Missing Link: KI und Rettungskräfte – wie Künstliche Intelligenz Helfern hilft​

Seite 2: Notfalls werden Boten geschickt

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Die Einsatzkräfte sollten die für eine KI-Auswertung benötigten Daten grundsätzlich "selbst erfliegen können", verlangt Monika Gähler, Leiterin des Zentrums für satellitengestützte Kriseninformation beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Das Technische Hilfswerk (THW) baue dazu gerade eine Drohnenstaffel auf. So werde es schon kurz nach dem Start eines unbemannten Flugobjekts möglich, erste Analysen direkt "im Wagen vor Ort" vorzunehmen. Ein "reiner Bildflug mit einer unkoordinierten Videoaufnahme" bringe aber nichts. Die gelieferten Daten müssten schließlich auch so standardisiert sein, dass sie rasch ausgewertet werden könnten.

Bei null fange das DLR bei der Big-Data-Analyse nicht an, versichert Gähler: Man habe auch vor dem aktuellen KI-Hype schon automatisierte Verfahren dafür eingesetzt. Das Zentrum mache bei Resultaten, die mit KI generiert werden, auch noch kenntlich, dass diese Verfahren experimentell seien. Bei der Erdbebenhilfe in Türkei und Syrien im Februar 2023 habe man festgestellt, dass die Ahrtal-Erfahrungen systemtechnisch zwar verwendet werden könnten, entsprechende Modelle aber noch spezifisch trainiert werden müssten. Die Technik biete bislang "keine wahnsinnige Genauigkeit". In den nächsten drei bis vier Jahren rechnet Gähler hier aber mit einem großen technischen Sprung. Auf Ausfälle müssten alle Beteiligten indes gefasst bleiben und Abhängigkeiten möglichst vermeiden: "Wir haben im Ahrtal auch wieder Karten gedruckt und mit Boten ins Gelände geschickt." In Krisen sei es erforderlich, die entscheidenden "Köpfe zu kennen".

Bis spezifischere Modelle verfügbar sind, begnügt sich der DRK-Kreisverband für die Städteregion Aachen mit ChatGPT und erfüllt damit etwa bürokratische Auflagen. Ein einfacher Prompt erteile die Anweisung an den Bot: "Analysiere das Bild 1 und erstelle eine Lagemeldung, indem du Bild 2 als Vorlage verwendest", bringt der Vorstandsvorsitzende Axel Fielen ein Beispiel.

KI kann laut Fielen auch bereits helfen, "ungebundene" freiwillige Helfer im Katastrophenfall zu koordinieren. Im Ahrtal-Fall sei der Verband "von der Wucht der sich Meldenden überfordert" gewesen. Man habe damals acht Kollegen an eine Hotline gesetzt und über Social Media zum Helfen aufgefordert. Über drei Tage seien 3000 Freiwillige zusammengekommen, die die Mitarbeiter in eine Excel-Liste eingetragen hätten. Das Zusammenführen mit den Hilfesuchenden habe die komplette Verwaltung dann aber zwei Wochen außer Kraft gesetzt.

Um den Flaschenhals zu beseitigen, habe das DRK-Team mittlerweile eine "App entwickelt wie eine professionelle Dating-Plattform", freut sich der Chef. Dabei bewerte im Hintergrund eine KI die Hilfsangebote und ordne sie der Nachfrage zu. Die Einsatzleitung könne angesichts dieses Matchings so abfragen, welche Freiwilligen potenziell zur Verfügung stünden. Ein Chatbot ist laut Fielen auch gut darin, die direkte Kommunikation zwischen Notfallhelfern und Betroffenen im Krisenfall durch Warnmeldungen, zeitversetzte Rückmeldungen, Hilfe zur Selbsthilfe oder einer "einfachen psychosozialen Betreuung" zu unterstützen. Eine Spezialversion des DRK Aachen dürfte in den nächsten drei Monaten fertig sein.

Eine ganz andere Richtung hat das Bayerische Rote Kreuz (BRK) eingeschlagen. Es will Sonargeräte mit KI entwickeln, die beim Lokalisieren von Personen helfen, um insbesondere ein Ertrinken zu vermeiden. Bislang sei die Distanzeinschätzung auf Wasser schwierig, unter Wasser sehe man oft schlecht, sagt Benedikt Schlereth-Groh von der zum BRK gehörenden Kreis-Wasserwacht Nürnberg. Taucher müssten sich daher recht lange vortasten. Als technische Hilfe gebe es mit Sonar bereits ein Verfahren zur Ortung und Analyse von Strukturen unter Wasser mithilfe von Ultraschallwellen mit 455 oder 800 kHz. Dabei entstehende Bilder seien aber "nicht so hoch aufgelöst" und verrauscht. Das mache es schwer, eine vermisste Person zu finden.

Der KI-gestützte Unterwasser-Scanner Aqua-Eye

(Bild: Krempl)

Zur Lösung dieses Problems setzt die Wasserwacht daher auf den KI-gestützten Unterwasserscanner Aqua-Eye. Mit diesem portablen Gerät müsse man ins Wasser gehen, es unter die Oberfläche bringen und sich langsam in 30 Sekunden um die eigene Achse drehen, gibt Schlereth-Groh Einblicke in das Verfahren. Bis zu 50 Meter Entfernung würden dann durchleuchtet. Die KI mache in Folge Vorschläge mit Kreisen, wenn sie sich unsicher sei, oder mit einem X für einen voraussichtlich entdeckten Körper. Im letzteren Fall würden die Taucher direkt eingesetzt.

Das Handheld könne bei sehr vielen Ortsgruppen eingesetzt werden und eine Badeaufsicht damit "drei Weiher mal schnell abscannen", legt Schlereth-Groh dar. Künftig wolle die Wasserwacht auch den Sonobot 5 testen, ein umbenanntes Mini-Schiff, das übers Wasser fährt und so automatisiert einen größeren Bereich absucht. Der Preis dafür liegt mit bis zu 80.000 Euro aber deutlich über dem des Aqua-Eyes. Ein eigenes Forschungsprojekt für Sonargeräte mit KI-Unterstützung hat die Nürnberger Gruppe mit der dortigen Technischen Hochschule parallel am Laufen.

Am vorläufigen Ende der Kette sieht Straube vom DFKI Robotersysteme für die Helfer vor Ort, die eine physische Interaktion mit der Umgebung herstellen. Das KI-Forschungszentrum arbeite für den Katastrophenschutz etwa im Projekt Robdekon mit dem Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB) zusammen, um "menschenfeindliche Umgebungen" zu dekontaminieren. Solche Roboter müssten – bis hin zu Baggersystemen – soweit automatisiert arbeiten, dass sie "ohne Intervention des Menschen operieren können".

Mit dem THW fertigt das DFKI dazu Straube zufolge etwa Maschinen an, "die schweren Lasten abnehmen". Im EU-Projekt Deepersens gehe es ferner darum, Taucher mit zusätzlicher Sensorik und KI zu unterstützen und schlechte Sicht wettzumachen. Insgesamt warb der Forscher bei allen Rettern trotz unterschiedlichster regulatorischer Vorschriften für mehr Mut, Dinge im KI-Bereich auszuprobieren.

(mki)