Missing Link: Grassroot-KI – Afrikas Aufholjagd bei Künstlicher Intelligenz

Seite 2: Drohende Abhängigkeit

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Denn trotz vieler politischer Absichtserklärungen, mittlerweile rund 4500 KI-Unternehmen und über 400 Exzellenzhubs im Bereich Technologie und Innovation – viele davon kümmern sich um KI – hinkt Afrika hinter dem Globalen Norden und China her. Kein afrikanisches Land steht laut Marwala aktuell unter den Top 10 der Länder, die am meisten von Automatisierung und KI-Anwendungen profitieren werden. Die Einführung komme einfach zu langsam voran.

Auf dem Internet Governance Forum in Addis Abeba im Dezember 2022 hatte Marwala angesichts der Entwicklung daher eindringlich gewarnt: "Afrikanische Länder mit großen in Armut lebenden Bevölkerungsgruppen drohen in vollkommene Abhängigkeit von westlicher Technologie zu geraten, wenn wir uns nicht ernsthaft daran machen, die großen Lücken schließen."

Was ist so schlimm, auf westliche Tools von Google Search bis Google Translate oder die neuen Chatbots aufzubauen? Marwala und viele seiner afrikanischen Kollegen sind sich einig, dass man damit eine KI bekommen würde, die auf fremden Werten basiert – kulturell, aber auch schlicht numerisch. "Denn da, wo KI gebaut wird, sitzen wir nicht mit am Tisch." Die von Google wegen Insubordination gefeuerte KI-Wissenschaftlerin Timnit Gebru hatte zugespitzt formuliert, sie sei besorgt über die Zukunft von KI, nicht wegen wild werdender Maschinen, die alles übernehmen könnten, sondern wegen der homogenen, eindimensionalen Gruppe von Männern, die aktuell die Technologie vorantreiben.

Sally Radwan, Beraterin im ägyptischen IT-Ministerium, spricht davon, dass multinationale Unternehmen einfach ihre Produkte in der Region einführen, "ohne dass wir mitreden oder etwas beitragen können, sei es in Bezug auf eigene Datensets oder in Bezug auf Audits oder Zertifizierungen". Afrikanische Länder könnten bei einer solchen Entwicklung kaum noch etwas dagegen tun, dass ihre Werte, Traditionen und auch Gesetze verletzt würden, sagte die Computerwissenschaftlerin und Biotech-Ingenieurin.

Zu den zahlreichen Lücken gehören laut dem Gründer von InstaDeep, Karim Beguir, dass Start-up-Firmen und -Manager auf dem Kontinent fehlten. In einer von Adji Bousso Dieng, der ersten schwarzen Computerwissenschaftlerin an der Universität Princeton, im vergangenen Jahr veranstalteten Diskussionsrunde zum Thema KI in Afrika, mahnte auch Beguir zu einem schnelleren Handeln.

Beguirs Firma galt als genau ein solches Start-up, wie es Afrikas KI-Szene aktuell noch fehlt. Es gibt noch einige andere, etwa den Softwarevermittler Andela oder das nigerianische Fintech-Unternehmen Flutterwave. Beguirs mit bescheidenem Startkapital aus dem Boden gestampftes Deep-Tech-Unternehmen gelte aber als Grundlagenentwickler. InstaDeep könne mit den Großen der Branche wie Google durchaus mithalten, versicherte Beguir.

Der aus Tataouine stammende Gründer versprach, dass seine Firma Open-Source-KI-Tools für die neue KI-Generation in Afrika zur Verfügung stellen werde. Die Open-Source-Tools, die InstaDeep auf seiner InstaChain Plattform zur Verfügung stelle, erlaubten es jedermann mit Laptop, eigene KI-Anwendungen und -Ideen zu entwickeln.

Anfang des Jahres hat Beguir InstaDeep verkauft, es gehört nun zum Mainzer Biotech-Unternehmen BioNTech. Dies hatte (wie auch die Deutsche Bahn und andere Unternehmen) zu den Abnehmern von KI-Anwendungen der generativen InstaDeep-Algorithmen gehört. Ob Beguir nun sein Versprechen noch einhalten kann, die nächste Entwicklergeneration – auch im Biotech-Bereich – mit Open-Source-Tools zu ermächtigen, ist abzuwarten. Beguir wollte sich dazu gegenüber heise online nicht äußern. BioNTech seinerseits ist durch eine eher rigide Politik bezüglich seiner geistigen Eigentumsrechte bekannt.

Ist die Geschichte vom ersten weltweit bekannten DeepTech-Konkurrenten afrikanischer Provenienz also ein zusätzliches Beispiel dafür, wie der Globale Norden die für ihn interessanten Rohstoffe schürft? "Ich würde es doch eher als Booster in den Arm der afrikanischen KI-Szene sehen wollen", meint Marwala. Das Interesse an einem Start-up werfe schließlich ein positives Licht auf die Innovationskraft des Kontinents. Zugleich erinnert er daran: InstaDeep habe schon vor dem Verkauf seine Zentrale im Vereinigten Königreich aufgeschlagen, wie übrigens auch andere afrikanische KI-Avantgarde-Unternehmen. Das deute noch auf eine "ganz andere Dimension der Diskussion" hin.

Gemeint ist damit die nach wie vor bestehende Orientierung des Nachwuchses am Ausland. Nicht nur zur Ausbildung gehen viele Nachwuchsforscher noch an US-amerikanische oder europäische Universitäten. Sie verlassen sich auch auf die Tools von dort.

Umkehren will diesen Trend eine wachsende Gruppe jüngerer Wissenschaftler, die vom Konzept der "Graswurzel-KI" schwärmen. Deep-Learning-Indaba-Koordinator Vukosi Marivate von der Universität Pretoria oder Jade Abbott, Mitbegründerin von Masakhane, sehen in ihren neuen Netzwerken ein Pfund, mit dem sich wuchern lässt.

Jede Region habe "ihre eigene Superpower", erklärte auch Beguir. Die USA hätten die besten Tech-Firmen. Europa sei spitze, wenn es um innovative Datenpolitik und die notwendigen Datenschutzkonzepte gehe. China besteche durch die Langfristigkeit seiner KI-Pläne. Die Besonderheit Afrikas sei eine besonders starke Community, meinte Beguir.

Das Paradebeispiel für Afrikas Grassroot-AI-Bewegung ist Masakhane, ein 2019 entstandenes Netzwerk, das sich um Natural Language Processing (NLP) für afrikanische Sprachen kümmert.