Missing Link: Der Kampf um die Glasfaser, oder: Der verpasste Breitbandausbau in Deutschland

Seite 2: "Gesellschaftlich wünschenswertes technisches Kommunikationssystem"

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Als Startpunkt kann man die Regierungserklärung vom Januar 1973 nehmen, in der Bundeskanzler Brandt eine "Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems" (KtK) ankündigte. Ein Jahr später nahm die Kommission ihre Arbeit auf, "Vorschläge für ein wirtschaftlich vernünftiges und gesellschaftlich wünschenswertes technisches Kommunikationssystem" zu entwickeln.

Relativ schnell lagen erste Ergebnisse vor: Schon 1974 verkündete die Kommission unter dem SPD-Politiker Horst Ehmke, dass "ein Telefon in jedem Haus möglicherweise die Voraussetzung für die Einführung neuer Medien ist". Im ersten Bericht von 1975 sind die "Neuen Medien" aufgeführt: Faksimilezeitung per Fernkopierer, Videotext, Bildschirmtext, Bürofernschreiben (Teletex), lokaler Hörfunk und Fernsehen, Pay-TV, bespielte Datenträger und ein "Verleger-Rückkanal" finden sich in der Liste.

Dann heißt es: "Für die verschiedenen Formen des technisch Realisierbaren ist die Installation von Kabelverteilanlagen erforderlich." Das sollte in Pilotprojekten getestet werden. Die wichtigsten Feldtests für Bildschirmtext fanden zwischen 1977 und 1988 in Westberlin und in Düsseldorf/Neuss mit 6000 Teilnehmern statt und kosteten rund 100 Millionen DM.

Im Jahr 1977 veröffentlichten Abschlussbericht geht die KtK von einem "Planungshorizont" für ein bundesweites Kabel-Kommunikationssystem von "1985 bis zum Jahr 2000" aus. Mehrheitlich sprachen sich die Mitglieder der KtK dafür aus, "dass neben der deutschen Bundespost auch private Unternehmen nach den Richtlinien der Post als Netzträger auch in den Pilotprojekten zugelassen werden sollen, damit der Innovationsprozess durch die Konkurrenz verschiedener Netzträger gefördert wird" und so die "wirtschaftlichste Ausgestaltung der Netzträger" herausgefunden werden kann.

Mit dieser Empfehlung biss die KtK bei der Bundesregierung auf Granit. Unter Verweis auf die notwendige gebotene "Netzneutralität" und die "infrastrukturellen Vorausstzungen der deutschen Bundespost" sollte allein die Bundespost die Verkabelung Deutschlands betreiben.

Der avisierte staatliche Netzausbau rief prompt den Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) auf den Plan: "Grundsätzlich wird es für wünschenswert gehalten, dass die Frage geprüft wird, ob in den zukünftigen Kabelsystemen noch ein Mangel bewirtschaftet wird, oder ob die Anzahl der zur Verfügung stehenden Kanäle auch Privatträgerschaften erlaubt. Unter diesen Umständen würde sie [die deutsche Industrie, Anm d. A.] ihren Anspruch anmelden, auch zu den Trägern zu gehören."

Parallel zu diesen Überlegungen, was mit der neuen Verkabelung erreicht werden kann, setzte Ende der 70er Jahre ein Nachdenken darüber ein, wie Informationen verarbeitet werden. Bei der SPD sprach man vom "mündigen Bürger", die CDU hielt 1978 einen medienpolitischen Parteitag ab und propagierte durch ihren Mediensprecher Christian Schwarz-Schilling die "Bürgerfreiheit".

Gemeint war ein Bürger, der sich Pay-TV und Lokalfernsehen kaufen kann. Die Vorstellung der besonderen Mündigkeit war weltweit eingebettet in die Vorstellung des freien Informationsflusses. Dieses Ideal des "free flow of information" wurde 1977 durch eine UNESCO-Kommission erarbeitet, die später den sogenannten MacBride-Report veröffentlicht. Mündige Bürger holen sich weltweit frei fließende Informationen aus den Quellen, denen sie vertrauen und sie tun dies mit Geräten, die sie souverän einsetzen. Ganz gleich ob Bildschirmtext, Teletex, Telefon- oder Computereinsatz: Die Geräte waren in den damligen Beschreibungen immer spielend einfach zu bedienen.

Im Jahre 1976 veröffentlichte die Siemens AG die Schrift "Büro 1990: Studie über die Entwicklung von Organisation und Technik", in der die Vorzüge der Telearbeit in Telehäusern mit schicken Großraumbüros geschildert wird. Dem mündigen Bürger wird die zu ihm passende Arbeitsweise im Telehaus mit einer Art Home Office mit kurzem Anfahrtsweg schmackhaft gemacht.