Missing Link: Die PC-Graswurzelbewegung trifft sich in einer Garage

Im März 1975 treffen sich ein paar Technik-Tüftler in einer Garage im Silicon Valley und gründen einen Computer-Club. Ohne den hätte es Apple nicht gegeben.

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Die 1970er Jahre: Computer ohne Bildschirm oder Tastatur, dafür aber viel Papier.

(Bild: René Meyer)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • René Meyer
Inhaltsverzeichnis

Die besten Geschichten aus dem Silicon Valley beginnen in einer Garage. "Ich kann Ihnen fast auf den Tag genau sagen, wann die Computer-Revolution, so wie ich sie sehe, begann – die Revolution, die das Leben aller Menschen verändert hat." Das schreibt Apple-Gründer Steve Wozniak über den 5. März 1975 in seiner Biografie.

An diesem Abend treffen sich 32 Nerds, um sich kennenzulernen und auszutauschen. Ein Computer-Club ist geboren, vermutlich der erste überhaupt. Gastgeber ist Gordon French. Zwei Eigenschaften qualifizieren ihn: Er hat eine Doppel-Garage, die sich allerdings als zu klein erweist. Und er besitzt einen Computer, einen selbstgebauten Rechner auf der Basis des Intel 8008.

Es ist Mitte der siebziger Jahre. Das Zeitalter des PCs klopft an der Tür – des persönlichen Computers, den man sich für ein paar hundert Dollar zu Hause aufstellen kann. Er ist die Spitze einer faszinierenden und rasanten Entwicklung. Sie beginnt in den vierziger Jahren mit saalgroßen Unikaten wie ENIAC. In den fünfziger Jahren geht es in die Serienfertigung; als erster in größeren Stückzahlen (2000) gefertigte Rechner gilt der IBM 650, noch mit Elektronenröhren.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Die sechziger Jahre machen alles viel kleiner und preiswerter. Die Minicomputer wie die PDP von DEC kommen; nur noch so groß wie ein Kleiderschrank. Transistoren werden zu integrierten Schaltkreisen zusammengefasst. Der Mikroprozessor wird erfunden.

Keiner der Großen wie IBM hat auf dem Schirm, dass nach Sälen und Schränken Computer künftig in Schuhkartons passen – klein und günstig genug, um interessant für eine sehr viel größere Zielgruppe zu sein: alle. Die digitale Revolution kommt von unten – und das Computer-Establishment hat zunächst keinen Anteil daran.

Doch es mangelt den Digital-Pionieren an allem: An Kontakten, Knowhow, Software, Räumen, Computer-Geschäften, Messen und Zeitschriften, die sich an die neue Zielgruppe richten (wobei: ganz frisch ist die "Creative Computing"; die "BYTE" kommt im Sommer 1975).

Und so beginnt die Heimcomputer- und spätere PC-Industrie in einer Garage. Der Auslöser für die Club-Idee ist die berühmte Ausgabe der Zeitschrift Popular Electronics vom Januar 1975. Auf dem Cover: der Altair 8800, angeboten als Bausatz für 397 Dollar oder fertig montiert für 498 Dollar. Computer, die erst Millionen kosten, dann Hunderttausende, dann Zehntausende, die sind mit 500 Dollar plötzlich einigermaßen erschwinglich – 1975 betrug das durchschnittliche Jahreseinkommen amerikanischer Haushalte rund 13.000 Dollar.

Ob der Altair der erste Heimcomputer ist, kann man diskutieren – seinen enormen Einfluss aber nicht. Die Zeitschrift erscheint Ende November; und eines der ersten Geräte trifft im Februar in Menlo Park ein, als Testmuster für die People's Computer Company, die gar keine Company ist, sondern eine Organisation mit dem Ziel, Computerwissen für jedermann zugänglich zu machen. Eines der Mitglieder, Fred Moore, kommt auf die Idee, das als Anlass für eine Zusammenkunft zu nehmen.

Die Ironie der Geschichte: Moore ist derjenige, der am wenigsten von Computern versteht. Er ist kein Hardware-Fachmann, sondern Friedensaktivist (der Vietnamkrieg ist in den letzten Zügen). Die Hippie-Kultur ist dem Computer gegenüber damals noch aufgeschlossen und sieht in als Werkzeug: für Gemeinschaft, Selbstverwirklichung und Dezentralisierung. Moore möchte die neue Technik zur Verbreitung von Ideen nutzen. Ihm schwebt ein Hardware-Kurs vor, bei dem man voneinander lernt. Gewinnen kann er Gordon French, und der ist der geborene Tüftler.

Moore entwirft eine Einladung im Format A5, kopiert sie um die 100 Mal und verteilt sie: "Bauen Sie Ihren eigenen Computer? Terminal? TV Typewriter? I/O-Gerät?" (TV Typewriter ist dabei ein anderes Zeitschriften-Projekt, ein unerwarteter Erfolg zwei Jahre davor: ein Gerät, um Text auf einem Fernseher anzeigen, unter Verwendung eines der ersten Zeichengenerator-Schaltkreise.)

Überschrieben ist der Zettel mit zwei möglichen Namen: "Amateur Computer Users Group" und "Homebrew Computer Club"; der zweite setzt sich durch.

Und so drängeln sich am 5. März 1975 ab 19 Uhr viele Interessierte in der als Werkstatt genutzten Garage von Gordon French. Menlo Park, 614 18th Avenue. Der Gastgeber kann sich nicht lange an seiner Schöpfung erfreuen: Er zieht kurze Zeit später an die Ostküste, um für die Regierung zu arbeiten.

Zunächst stellen sich alle Teilnehmer vor. Viele arbeiten als Ingenieure, andere sind Hobbyisten. Sechs von ihnen haben bereits einen funktionstüchtigen Computer, andere werkeln noch daran, einige warten auf ihren bestellten Altair.

Der Altair, das Testgerät, steht natürlich im Mittelpunkt. Er lässt sich einschalten, doch er tut nichts. Daraus erwächst eines der Gründungsmotive für den Club: Was anfangen mit einem Gerät, das keinen Bildschirm und keine Tastatur hat, sondern nur eine Frontplatte mit LEDs und Kippschaltern.

Zudem ist Altair-Hersteller MITS mit den vielen Bestellungen völlig überfordert. Das weiß Teilnehmer Steve Dompier aus erster Hand zu berichten. Er fliegt zuvor nach Albuquerque, um seinen Altair abzuholen – und sucht vergeblich die erwartete Fabrik: "Es gab zwei oder drei Räume. Alles, was sie hatten, war eine Kiste voller Teile." Und so sprießen Ideen für Erweiterungskarten – und für Alternativen.

Ebenfalls in der Garage ist Lee Felsenstein, der etwas später den Sol-20 entwirft, einen Altair-Klon mit Tastatur und TV-Ausgang, der es ebenfalls auf das Cover der Popular Electronics schafft. Und der noch später für Adam Osborne den Osborne 1 erfindet, den ersten erfolgreichen tragbaren Computer. Felsenstein wird zum Moderator kommender Treffen, die Vorträge und Knüpfen von Kontakten an Computer-Tischen kombinieren.

Bob Lash und Mike Fremont sind die beiden jüngsten Gäste. Sie sind Schüler an der "Paly", der Palo Alto High School. Als Betreuer des Computer-Systems stoßen sie im Terminal-Raum mit Fernschreibern am Schwarzen Brett auf die Einladung. Lash bastelt selbst bereits an einem Computer aus TTL-Chips: ein Mikroprozessor ist ihm noch zu teuer. Später studiert er Elektrotechnik und Informatik in Berkeley.

Vor allem einen elektrisiert das Treffen: Steve Wozniak. Er entwirft bei Hewlett-Packard (wo ebenfalls eine Einladung hängt) Taschenrechner. An dem Abend in der Garage wird seine Liebe zu Computern neu entfacht: Vier Jahre zuvor, vor dem ersten Mikroprozessor, hat er bereits einen entworfen, den er Cream Soda nennt (nach dem dabei konsumierten Getränk), mit 256 Byte RAM und acht LEDs als Anzeige.

Nach dem Treffen, noch in derselben Nacht, plant Wozniak einen Computer, der dank eines Mikroprozessors viel kompakter ist als sein Frühwerk und (genau wie der Sol-20) in das Terminal, also die Tastatur, passt. Dieses Konzept lässt die kryptischen Bedienelemente von Altair & Co veraltet erscheinen. Daraus wird, natürlich, der Apple I, den Wozniak zunächst als Board und später als fertiges Gerät zu den Club-Treffen mitbringt. (Das wird hübsch erzählt in dem halb-dokumentarischen Spielfilm "Die Silicon Valley Story".)

Steve Jobs ist bei den Treffen regelmäßig dabei und hilft beim Tragen und Aufbauen des Computers. Er überredet Woz, Bau-Anleitungen und Platinen-Layouts nicht mehr zu verschenken, sondern selbst Computer zu produzieren und zu verkaufen. Computer zu verkaufen – das wäre Woz nicht in den Sinn gekommen.

Am Ende des ersten Treffens darf sich jeder der Anwesenden einen kostenlosen Prozessor mitnehmen: einen Intel 8008, gestiftet von Marty Spergel, der einen Versandshop betreibt (und später Zulieferer für den Apple II ist).

Einige Tage später erscheint der erste Club-Newsletter. Fred Moore fasst auf einer Seite den Abend zusammen und lädt zu einem zweiten Treffen am 19. März ein, diesmal in den Konferenzraum des Stanford Artificial Intelligence Laboratory in Portola Valley.

Der dritte Newsletter ist bereits acht Seiten stark. Er listet Adressen und Interessen von Teilnehmern, nennt weitere, eher lokale Clubs sowie Anschriften von Elektronik-Geschäften. Eingeladen wird zum nächsten Treffen in den Hörsaal einer Schule. Danach bleibt der Ort für einige Jahre konstant: Für die Hunderte von Teilnehmern braucht es einen großen Hörsaal in Stanford.

Faksimile von Bill Gates' offenem Brief im Club-Newsletter.

(Bild: gemeinfrei)

Die Geburtsstunde der PC-Ära ist von den Idealen der 70er Jahre geprägt. Im Vordergrund stehen das Netzwerken und die gegenseitige Hilfe, es wird getauscht und verschenkt. An das große Geld denken die meisten noch nicht. Die Ausnahmen heißen Steve Jobs und Bill Gates.

Dass der Lochstreifen mit einer Vorab-Version seines kommerziellen BASIC-Interpreters für den Altair 50 Mal kopiert und auf einem Club-Treffen verteilt wird, nervt den jungen Gates. Im Homebrew-Newsletter vom 3. Februar 1976 erscheint sein berühmter "Open Letter to Hobbyists": Nur zehn Prozent der Altair-Besitzer hätten das BASIC gekauft, klagt Gates – die Software, ohne die man mit dem Rechner nicht viel anfangen kann.

Auch die Heimcomputer haben sich kommerzialisiert. Es geht um Millionen und Milliarden; Wissen wird nicht mehr verschenkt, sondern ist Gegenstand von Copyright und Patenten, von Industriespionage und Klagen. Am 22. Dezember 1986 findet das letzte offizielle Treffen statt. Der Homebrew-Gedanke lebt bis heute weiter, bei Hardware und bei Software.

(vbr)