Missing Link: Eine Medienrevolution, 500 Jahre später, oder: Der Medien Werk und Martin Luthers Beitrag

Seite 2: Nerv der Zeit

Inhaltsverzeichnis

Die Merkantilisierung des Christenglaubens störte viele Theologen, nicht nur Luther. Auch die Landesfürsten ärgerten sich, wie viel Geld nach Abzug ihrer (stattlichen) Tantiemen zum Bau des Petersdoms in Rom über das Netzwerk der ersten Großbanken von Fugger und Bertolini geschickt wurde.

Der Augustiner Martin Luther traf durchaus den Nerv seiner Zeit, als er vor 500 Jahren in Wittenberg die 95 Thesen veröffentlichte. "Der Ablass ist das Netz, mit dem man jetzt den Reichtum von Besitzenden fängt." Die Veröffentlichung solcher Thesen für den gelehrten Disput war an den Universitäten eine alltägliche Praxis und kaum ein Weltereignis.

Luther schickte seine Thesen an seine Vorgesetzten und gab sie in der deutschen und lateinischen Fassung an befreundete Drucker. Sie machten mit den Thesen und Stellungnahmen der Reformatoren wie ihrer Gegner ein großes Geschäft. Belegt ist der Fall des Druckers Johannes Froben aus Basel, der sich auf der Frankfurter Buchmesse Luthers Thesen besorgte und jeweils 600 Expemplare nach Spanien, Frankreich und Italien verkaufte. Der Historiker Heinz Schilling spricht deshalb vom "ersten großen Medienereignis" der Weltgeschichte, das dem Druck- und Verlagsgewerbe einen nahezu unerschöpflichen Absatzmarkt eröffnete.

Martin-Luther-Denkmal vor der Dresdener Frauenkirche

(Bild: Peter H, Gemeinfrei (Creative Commons CC0))

Für Martin Luther waren die Thesen Teil seiner reformatorischen Arbeit, die 1520 mit den drei Schriften "An den christlichen Adel deutscher Nation", "Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche" und "Von der Freiheit eines Christenmenschen" ihren Höhepunkt erreichte. Mit ihnen wuchs das randständige Wittenberg zu Deutschlands größtem Buchdruckzentrum, wie Andrew Pettigree es in der "Marke Luther" nachweist.

Im Mittelpunkt aller Bemühungen von Luther aber stand "das Buch", die Bibel, deren authoritative Übersetzung Luther mit einem Holzschnitt als "Schutzmarke" dokumentierte und so das Urheberrecht entscheidend prägte: Das Monogramm "ML" mit Lamm, Kreuzfahne und Lutherwappen bezeugte die Urheberschaft: "Dies Zeichen sei Zeuge, daß solche Bücher durch meine Hand gangen sind; denn des falschen Druckens und Bücherverderbens [be]fleißigen sich itzt viel."

Der Glaube, im "Buch der Bücher" wissenschaftlich dokumentiert, löst die Autorität des Papstes ab. Mit dem "Buch der Bücher" "erfüllt sich der Sieg des schreibenden, druckenden, lesenden szientifischen Menschen, der die Neuzeit regiert" schrieb Egon Friedell.

Reformation und Wissenschaft befruchteten sich fortan gegenseitig. Im Gegensatz zu der von katholischer Seite kolportierten Geschichte vom Wissenschaftsfeind Luther stand dieser der Wissenschaft nicht feindlich gegenüber. So lobte er die Medizin als Wissenschaft, die Lebens-Not des kranken Menschen zu lindern. Die Wissenschaft, "das Buch" zu lesen, beflügelte Wissenschaftler wie Johannes Kepler, das Buch der planetarischen Gesetze zu suchen oder Ärzte wie Andreas Vesalius, das Buch des Menschen aufzuzeichnen.

Letzterer hatte sein Studium nach der Universitätsreform von Luthers Mitstreiter Philip Melanchton begonnen, der die Anatomie für alle Studenten zum Pflichtfach machte. Spätere Wissenschaftler, die sich intensiv mit der Bibel beschäftigten, waren Blaise Pascal, ein Jansenist und vor allem Isaac Newton, ein Unitarier. (jk)