Missing Link: Copernicus-Programm – wie Europa über die Welt wacht

Seite 2: Mapping für Katastrophen und Krisen

Inhaltsverzeichnis

Neben dem Monitoring- und Warndienst verfügt CEMS als zweite Komponente über verschiedene Mapping-Dienste, die einen Überblick über den Zustand einer Region allgemein oder in Bezug auf ein (zukünftig mögliches oder bereits geschehenes) Ereignis liefern können. Je nach Fragestellung werden Karten mit zusätzlichen Informationen und Berichte als Zeitreihen (vor, während, nach einem Ereignis) oder über einen längeren Verlauf zur Verfügung gestellt.

Seit 2012 wurden Mapping-Dienste in über 800 Fällen aktiviert, im Jahr 2023 gab es mit 107 Aktivierungen den Höchstwert. Die Fälle erstrecken sich über 130 Länder, der Schwerpunkt ist aber Europa.

Nach einem katastrophalen Ereignis kann ein Rapid Mapping innerhalb weniger Stunden erste Aufnahmen und Lageinformationen für die unmittelbare Reaktionsphase liefern. In Deutschland wurde das Rapid Mapping zum Beispiel beim Flutgeschehen im Juli 2021 in NRW und Rheinland-Pfalz und dem Brand des Munitionslagers im Berliner Grunewald aktiviert.

Für die Durchführung der Mappings greift das ERCC auf Dienstleister aus einem europäischen Firmen-Konsortium zurück. Dem gehören e-GEOS und Ithaca (Italien), GAF und IABG (Deutschland), Telespazio Iberica (Spanien), SERTIT und CLS (Frankreich), GMV (Portugal), Planetek Hellas (Griechenland) und Hensoldt Analytics (Österreich) an. Das Konsortium ist vertraglich verpflichtet, bei einem Krisenfall innerhalb von 2 Stunden eine erste Einschätzung in Form von Kartenmaterial und Vektor-Layern zur Verfügung zu stellen. In maximal 10 Stunden müssen weiterreichende Informationen aus Satellitendaten vorliegen, die eine detaillierte Schadensbeurteilung (Ausmaß des betroffenen Bereichs und Schadensgrad) ermöglichen. Die Kartenerstellung erfolgt in einem halbautomatischen Prozess. Die CEMS-Teams analysieren die Erdbeobachtungsdaten zwar manuell, greifen aber auch auf die Hilfe von KI-Algorithmen bei der Datenverarbeitung zurück.

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Das Risk & Recovery Mapping ist dagegen für die Prävention, die Vorbereitung und Reduzierung des Katastrophenrisikos oder einer Krise, aber auch für die Wiederherstellung nach einem Ereignis vorgesehen. Produkte dieses Mappings liegen erst nach ein paar Tagen vor. Das BKK gab beispielsweise 2016 eine detaillierte Kartierung der wichtigsten Chemieindustriestandorte in Deutschland beim CEMS in Auftrag.

Um die Gefährdung für die Bevölkerung und Auswirkungen von Katastrophen auf die Wohnbebauung und Infrastruktur besser einschätzen und darauf reagieren zu können, wird beim Exposure Mapping das Global Human Settlement Layer (GHSL) eingesetzt. Das GHSL liefert Informationen zum Stand und zur zeitlichen Entwicklung von Siedlungen und zur Bevölkerungsdichte.

Papua New Guinea nutzt CEMS-Daten beispielsweise für Planung und Durchführung des anstehenden Zensus, Südafrika zur Nachbereitung solch einer Bevölkerungszählung. Über das Risk & Recovery Mapping ließ das BKK im Jahr 2020 für Deutschland eine Bestandsaufnahme in Form des Basic European Assets Map (BEAM) anfertigen. Eine BEAM zeigt die monetären Vermögenswerte pro Flächeneinheit (€/m²) als eine Art Wertkarte in verschiedenen Ebenen (Art der Nutzung, Bevölkerungsdichte).

Als Unterstützung für die Deutsche Welthungerhilfe beauftragte das BKK im Jahr 2022 ein Mapping der Grenzregion zwischen Afghanistan und Tadschikistan, um den Zustand der Landwirtschaft und Infrastruktur im Detail festzustellen. Mit Hilfe von maschinellem Lernen wurden die Anbauflächen (Kartoffeln, Weizen etc.) aus den Satellitenbildern klassifiziert und die Produktivität über eine Vegetationsperiode berechnet. Die Daten sollten dabei helfen, einen Überblick zur Versorgungssituation der dortigen Bevölkerung zu bekommen.

KI wird inzwischen für detaillierte und schnelle Bewertung von Erntearten, Mengen und Qualität eingesetzt. Großflächige Erntekarten helfen bei der Überwachung der Nahrungsmittelversorgung.

Die dafür verwendeten Daten stammen unter anderem von Europas Augen im Weltall, die mit unterschiedlichen Blickwinkeln, Sensoren und Auflösungen über die Erde wachen. Copernicus verfügt dazu über sogenannte "Wächter" – die Sentinel-Satelliten. Dazu kommen Daten von weiteren EU-Satelliten und von privat betriebene Satellitenmissionen.

Satelliten bieten verschiedene Perspektiven auf die Erde, aber liefern kein vollständiges Lagebild. Deshalb nutzt Europa zusätzlich verschiedene Augen am Boden, die In-situ-Daten (Nicht-Weltraumdaten) liefern und greift auf weitere Datenquellen zu. Wetter- und hydrologische Messstationen beispielsweise liefern regelmäßig Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Windgeschwindigkeit und -richtung sowie Regenansammlung, aber auch Stromflussdaten werden gemessen.

Dazu kommen Georeferenz-Daten von Behörden und Institutionen, Open-Source-Datensätze (OpenStreetMap) und per Crowdsourcing gesammelte Daten. Informationen zu Verwaltungsgrenzen, Verkehrs- und Wassernetzen, Industrie- und Versorgungsanlagen, formelle und informelle Siedlungen und Daten zur Bevölkerung (beispielsweise aus Volkszählungen und anderen Bevölkerungsstatistiken) werden ebenfalls erfasst. Wo Daten nicht in ausreichender Qualität vorliegen, wird auf die visuelle Interpretation von Satellitendaten gesetzt, um die Datenlücken so weit wie möglich zu schließen.

In Notsituationen setzt CEMS in einzelnen Fällen auch Drohnen von staatlichen und privaten Organisationen ein. Dazu wurde ein Copernicus Emergency Management Service Drone Operator Network geschaffen, zu dem nationale Katastrophenschutzbehörden, Feuerwehren, Rettungsdienste, sowie spezialisierte Unternehmen im Bereich der Luftaufklärung und -überwachung gehören. Dieses Drohnen-Netzwerk besteht aktuell nur in Europa.

Die EU setzt bei Copernicus auf Big-Data-Analysen. KI und maschinelles Lernen sollen bei der Auswertung und Analyse dieser Massen an Daten in verschiedenen Anwendungsbereichen helfen.

So liefert KI aus Satellitenbildern schon deutlich präzisere Karten zu Schneehöhen und soll dabei helfen, Vulkanausbrüche mit vorherzusagen. KI wird nicht nur für die Vorhersage von Hochwasser und Überflutungen eingesetzt, sondern auch nach einer Überflutung, um zum Beispiel die Schäden an verlorenen Ernteerträgen zu bestimmen. Das Mapping einzelner betroffener Gebäude und die Schadensbewertung nach Ereignissen erfolgen aktuell jedoch nach durch Menschen, da die KI hier noch zu ungenau sei. Mit dem Projekt AI4Copernicus will die EU Wissenschaftlicher, Forscher, Unternehmen und interessierte Personen bei der Entwicklung von KI-Systemen unterstützen.

Ein Großteil der Daten des Erdbeobachtungsprogramms Copernicus werden kostenlos zur Verfügung gestellt. Alternativ können die Copernicus-Erddaten auch auf Datenplattformen in der Cloud verarbeitet und analysiert werden. Eine Übersicht über die verschiedenen Wege, um Zugang zu den Copernicus-Daten zu kommen, liefert das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt.

(mho)