Missing Link: Copernicus-Programm – wie Europa über die Welt wacht

Mit dem Copernicus Emergency Management System wird die Welt überwacht, um Gefahren zu entdecken und im Katastrophenfall bei der Lagebewertung zu helfen.

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Generiertes Satellitenbild der Erde, mit teilen in der Nacht

(Bild: NicoElNino/Shutterstock.com)

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Imke Stock
Inhaltsverzeichnis

Mit dem Erdbeobachtungsprogramm Copernicus hat Europa die ganze Welt im Blick, "Europe’s Eyes on Earth" sammeln aus unterschiedlichen Quellen jeden Tag 25 Terabyte an Daten. Die werden teilweise mit KI-Technik ausgewertet und ermöglichen nicht nur einen Blick auf Umwelt und Klima, auch Veränderungen, die durch die Anwesenheit und Aktivitäten der Erdbewohner geschehen, werden registriert und über die Zeit beobachtet. Wer die Bevölkerung schützen will, muss schließlich wissen, wo und in welchem Umfang sie lebt und was in ihrer Umwelt geschieht.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Wie wichtig das ist, geht aus einem im März veröffentlichten Bericht der EU-Kommission hervor, in dem vor einer "höchstwahrscheinlichen" Zunahme von "extremen Wetterereignissen und Bedrohungen für das Leben und die Existenzgrundlagen der Menschen" durch den Klimawandel gewarnt wird. Dazu kommen "wachsende Risiken für die europäische Gesellschaft" durch eine "sich verschlechternde globale Sicherheitslage und das parallele Auftreten weiterer Bedrohungen und Schocks, etwa von Gesundheitsgefahren und hybriden Bedrohungen, Erdbeben und Störungen kritischer Infrastrukturen."

Der Copernicus Emergency Management System (CEMS) ist seit 2012 als Copernicus-Dienst im Einsatz und besteht aus einem Warn- und Mapping-Dienst. Das System liefert Informationen für Prävention und Risikominimierung, Reaktion und Wiederaufbau im Katastrophen- und Krisenfall. Die Daten können bei der Überwachung (drohender) Katastrophen, der Identifizierung von Schäden und der Koordinierung von Such-, Rettungs- und Hilfsmaßnahmen helfen. Einsatzgebiete sind auf nationaler, regionaler und globaler Ebene zu finden. Im Mai wurde ein Mapping-Dienst des CEMS zum Beispiel für die Unterstützung bei der Such- und Rettungsmission nach dem Hubschrauberabsturz des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi auf Anfrage des Iran hin aktiviert.

Die Bundesregierung stellte 2017 in ihrer Copernicus-Strategie die große Bedeutung des Programms für "zentrale, nationale Politiken" fest. Deutschland habe den Anspruch und die Verantwortung "eine Führungsrolle bei der Umsetzung des Programms innerhalb der EU, der ESA und anderen beteiligten Institutionen übernehmen". Dazu habe die Bundesrepublik "die Ziele des Programms von Beginn an mitentwickelt" und verfolge aus strategischen Erwägungen selbst das Ziel, "bestmöglich von Copernicus zu profitieren". Das Programm verschaffe "der EU, ihren Mitgliedstaaten und weiteren Programmteilnehmern eine einzigartige weltweite Informationsgrundlage sowie eine besondere Ausgangsposition für Kooperationen". Für eine zusätzliche Steigerung der "Leistungsfähigkeit und Wirkung von Copernicus" sollen "auch außereuropäische Daten und Dienste sinnvoll integriert werden." Das gilt besonders für notwendige Daten von der Erdoberfläche und von außerhalb Europas.

Die EU setzt CEMS auch ein, um die Rolle Europas als "Globaler Führer" weiter zu festigen. Dienste von CEMS werden anderen Ländern kostenlos zur Verfügung gestellt. Daten aus CEMS können für die Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge eingesetzt werden. Sie können aber auch Grundlage politischer Entscheidungen sein oder zur Unterstützung staatlicher Maßnahmen dienen. Mit den Daten werden nicht nur Leben gerettet, sondern auch die (Vermögens-)Werte von Ländern geschützt.

Eine "High-Level-Broschüre für hochrangige Entscheidungsträger" nennt etwa folgende Beispiele für den Einsatz von CEMS in Notsituationen: "Überschwemmungen, Erdbeben, Tsunamis, Erdrutsche, schwere Stürme, Brände, Industrieunfälle (zum Beispiel Explosionen, Ölverschmutzungen), Vulkanausbrüche und humanitäre Krisen" (zum Beispiel zur Überwachung von Lagern von Geflüchteten).

Rund um die Uhr und ohne Pause soll das Warn- und Monitoringsystem Anzeichen drohender Katastrophen oder Hinweise auf ein Ereignis in Echtzeit entdecken. Der Dienst soll Gefahren rechtzeitig im Vorfeld erkennen und Daten für die Prognose zukünftiger Ereignisse und deren mögliche Auswirkungen liefern.

Zu den Frühwarnsystemen, die davon profitieren, gehören das European Flood Awareness System (EFAS), das European Forest Fire Information System (EFFIS) und das European Drought Observatory (EDO). Verbindungen gibt es außerdem zum Global Flood Awareness Systems (GloFAS), dem Global Wildfire Information System (GWIS), dem Global Drought Observatory (GDO) und dem Global Disaster Alert and Coordination System (GDACS).

Entdeckt das CEMS eine (drohende) Katastrophe, alarmiert das Emergency Response Coordination Centre (ERCC) die zuständigen (nationalen) Behörden über die Lage und unterstützt bei der Koordinierung der weiteren Maßnahmen und bei der Informationsbeschaffung.

Das ERCC veröffentlicht täglich ein ECHO in Form eines Berichts und einer Karte zu signifikanten Ereignissen in Europa und der Welt.

CEMS stellt Datenzugänge für die Bereiche Mapping, Flutüberwachung, Waldbrände und Dürre zur Verfügung. Tägliche Analysen und Prognosen im Zusammenhang mit der Atmosphärenüberwachung, der Luftqualität und einem Feuer-Monitoring können auf der zugehörigen Internetseite abgerufen werden.

Eine CEMS-Meldung kann auch die Grundlage für Cell-Broadcast-Warnungen sein. Cell Broadcast wird über das Warnsystem Galileo EWS ausgelöst. Aber obwohl CEMS und die Galileo-Satelliten beide zum Copernicus-Programm gehören, gibt es aktuell keine Verbindung zwischen ihnen. Das heißt, die Warnung wird aktuell vom ERCC an die für das Katastrophenmanagement national zuständige Behörde versendet, diese Behörde muss dann aber selbst dafür sorgen, dass das Galileo Emergency Warning Satellite Service (EWSS) aktiviert wird.

Hat eine nationale Behörde andererseits selbst eine Katastrophe entdeckt und eine EWSS-Warnmeldung an die Bevölkerung veranlasst, muss sie sich noch separat um die Aktivierung eines Rapid-Mappings kümmern, falls das ERCC von sich aus noch nichts mitbekommen haben sollte. In Deutschland laufen die Anforderungen an CEMS und EWSS über das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum (GMLZ) im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK).

Die EU will die fehlende Verzahnung zwischen CEMS und EWSS nun mit dem Projekt AWARE vorantreiben und automatisierte Reaktionen ermöglichen.