht der Gesundheitsforschung definitiv nicht im Wege", weiß Thomas Roth. Der betriebliche Datenschutzbeauftragte beim Pharmakonzern Boehringer Ingelheim sieht höchstens die "Interpretation" einschlägiger Gesetze als problematisch an. Die DSGVO lasse für die Arzneimittelforschung aber "enormen Spielraum", solange man "technisch-organisatorische Maßnahmen" einhalte. "Wir warten nicht auf den EHDS", stellt Roth zudem klar. Baden-Württemberg etwa entwickelt mit sechs Uni-Kliniken und Pharmaunternehmen bereits eine Health-Cloud. Ein Opt-out oder eine Rückführbarkeit der Daten auf individuelle Person spielen dem Insider zufolge "überhaupt keine Rolle". Solche Risiken seien "so gut wie zu vernachlässigen". In der Sekundärforschung folge "ein Zweck dem nächsten". In einem späteren Stadium Widerspruchsrechte zu gewähren, "ist eine naive Vorstellung". Die Sache sei dann erledigt, man "kann die Kontrolle über die Daten nicht behalten". Eine Einwilligung müsste daher allenfalls "von Anfang an erfolgen". Dieses Instrument stehe aber nicht "über anderen Rechtfertigungsgründen" für eine Datennutzung gemäß der DSGVO.

Sylvia Thun, Direktorin der Abteilung E-Health an der Charité, bestätigt, dass spätestens seit Corona schon viel bei der Sekundärnutzung passiere. Die Universitätsmedizin Berlin etwa habe jüngst ein Forschungsdatenportal mit 20 Uni-Kliniken aufgebaut, eine Art kleinen EHDS. Dabei entstehe "kein großer Datensee". Gefragt seien "hochtechnisierte Möglichkeiten" Daten zu teilen, "ohne dass sie Krankenhäuser verlassen". Angefragt werden könnten etwa Laborwerte von allen Patienten, die eine seltene Krankheit haben. Mit solchen Verfahren könnte die Industrie neue Arzneimittel schneller und preiswerter erforschen. Onkologischen Daten würden auch schon geschützt weitergegeben.

Lauterbach will mit einem Entwurf für ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz, den er gleichzeitig mit seiner Digitalisierungsstrategie präsentierte, das umstrittene FDZ bereits vor dessen voller Arbeitsaufnahme "weiterentwickeln". Künftig soll so auch die forschende Industrie dort Anträge auf Datenzugang stellen können. Entscheidend für die Anfragen sei "der Nutzungszweck, nicht der Absender". Die Datenfreigabe aus der ePA soll ferner vereinfacht und über die zugehörige App gesteuert werden. Pseudonymisierte ePA-Daten will der SPD-Politiker künftig zu Forschungszwecken automatisch über das FDZ abrufbar machen.

Angesichts dieser Pläne will die Klägerin Kurz das Verfahren rund um die Auswertung von Gesundheitsdaten hierzulande "nicht zu lange ruhen lassen". Zusammen mit der GFF verständige sie sich gerade über das weitere Vorgehen, erklärte die Informatikerin heise online. Im Vordergrund werde dabei etwa stehen, Fleisch zu den technischen Alternativen mit einer dezentralen Verarbeitung auch auf verschlüsselten Daten zu geben. Das "Getrommel" für eine Sekundärnutzung sei derzeit selbst unter Akademikern groß. Nach der Pandemie werde offenbar viel Geld per Drittmittelforschung über Wissenschaftler gesprenkelt, dazu komme der KI-Hype.

(mack)