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Missing Link: Freibier für alle – Trump löst mit Linux Weltkrieg aus

Andreas Wilkens

Gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen.

(Bild: heise online / anw)

Hier gibt es kein Freibier, es fliegen keine Atomraketen. Vom Überschriften-Test oben geht es weiter zu Fragen zum Journalismus, denen wir uns stellen sollten.

Die Überschrift ist natürlich blanker Unsinn. Sind Sie darauf hereingefallen, haben Sie draufgeklickt oder -getippt und sind Sie nun enttäuscht, gar erbost? Schon habe ich meinen Vertrauensvorschuss und womöglich den meines ganzen Verlags verspielt; Sie, liebe Leserinnen und Leser, gehen weiter, denn es gibt hier nichts zu sehen – und werden vielleicht nie wiederkommen.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Die Überschrift soll lediglich testen helfen, ob ich auf Googles Klaviatur nach Herzenslust klimpern und den Suchriesen mit schlagkräftigen Begriffen dazu bringen kann, diesen Beitrag ganz nach vorn in seine Newsübersicht zu schieben – oder ganz nach hinten, weil er ihm nicht schmeckt.

Es kann sein, dass Sie durch den Begriff "Linux" nicht mehr hinterm Ofen hervorgelockt werden wie noch zu Zeiten, als der Microsoft-Chef Steve Ballmer in Torvalds Betriebssystem das schiere Böse sah und im heise-Foren besonders freitags Flamewars ausbrachen. Sein Nachfolger hat sich längst mit dem Open-Source-Betriebssystem arrangiert. "Trump" hingegen ist bestimmt gut geeignet, denn er polarisiert stark, und "Freibier" mögen alle, die trinken, und das ist die große Mehrheit. Es gab in dem Feld, über das ich berichterstatte, bisher noch keine Gelegenheit, das Wort in eine Überschrift zu packen.

Den Erfolg meiner Bemühungen werde ich in Kürze an den differenzierten Statistiken unserer Zugriffszahlen ablesen können. Das war mal anders, es gab mal eine Zeit, als lediglich dürre Zahlen der IVW und des Verlagsservers Auskunft gaben; an ihnen war lediglich ablesbar, wie viele Klicks es über einen längeren Zeitraum gab, die Entsprechung der verkauften Auflage der Printmedien. Heute verfügen wir über minutengenaue Statistiken und können ebenso akkurat testen, wie verschiedene Überschriftvarianten einer Meldung ankommen, damit wir daraus lernen und möglichst viel Aufmerksamkeit auf uns ziehen können.

Aufmerksamkeit der Menschen – und vor allem von Google, dem Anbieter, den die allermeisten Internetnutzer aufsuchen, wenn sie etwas finden wollen. Oft lässt sich an Zugriffszahlen ablesen, wenn der Konzern an seinen Algorithmen geschraubt hat. Dann beugen sich Spezialisten wie Auguren über Innereien über Zahlenkolumnen und Grafiken, um die Ursache für einen deutlichen Knick zu entschlüsseln, denn Googles Mechanismen und Automatiken sind geheim. SEO-Experten gemahnen, Überschriften, Bilder, Anriss- und Meldungstexte nach gewissen Kriterien zu gestalten, damit sie besser "gefunden" werden. Hübsch klingende, aber kryptische Überschriften, wie sie mancher Kollege aus dem Printbereich gerne noch verwendet, sind online obsolet, sie fallen durch Googles Raster.

Indem ich dies schreibe, ist mir bewusst, damit jene aufhorchen zu lassen, die schon bei früherer Gelegenheit die Glaubwürdigkeit "traditioneller Medien" in Frage gestellt haben. Vielleicht gebe ich manchem Geschrei der "Lügenpresse" neue Nahrung. Ich streue gewiss auch Zweifel unter jenen, die uns Medienschaffenden bisher wohlgesinnt waren, aber genau aus diesem Grund schreibe ich es hier auch. Mir ist bewusst, dass alle Medien um möglichst viel Aufmerksamkeit buhlen müssen und meine eigene berufliche Existenz davon abhängt. Es gibt für mich aber noch einen anderen, wichtigeren Impetus: möglichst viele Informationen und Perspektiven zu sammeln für das Wohl der Gemeinschaft – auf der Suche nach der Objektivität.

Das ist ein hehrer Anspruch, er basiert auf den Fundamenten der Aufklärung. Natürlich gibt es Medien, die durch inhaltloses Clickbaiting Kasse machen wollen oder aufgebauschte Halbwahrheiten verbreiten. Es gibt Journalisten, die sich mit ihrem Wortgeklingel im Grunde nur selbst beweihräuchern. Wer sich mit seiner Arbeit in eine breite Öffentlichkeit stellt, ist vor diesen Tendenzen nicht gefeit; seien es Politiker, Schauspieler oder auch Journalisten, sie benötigen einen gewissen Exhibitionismus, eine Portion Eitelkeit und geraten in die Gefahr, dass diese zum Selbstzweck werden. Zum Gedanken der Aufklärung gehört für mich als Journalisten daher auch, mir meiner eigenen Rolle in der Öffentlichkeit bewusst zu sein und ständig zu reflektieren.

Jede einzelne Meldung sollte ein Anlass dafür sein, meine eigene Arbeit zu überdenken, spätestens wenn eine Leserzuschrift mit einem Hinweis auf einen sachlichen oder sprachlichen Mangel hereinkommt. Auf heise online bietet obendrein das Forum zu jedem redaktionellen Beitrag den Lesern die Gelegenheit, eine Nachricht in ein anderes Licht zu rücken. Das hat mir schon einige Male zu einer besseren oder korrigierten Sichtweise verholfen. Noch kräftiger kann ich als Journalist meine eigene Perspektive überdenken, wenn ich meine Meinung als solche gekennzeichnet veröffentliche. Damit stelle ich bewusst und explizit meinen Standpunkt zur Diskussion. Dabei darf sie auch überspitzt sein, wenn das sich schlüssig herleiten lässt.

Den jüngsten Anlass dazu gaben Demonstranten, die in das US-amerikanische Capitol eingedrungen sind, woraufhin ich mich in meiner Ansicht bestärkt sah, dass die US-amerikanischen sozialen Medien geschlossen werden sollten, wenn sich mit den bisherigen Mitteln gegen den gefährlichen Populismus à la Trump nichts mehr ausrichten ließe. Wie schon zu früherer Gelegenheit, zu denen ich auf heise online meiner Skepsis gegenüber Facebook, Google und Twitter als Brutstätte und Schleuder des Populismus Ausdruck verliehen hatte, warfen mir Leser daraufhin vor, ich begäbe mich damit zumindest auf dünnes Eis, ich fordere Zensur. Dabei sei angemerkt, dass meine Meinung nicht von allen Kollegen in der Redaktion geteilt wird, denn gerade in unserer Branche ist die Meinungs- und Pressefreiheit höchstes Gut; weil der Kommentar den formalen Ansprüchen genügte, die allgemein an diese Textsorte gestellt wird, wurde er veröffentlicht.

Als ich die ersten Lesermeinungen zu meinem Kommentar las, die mir vorwarfen, Zensurgelüsten in die Hände zu spielen, verspürte ich den Drang, direkt im Forum auf sie zu antworten, besann mich aber darauf, dass mein Kommentar gar keine generelle Forderung nach Zensur enthält, selbsterklärend ist und daher keiner Ergänzung bedarf.

In meinem Kommentar vom Donnerstag [2] ging es darum, dass die Plattformen, auf denen sich Trump, Rechtsradikale, Coronaleugner und andere Zwielichter ausbreiten, von US-amerikanischen Unternehmen betrieben werden und diese damit Geld verdienen. Ihr Interesse ist es nicht, Wahrheit zu verbreiten, sondern mit jedweder Art Inhalten Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, zu binden und mit den so gewonnenen Daten und der für Werbetreibende geschaffenen Aufmerksamkeit Geld zu verdienen, solange die Inhalte dafür geeignet sind.

Wahrheit und Ethik kommen erst dann als Profitfaktoren ins Spiel, wenn große Unternehmen wegen Fake News, Hasskommentaren und Spam ihre Werbeanzeigen auf den Plattformen zurückziehen, wie voriges Jahr geschehen [3]. Ab dem Zeitpunkt wurde für Facebook und Twitter der Druck so groß, dass sie vermehrt in die Inhalte eingegriffen haben. Wobei wichtig ist, Ethik nicht mit Moral zu verwechseln, jener Moral, die zum Beispiel Gruppen von stillenden Müttern auf Facebook zeitweise zum Verhängnis wurde [4].

Ist das Zensur? Das Meinungsspektrum darüber reicht weit. Es gibt Menschen wie Trump, die meinen, auf den sozialen Medien sollten überhaupt keine Beiträge gelöscht oder als zweifelhaft markiert werden; es gibt Menschen, die nicht wollen, dass Algorithmen bestimmen, was die User zu lesen bekommen. Und es gibt Menschen wie mich, die das ganze System der sozialen Medien, so wie sie zurzeit existieren, grundsätzlich infrage stellen, weil es lediglich von Entscheidungen in Führungsetagen von Monopolkonzernen abhängt, was als Wahrheit durchgeht oder nicht.

In Deutschland gibt es spätestens nach den Gräueln der Nationalsozialisten ein anderes Verständnis von Meinungsfreiheit und von Zensur als in den USA. Die Nationalsozialisten hatten erkannt, dass Zeitungen, Radio und der Film bestens dafür geeignet waren, ihre Propaganda zu verbreiten, und verboten Medien, die ihnen ungenehme Fakten oder widerständige Meinungen verbreiteten. In ihrer Unmenschensprache nannten sie es Gleichschaltung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hielten die Väter und Mütter unserer Verfassung gleich im fünften Artikel fest: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt." Darauf basiert mein Berufsverständnis und mein Verständnis von dem, was im Internet passieren sollte. Wenn wir das Wort "Zensur" im Zusammenhang mit sozialen Netzwerken bemühen, sollten wir hinterfragen, ob nicht schon die von den Algorithmen der Plattformbetreiber erzeugte Auswahl eine Art Zensur darstellt; dass sich also die Menschen dort eben nicht "frei zugänglich" informieren können, dies aber glauben.

Wohlgemerkt plädiere ich nicht dafür, den Menschen allgemein die Möglichkeiten zu nehmen, sich über das Internet auszutauschen. Der Whistleblower Edward Snowden verweist in seiner Biografie "Permanent Record" darauf, dass sich das Internet in seinen Anfängen stark von dem heutigen unterscheidet, weil es inzwischen Unternehmen wie zunächst AOL, dann schließlich Google, Amazon, Apple und Facebook in Besitz genommen haben und weidlich für ihre Zwecke nutzen. Das frühe Internet, das wesentlich höhere und anspruchsvollere technische Einstiegshürden aufbot als das heutige, ist vielleicht jenes, das Kritiker meinen, wenn sie mir unterstellen, ich befürworte eine Zensur des Internets wie in China oder anderen autoritären Staaten oder etwa Upload-Filter oder ein Verbot sicherer Verschlüsselung [5]. Mir wird auch unterstellt, ich wolle andere Meinungen außer meiner verbieten [6] – abgesehen von denen auf ARD und ZDF geäußerten. Ich will auch nicht Aktivisten, der Demokratiebewegung und Regimegegnern ihre Kommunikationsmöglichkeiten wegnehmen [7] – sofern diese überhaupt Google, Facebook und die anderen US-Dienste benutzen sollten, denn sie stehen zumindest im Verdacht, in autoritären Staaten bei der Zensur mitzuhelfen [8].

Nun bin ich doch dort gelandet, wo ich eigentlich nicht hinwollte, nämlich dabei, meinen eigenen Kommentar zu erläutern oder gar zu rechtfertigen, also Kommentarkommentare zu kommentieren. Aber zum Beruf des Journalisten gehört es nach meinem Verständnis auch, nicht nur meine Meinung zur Diskussion zu stellen, sondern auch meine Prinzipien zu überdenken und dies beizeiten transparent zu machen. Daher nutze ich die Gelegenheit, auf ein paar Fragen einzugehen, die in einem meiner Ansicht nach exemplarischen Leserkommentar [9] aufgeworfen werden. Einige der Frage habe ich oben bereits zumindest angeschnitten.

"1. Von einem Reporter erwarte ich, dass er unvoreingenommen an ein Thema herantritt und sowohl Pros und Contras beleuchtet. Hier wird lediglich eine persönliche Meinung wiedergegeben um Einfluss auf die Leserschaft nehmen zu können. Im Grunde genommen nutzen Sie somit ebenfalls eine Plattform um ihre Meinung und Ansichten vertreten zu können. Ob es sich dabei um Facebook, Instagram oder wie in diesem Fall Heise handelt, ist irrelevant. Dazu noch die Frage, warum sie glauben, dass Ihre Meinung/Ansichten die richtigen sind?"

Ja, ich nutze eine Plattform dazu, um meine Meinung wiederzugeben und Einfluss auf die Leserschaft zu nehmen, und zwar Einfluss in dem Sinne, sich überhaupt erst einmal über das Thema Gedanken zu machen. Der Artikel ist mit "Kommentar" gekennzeichnet und mit meinem Namen versehen. Er enthält meine Ansichten, die ich zu dem Zeitpunkt, zu dem sie erschienen, für richtig hielt; unter anderem, dass ich nichts vorbringen kann, was für die Erhaltung der sozialen Netzwerke in den Händen von Privatunternehmen spricht. Er besagt nicht, dass ich nicht davon abrücken will. So funktionieren Meinungsjournalismus und auch Wissenschaft. Das wissen viele Menschen nicht, und das gerade in dieser Zeit, in der so viel gelesen und geschrieben wird wie noch zu keiner Zeit zuvor. In der die Menschen durch die Viruspandemie und die öffentliche Berichterstattung so viel über wissenschaftliche Vorgänge mitbekommen können wie noch zu keiner Zeit in der Menschheitsgeschichte.

Nach meinem Verständnis ist es nicht irrelevant, auf welcher Plattform ich meine Ansichten vertrete. heise online unterscheidet sich von den sozialen Medien dadurch, dass es einem journalistischen Ethos folgt und von den Lesern auch daran gemessen wird. Zu diesem Ethos gehört auch Meinungspluralität und die Erkenntnis, diese nicht als alleiniges Medium, schon gar nicht als einziger Journalist abdecken zu können. Konkurrenz gehört hier zwingend zum Geschäft, die Medien ergänzen sich untereinander in ihren jeweiligen Sichtweisen. Die Internetnutzer haben die freie Wahl, sich aus ihnen zu bedienen und damit die Möglichkeit, Ambiguitätstoleranz zu üben.

Einige Zeit sah es so aus, als würden Clickbait-Schleudern und "nutzergenerierter Content" den "alten Medien" das Wasser abgraben. Facebook, Google und auch Apple haben wohl erkannt, dass ihre Zukunft nicht mehr darin liegt, auch auf Kosten der Wahrheit und sprachlicher Qualität Aufmerksamkeit zu erheischen. Daher versuchen sie, von den "alten Medien" zu profitieren, indem sie mit ihnen kooperieren, sie fördern und ihren Nutzern journalistische Inhalte präsentieren; kurz: für ihre monopolistischen Zwecke zu instrumentalisieren.

Der Aspekt der Meinungspluralität ist dabei auch deshalb wichtig, weil es anders als von dem hier zitierten Leser erwartet so gut wie unmöglich ist, dass ich oder ein anderer Journalist "unvoreingenommen" an ein Thema herangeht. Mit zunehmender Kenntnis von der Materie – hier die sozialen Netzwerke und ihre Implikationen – entsteht zwangsläufig auch eine Meinung darüber; so wie jeder Mensch ständig Eindrücke von der Welt sammelt und für sich vor dem Hintergrund der Vorkenntnisse sortiert. Ein Journalist ist keine leblose abgekoppelte Maschine. Nur wer völlig unbeleckt von einer Materie ist, könnte ihr gegenüber "unvoreingenommen" sein – doch dann sollte er nicht darüber schreiben.

"2. Warum glauben Sie eigentlich, dass wir in Europa besser sind und mit dem Finger auf andere zeigen dürfen? Wir in Europa haben Berlusconi, Orban und Johnson gewählt. Der Unterschied zwischen Trump und den anderen genannten ist, dass die eben nur nicht auf die Idee gekommen sind, soziale Medien als Plattform zu benutzen."

Ich glaube gar nicht, dass wir in Europa "besser" sind als die US-Amerikaner, davon ist in meinem Kommentar an keiner Stelle die Rede. Ich bin davon überzeugt, dass die neuen rechtsextremen Sammelbecken ohne die sozialen Medien nicht einen solch großen Zulauf gefunden hätten und nur ein Vogelschiss geblieben wären, also höchstens in den Dimensionen von seinerzeit NPD, DVU und hiesigen Republikanern. Es kann durchaus sein, dass uns die USA im Kampf großer Teile der Bevölkerung gegen die Demokratie, in der tiefen gesellschaftlichen Spaltung wie auch schon in anderen sozialen, kulturellen und politischen Strömungen nur ein paar Jahre voraus sind.

"3. Es darf keine Zensur in einer Demokratie geben, wo wäre denn sonst der Sinn dieses Systems? Und wie ein anderer schon schrieb: Eine Demokratie muss so etwas aushalten!"

Hätte die Weimarer Republik die Nazis aushalten müssen? Da wären wir wohl bei dem vom Philosophen Karl Popper formulierten Toleranz-Paradoxon angekommen, indem es darum geht, wie eine tolerante Gesellschaft es verhindern kann, dass intolerante Kräfte ihre Toleranz einschränken oder ganz vernichten. Darauf gibt es keine einfache Antwort. Popper selbst meinte, uneingeschränkte Toleranz führe notwendig dazu, dass die Toleranz verschwindet.

Es ist ein Problem, das jeden einzelnen Menschen angeht; über das sich jeder Gedanken machen sollte, der wert auf ein demokratisches Miteinander legt, auf Mitmenschlichkeit und Solidarität. Es ist ein Problem, das Demagogen schnurzegal ist oder das sie erst dann für sich reklamieren, wenn sie sich zum Opfer stilisieren, weil sie zum Beispiel vom Verfassungsschutz beobachtet oder von Twitter mit Warnhinweisen versehen werden.

"4. Außerdem sollte man sich lieber mal die Frage stellen, warum es überhaupt zu solchen Ansichten kommen kann? Eventuell liegt das daran, dass die meisten den Glauben in Politiker verloren haben. Weil diese durch die Bank weg korrupt sind. Nur nennt man das nicht mehr so, sondern Lobbyarbeit oder Sitz im Vorstand. Politiker gehören in den Bundestag und nicht an den Tisch von Konzernen, dazu gehört Lobbyarbeit verboten. Schafft es die Politik nicht, das Vertrauen der Bevölkerung wiederzugewinnen, wird doch alles nur noch schlimmer in den nächsten Jahren."

Es stimmt vermutlich, dass viele Menschen das Vertrauen in die Politik verloren haben. Darauf ließe sich durch die geringe Beteiligung an den Wahlen in Deutschland schließen und den Zulauf zu Antidemokraten. Pauschalisierung hilft hier nicht weiter, nicht jeder Politiker ist korrupt.

Nun könnte man mir vorwerfen, mit meiner Forderung, die US-amerikanischen sozialen Netzwerke abzuschalten, ginge ich ebenso pauschal vor. Angelpunkt meines Kommentars ist aber, dass profitorientierte Unternehmen darüber befinden, welche Meinung genehm ist, und das auf Basis eines Rechtsverständnisses, das von unserem in wichtigen Punkten abweicht. Von den Strategien der Manager dieser Unternehmen, ihren Aktionären und ihren Algorithmen hängt es ab, welche Informationen wen erreichen und in welcher Filterblase die Menschen jeweils hängen bleiben und welchem Meinungszirkel sie systematisch zugeführt werden, ohne dass sie die zugrundeliegenden Regeln durchschauen können.

Damit will ich nicht grundsätzlich die digitale Vernetzung der Menschen untereinander verbieten, es müsste dafür nur ein neues, für eine demokratische, tolerante Gesellschaft geeigneteres Modell gefunden oder eines genutzt werden, das womöglich bereits in einer Nische existiert, aber sich mangels Unterstützung bisher nicht entfalten konnte.

"5. Nur Bildung kann der einzige Weg sein, um unser aller Leben besser zu machen. Nur so kann erreicht werden, dass die Bevölkerung wieder ihr Hirn einschaltet, dadurch differenziert an Themen herantritt und objektiv einen Beitrag zur Verbesserung leisten kann."

Bildung und Information können helfen, Themen differenziert zu betrachten, keine Frage. Insofern habe ich als Nachrichtenredakteur einen Bildungsauftrag mit der damit verbundenen Verantwortung. Die schließt mit ein, dass ich mich ständig auf dem Laufenden halte und fortbilde, denn jeder Tag hat etwas Neues, Unbekanntes zu bieten. Das ist ein Anspruch, der mir im Hause Heise vom ersten Tag an begegnet ist und bis heute begegnet. Ich bin überzeugt davon, dass die c't und ihr anfänglicher Online-Ableger heise online den stürmischen Medienwandel der vergangenen zwanzig Jahre nicht vergleichsweise so unbeschadet überstanden hätten, wenn die Leser sich nicht auf gehaltvolle und fundierte Informationen verlassen könnten und nicht die Möglichkeit hätten, Kritik zu äußern und Korrekturen einzufordern.

In dieser arbeitsteiligen Welt sehe ich meine Aufgabe darin, die Nachrichtenlage zu sichten, zu sortieren, in die für Meldungen übliche Form aufzubereiten und anderen Menschen darzubieten, die dafür keine Zeit haben, weil sie sich hauptberuflich anderen Dingen widmen. Umgekehrt verlasse ich mich auf ihr Spezialistentum.

"6. Und um das Thema 'Soziale Medien' erneut aufzugreifen. Es ist doch ganz einfach: Meiner Meinung nach müssen wir weg von der Anonymisierung und hin zu personenbezogenen Accounts. Denn wenn ich schon etwas zu sagen habe, dann muss ich auch dazu stehen. Was und wie ich etwas sagen darf, wird durch Gesetze geregelt. Halte ich mich daran, kann ich also weiterhin alles sagen, was ich will. Es wäre so einfach… Dann würden sich viele überlegen, ob sie weiterhin ihren Mund aufmachen oder besser mal frei nach den Lehren von Dieter Nuhr leben."

Das Stichwort Anonymität wird häufiger angebracht, wenn es darum geht, Fake News und Hassbotschaften oder irgendetwas anderes im Internet zu bekämpfen, was verboten ist. Vor einem Jahr sagte zum Beispiel Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, Anonymität sei eine Versuchung zur Hemmungslosigkeit [10]. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht sieht hingegen zu viele Stolpersteine für eine Klarnamenpflicht, vielmehr will sie deutlichere Vorschriften für die Herausgabe von Passwörtern durch Telemediendienste und eine Meldepflicht für soziale Netzwerke bei schweren Straftaten. Hier stimme ich Argumenten zu, die zum Beispiel die Gesellschaft für Informatik angebracht hat: Vertrauliche Passwörter, private Schlüssel und ähnliche Mechanismen dürften als "hochsensible Daten" den Verfügungsbereich des jeweiligen Nutzers nicht verlassen, meint sie. Sonst sei nicht mehr kontrollierbar, wer diese verwende und weitergebe.

Ein gewichtiges Argument gegen die Klarnamenpflicht und die Offenlegung vertraulicher Daten ist auch, dass sich die politischen Regeln des Erlaubten ändern und die bis dahin im Internet gelandeten und weiter nachlesbaren Äußerungen von einem gedachten geändertem Staat in einem anderen Kontext gesehen werden können. Es ist schon heute möglich, anhand der frei zugänglichen Daten von Nutzern sozialer Medien Profile und damit womöglich "schwarze Listen" aufzustellen, zumal viele Menschen Informationen preisgeben – sei es freiwillig freizügig oder unfreiwillig.

Es zeigt sich, dass allein schon die sechs Punkte dieses einen Leserkommentars einige Denkanregungen enthalten, so wie auch viele andere Leserbeiträge, die am Donnerstag zum Kommentar "Schluss mit Twitter, Facebook und Co." gepostet wurden. In einem Leserbeitrag wird meinem Resümee die Überspitzung genommen [11] und es ins Realistische gewendet: Es helfe nicht, diese Netzwerke abzuschalten, die Hildmanns und Wendlers zögen einfach weiter, zum Beispiel auf Telegram. Auch seien jene, die sich fürs Irrationale entschieden haben, nicht mehr mit der Adornoschen Vernunft zu erreichen:

"Mein Vorschlag wäre eher, dass sich mindestens alle Kommunen, Behörden, Parteien, Politiker und sonstige öffentliche Stellen endlich mal aus diesen Plattformen komplett zurückziehen. Deren Präsenz dort halte ich für einen Fehler. So praktisch das sein mag, aber sie zementieren damit die Monopolstellung und die Unentbehrlichkeit dieser Firmen und verleihen ihnen auch ihren Anstrich von Seriösität und 'Nachrichtenmedium'. Mindestens diese Entscheidung hat die Politik doch komplett in der Hand."

In den vergangenen Jahren wurde es für Unternehmen, Behörden und Politiker immer üblicher, sich auf anderen Kanälen als ihren eigenen Webseiten oder Presseorganen zu äußern. Anfangs konnte ich mich dem als Journalist verweigern, doch immer mehr Informationen waren mit der Zeit nur noch exklusiv auf Twitter, Facebook oder anderen "privaten" Quellen zu finden; etwas, das der derzeitige US-Präsident zum Exzess getrieben hat, wodurch es zu einer Art Symbiose zwischen ihm und seinen privatunternehmerischen Kanälen kam. Dem musste ich mich zwangsläufig beugen, auch wenn ich diesen Kanälen skeptisch gegenüberstehe und mich die sozialen Netzwerke dauernd nötigen, ihnen beizutreten.

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Auch störte es mich schon immer, dass hochrangige Politiker "Bild" Äußerungen exklusiv überlassen und andere Medien dadurch nötigen, das Boulevardblatt zu zitieren, das sich so einen Anstrich von Seriösität und "Nachrichtenmedium" geben kann. Ein Rückzug von diesem "Organ der Niedertracht" (Max Goldt) sowie von den monopolistischen sozialen Medien würde ein wichtiges Signal für andere Medien, Politiker, Institutionen, Unternehmen sowie die Leser und Nutzer setzen, es ihnen gleichzutun. Besonders Volksvertreter und Regierungsmitglieder sollten nicht jede beliebige Bühne für ihre Botschaften nutzen.

Fürs Erste bin ich gleichzeitig beunruhigt und etwas besänftigt, weil die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi beim Chairman of the Joint Chiefs of Staff Mark Milley, also dem Vorsitzenden des Vereinigten Generalstabs der Streitkräfte der Vereinigten Staaten vorgefühlt hat [13], um zu verhindern, dass der Egomane im Weißen Haus in seinem Wahn Atomraketen losschickt. So ganz aus der Luft gegriffen ist der Weltkrieg in der Überschrift also nicht. Die Politikerin ist auch sehr rege dabei, Trump abzusägen – leider auch auf Twitter [14]. Wenigstens kann Trump nun dort nicht mehr seine 89 Millionen Folgenden anpoltern. Mit welchem Betriebssystem er den nächsten Weltkrieg auslösen könnte, weiß ich nicht. Und auch nicht, ob es Freibier für alle gibt, wenn diese Krisenzeit vorbei ist.

(anw [15])


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