Missing Link: Debatte über Kritische Infrastrukturen – alles wird Kritis

Der Begriff der kritischen Infrastruktur hat Hochkonjunktur. Was aber ist unverzichtbar für eine Gesellschaft? Und unter welchen Umständen?

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Mast einer Überlandstromleitung mit stilisiertem Hintergrund und den sichtbaren Worten "Cyber Attack".

(Bild: vectorfusionart/Shutterstock.com)

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Inhaltsverzeichnis

Was ist unverzichtbar für das Funktionieren der Gesellschaft? Und unter welchen Umständen? Diese Frage ist nicht gerade neu. Denn Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit zur Aufrechterhaltung einer Art geregelten Betriebs, spielte historisch vor allem unter der Annahme drohender Kriege eine besondere Rolle. Was früher teils bereits konfus war, wird jetzt politisch aufgeladen noch komplizierter.

Dabei fing alles fast noch einfach an: Die Ursprünge eines etwas breiter gedachten Bevölkerungsschutzes in der Bundesrepublik liegen in einer Diskussion der 1950er Jahre: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde durch die Alliierten die Resilienz absichtlich heruntergestuft – Luftschutzmaßnahmen, so das Hauptstichwort, waren wie militärische Bauten der Bundesrepublik vorerst verboten. Allerdings änderte sich das unter dem Eindruck des Korea-Krieges – und in langen und zähen Diskussionen zwischen Kanzler Konrad Adenauer, Bundesinnenministerium, Bundesfinanzminister und den Ländern wurde zum einen die Errichtung einer Luftschutzverwaltung beschlossen, zum anderen festgelegt, welche Kompetenzen die Bundesländer haben sollten und sodann auch von ihnen finanziell zumindest teilweise getragen werden müssen. Und natürlich gab es darum erbitterten Streit, inklusive Rücktrittsdrohungen und einem langen Verfahren – über sieben Jahre zog sich die Diskussion ab 1950 hin, bis am 5. Dezember 1958 das Bundesamt für zivilen Bevölkerungsschutz seine Arbeit aufnahm. Das ist nun zuständig für alles, wofür die Bundesländer nach Grundgesetz nicht zuständig sind.

Das Deutschlandtempo der Wirtschaftswunderjahre war also dem des 21. Jahrhunderts schon bemerkenswert ähnlich. Und auch die Streitigkeiten über Zuständigkeiten und Finanzierungen haben sich kaum verändert. Der sichtbarste Teil der Arbeit der Behörde: der Regierungsbunker im Ahrtal, in den sich im Verteidigungsfall die Notregierung der Bundesrepublik hätte einquartieren sollen. Doch aus den Luftschutzmaßnahmen entwickelte sich ein breiteres Bevölkerungsschutzkonzept in der Bundesrepublik – der Katastrophenschutz kam als Aufgabe hinzu, im Spiegelbild der Debatten der Zeit, in denen neben dem Atomkrieg auch Atomunfälle, Ozonloch, Waldsterben und andere Themen immer relevanter wurden. Doch der Fokus blieb bei den möglichen kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem Warschauer Pakt. Erst nach 1990 wurde dieser Bereich für weniger relevant eingeschätzt – entsprechend wurde hier auf Bundes- und Landesebene zurückgebaut. Bis hin zum Abbau der Sirenen.

Erst unter dem Eindruck möglicher Terroranschläge ab 9/11 wurde ab 2001 wieder stärker auf Gefahren für das Funktionieren der Gesamtgesellschaft geachtet. Zu dem Zeitpunkt hatte sich ab 1991 mit dem BND-Spin-off BSI bereits ein neuer Akteur gebildet – der sich der digitalen Gefahrenlage zuwandte. Die aufziehende Digitalisierung und Vernetzung wurde als Aspekt des Zivil- und Bevölkerungsschutzes ignoriert: Analoger, physischer Bevölkerungsschutz und digitale Welt wurden parallel verwaltet. Doch je enger die beiden Bereiche zusammengedacht werden müssen, desto größer werden auch die Konflikte um Zuständigkeiten.

Ein Problem: Was ist überhaupt kritisch für eine Gesellschaft, damit sie funktioniert? Die Corona-Pandemie hat hier viele praktische Hinweise gegeben – ohne Kita- und Schulbetrieb etwa können auch Rettungssanitäter, Pflegefachkräfte, Feuerwehrleute und Rechenzentren-Techniker nicht voll arbeiten. Die Idee hinter dem aktuell verfolgten Konzept: Teilbereiche eines Unternehmens oder der Verwaltung sind eine kritische Infrastruktur – und in diesen gibt es Tätigkeiten, die für deren Betrieb unerlässlich sind. Nur wo fängt das an und wo hört das auf?

Die offizielle deutsche Definition kommt vom Bundesinnenministerium: Als kritische Infrastrukturen werden solche Bereiche betrachtet, die "für die Funktionsfähigkeit moderner Gesellschaften von wichtiger Bedeutung sind und ihr Ausfall oder ihre Beeinträchtigung nachhaltige Störungen im Gesamtsystem zur Folge hat. Ein wichtiges Kriterium dafür ist die Kritikalität." Und dann wird es bunt: Was ist schon kritisch? Selbst psychologische Aspekte gelten für das BMI als kritisch – so wie sozioökologische Faktoren. Denn die Kritikalität ist als "relatives Maß für die Bedeutsamkeit einer Infrastruktur in Bezug auf die Konsequenzen, die eine Störung oder ein Funktionsausfall für die Versorgungssicherheit der Gesellschaft mit wichtigen Gütern und Dienstleistungen hat" definiert. Alles klar?