Missing Link: "Man ist immer auf der Suche nach dem noch besseren Spiel"

Computerspiele sind ein Hit, das gute alte Brettspiel haben sie aber nicht verdrängen können. Die Szene bleibt lebhaft, erzählt Spiele-Veteran Wolfgang Kramer.

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"Spieler vertragen sich besser als Leute, die nicht spielen", meint Spielentwickler Wolfang Kramer.

(Bild: Privat)

Lesezeit: 15 Min.
Von
  • Ulrike Heitmüller
Inhaltsverzeichnis

Im Juli wurden die Gewinner zum "Spiel des Jahres 2024" bekannt gegeben. Zwar hat Wolfgang Kramer nicht gewonnen, aber er ist einer der erfolgreichsten Spieleentwickler in Deutschland: Seit 50 Jahren erfindet er Spiele. Fünfmal schon hat er ein "Spiel des Jahres" entwickelt, so oft wie kein anderer. Inzwischen ist der gelernte Informatiker über 80 Jahre alt und entwickelt nicht nur weiterhin Spiele, sondern er veranstaltet in seinem Stuttgarter Wohnstift auch regelmäßig Spieleabende für die Mitbewohner. Wir haben mit Wolfgang Kramer telefoniert.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

heise online: Sie waren der erste hauptberufliche Spieleautor in Deutschland – wie kamen Sie dazu?

Wolfgang Kramer: Ich bin vor dem Abitur von der Schule abgegangen, ohne zu müssen. Im Nachhinein war das ein Fehler – oder auch ein Glücksfall. Nun jedenfalls ist alles gut: Sonst hätte ich eventuell studiert und dann wäre vielleicht der Beruf im Vordergrund gestanden.

So habe ich zwar auch eine Karriere gemacht, eine kleinere. Erst habe ich beim Bosch eine Ausbildung zum Industriekaufmann absolviert und dann dort in der EDV gearbeitet. Bosch hat mich auf Kurse und Seminare geschickt, sodass ich eine betriebliche Ausbildung zum Informatiker erhielt. Danach habe ich an einer staatlichen Fachschule studiert und als staatlich geprüfter Betriebswirt abgeschlossen. Schließlich wurde ich Leiter eines dezentralen Rechenzentrums mit 15 Mitarbeitern. Aber weitere Aufstiegsmöglichkeiten waren für mich nicht so naheliegend.

Was haben Sie damals verdient?

Das kann man nicht so genau sagen. Mit den heutigen Verhältnissen ist das auch nicht unbedingt vergleichbar, man müsste es hochrechnen.

Und dann haben Sie gekündigt, um nur noch Spiele zu entwickeln?

Erstmal habe ich das mit meiner Frau genau besprochen. Das ist ja keine Entscheidung, die man so mal eben nebenher trifft. Die muss reichlich überlegt werden. Meine Frau hat auch gearbeitet, sie war in mehreren Verlagen, am Schluss bei Konradin Kohlhammer in Stuttgart.

Und ja, dann habe ich bei Bosch gekündigt, ich hatte neun Monate Kündigungsfrist, zum 1. Januar 1989. Bosch hat mir eine Rückkehroption von drei Jahren angeboten, das war sehr großzügig. Das hat mich gefreut. Nach zwei Jahren kam dann ein Anruf: "Herr Kramer, was ist denn jetzt, kommen Sie zurück?" Und da sagte ich: "Nein, ich komme nicht zurück, bei mir sieht es gut aus." Selbstständig Spiele zu entwickeln hat mir auch besser gefallen, als irgendwo im unteren Management zu verharren, denn da hat man Druck von unten und von oben.

Also entwickeln Sie seit dem 1. Januar 1989 Spiele?

Nein, schon viel länger, schon seit 1974. Aber damals war das eher ein Hobby, damals habe ich nur so ein bis zwei Spiele pro Jahr entwickelt. Seit das meine Hauptbetätigung ist, sind das deutlich mehr. So hatte ich auch die Zeit, mehrmals ein Spiel des Jahres zu entwickeln. Ich bin der Erste in Deutschland, der mit dem Spielen seinen Lebensunterhalt verdient hat.

Was verdient man denn für ein Spiel des Jahres?

Das sind so um die 100.000 Euro.

Wenn man dafür ein Jahr oder so arbeiten muss, relativiert sich das …

Ein Spiel des Jahres ist sehr lukrativ, sehr erstrebenswert, aber nicht planbar und die Konkurrenz ist sehr groß. Die Jury Spiel des Jahres bewertet aber nicht nur die Arbeit des Spieleautors, sondern auch die Illustrationen und die Arbeit des Verlegers. Andererseits weiß man in etwa, welche Spiele für ein Spiel des Jahres infrage kommen können und welche nicht.

Welche kommen denn infrage?

Gefragte Eigenschaften sind Innovation, Spannung, der Spielreiz und auch der Wiederspielreiz. Nicht, dass man ein Spiel nur ein paar Mal spielen will und dann keine Lust mehr hat.

Sie sind also sehr erfolgreich – und Sie haben viele Spiele im Team entwickelt, oder?

Ja. Der große Nachteil bei der Teamarbeit ist natürlich, dass man dann nur die Hälfte des Preisgeldes oder der Tantiemen bekommt. (Lacht). Am Anfang habe ich allein gearbeitet, also mit meiner Frau zusammen. Meine Frau und ich sind ein Team. Sie hat auch Ideen geliefert und mitgearbeitet. Das ist schon eine intensive Partnerschaft. Sie ist auch immer mit zu Messen mitgekommen, wir sind immer zu zweit aufgetreten.

Dann muss ich meine Spiele ja auch testen, das mache ich immer mit Freunden und Verwandten, zum Beispiel mit meinem Bruder und seiner Familie. Ich muss ein Spiel ungefähr 50mal spielen, bevor ich es beim Verlag einreiche.

Einige Freunde haben nach und nach auch Ideen entwickelt. Die haben sie mir erzählt und nach meiner Meinung gefragt. Dann habe ich die Ideen kommentiert, wir haben uns getroffen. So entstand die Zusammenarbeit mit Jürgen Grunau. Der hatte einen Kollegen, Hans Raggan, der auch gern gespielt hat. Und so entstand das KRAG-Team – den Namen haben wir aus unseren Initialen zusammengesetzt.

Mit diesem Team habe ich dann Spiele erfunden, die etwas anders waren als die Spiele, die ich bis dahin allein entwickelt hatte. Und zwar entwickelten wir psychologische Spiele, denn die beiden Co-Autoren waren Psychologen: So entstanden kommunikative Spiele. Und weil Raggan ein Bastler war, entstanden auch dreidimensionale Spiele. Auch Spiele vom KRAG-Team bekamen Auszeichnungen, und zwar "Robbys Rutschpartie" wurde nominiert für das Kinderspiel des Jahres 2003, "Macius – Achtung, fertig, los!" 2004, und "Blox" wurde zum Spiel des Jahres 2008 nominiert. Außerdem bekamen wir einen österreichischen und einen Schweizer Spielepreis. Das war meine erste Zusammenarbeit mit anderen. Aber dann starb Hans Raggan.

Oh. Und dann?

Dann hat mich die Firma Ravensburg angesprochen. Ein anderer Autor hatte ein Spiel eingereicht, das Thema gefiel ihnen. Aber seine Mechanismen funktionierten nicht und sie fragten, ob ich mir eine Zusammenarbeit vorstellen könnte. Das Spiel hieß "Flirt", es war neu, das Thema fand ich interessant und ich stimmte zu. Der Autor von Flirt war Richard Ulrich.. Wir haben dann zusammen am Spiel gearbeitet. Es erschien schließlich unter dem Titel "Punk sucht Lady": Die Spieler sind Heiratsinstitute und wer am meisten Paare zusammengebracht hat, und die am besten harmoniert haben, der hat gewonnen.

Eine Menge Teamarbeit …

Ja, und das ist noch nicht alles: Im Jahr 1997 habe ich einen Anruf bekommen: Ein Herr Kiesling klagte mir sein Leid. Er war Mitbegründer eines Software-Unternehmens, hatte sich auszahlen lassen und mit viel Geld einen Verlag für Spiele gegründet, der dann auch zwei Spiele herausbrachte. Aber es lief nicht richtig. Er hat mir die Spiele geschickt: Da waren die Mechanismen bis auf ein paar Schwachpunkte recht gut, aber das Gesamtkonzept zwischen Thema und Spiel nicht. Er wollte die Spiele umarbeiten, aber ich habe ihm davon abgeraten, weil er Zeit und Geld investieren würde, um mit einem negativen Image neu anzufangen. Besser ist es, etwas Neues beginnen.

Dann hat er ein Spiel entwickelt, das er Microsoft anbot, aber die reagierten nicht. Er rief wieder an und ich riet davon ab, an große Firmen zu gehen – sowas klappt bloß umgekehrt. Er hat mir das Spiel geschildert, wir haben zwei Stunden telefoniert – und dann entstand das Spiel "Haste Worte". Das ist heute noch im Programm eines Verlages und wurde deutlich über 100.000 Mal verkauft. Es ist vor 27 Jahren erschienen und wenn ein Spiel so alt wird, dann bleibt es meistens auch noch länger im Programm.

Michael Kiesling ist dann mit weiteren Ideen auf mich zugekommen, wir haben mehr als 50 Spiele gemeinsam entwickelt, viele davon waren sehr erfolgreich: Im Jahr 1999 wurde "Tikal" das Spiel des Jahres und 2000 "Torres". Michael Kießling wohnt in Bremen, wir haben alle Spiele über diese Entfernung entwickelt – gesehen haben wir uns das erste Mal nach zwei oder drei Jahren. Stattdessen haben wir täglich telefoniert, mitunter zwei Stunden lang. Begleitet wurden diese Telefonate von meterlangen E-Mails.

So entstand die Teamarbeit. Ich habe die Teamarbeit nicht gesucht, sondern das hat sich so entwickelt. Die Arbeit im Team ist sehr lebendig, ein ständiges Hin und Her, ein Geben und Nehmen.