Missing Link: Patent-Trolle fliegen auf, weil Richter seine Arbeit macht
2022 reichten drei Patentlizensierer Dutzende Klagen vor einem US-Bundesgericht ein und beschuldigten Firmen der Rechtsverletzung. Das rächt sich diesmal.

(Bild: Feng Yu/Shutterstock.com)
Patent-Trolle gelten Kritikern als eine Art Pest. Sie kaufen oder erben in der Regel gewerbliche Schutzansprüche für mehr oder weniger ausschlaggebende "Erfindungen", die sie selbst nicht getätigt haben. Damit mahnen sie kleine und große Unternehmen ab, verlangen Unterlassung und meist auch hohen Schadenersatz. Die Strategie geht oft auf, wenn den Betroffenen ein Gang vor Gericht zu umständlich und teuer erscheint. Die reinen Rechteinhaber missbrauchen damit gezielt Schwächen des Patentsystems und untergraben dieses so Stück für Stück.
Neben Deutschland gelten die USA als besonders lukrativ für Patent-Trolle. 96 Prozent aller Patentverletzungsverfahren in den Vereinigten Staaten stammten von klagefreudigen Verwertungsfirmen, die Betroffene mit ihrem Gebaren "belästigten", fand die Federal Trade Commission (FTC) bereits 2016 heraus. Die US-Handelsaufsicht drängte daher schon damals auf Reformen. Der Schwerpunkt der bei juristischen Streitigkeiten ins Feld geführten gewerblichen Schutzrechte war laut der Studie zu 88 Prozent der Sektor der Informations- und Kommunikationstechnologien. Bei über 75 Prozent davon handelte es sich um Softwarepatente. Eine einheitliche Front gegen Inhaber oft fragwürdiger Patente, die keine eigenen Produkte herstellen und damit nur Geld eintreiben wollen, gibt es in den USA dennoch nicht.
Die Auswüchse des Phänomens macht aktuell ein Fall deutlich, den die US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) ins Rampenlicht gerückt hat. 2022 reichten demnach drei Unternehmen mit seltsamen Namen und keinem klaren Geschäftszweck außer Patentstreitigkeiten Dutzende von Klagen vor dem US-Bundesgericht von Delaware ein. Sie warfen Unternehmen aller Größenordnungen wie Reddit, Bloomberg, Tastemade und Skillshare Patentverletzungen vor. Einige dieser Klagen beruhten auf Patentansprüchen für grundlegende Aspekte des modernen Lebens. Darunter war etwa ein gewerbliches Schutzrecht, das sich auf den Prozess der Arbeitszeiterfassung über eine App bezieht.
Imbisswagenbetreiber als Strohmann
Die klagenden Firmen – Mellaconic IP, Backertop Licensing und Nimitz Technologies – legten es offenbar darauf an, die Patente auf Kosten Dritter zu versilbern. Die von ihnen eingereichten Fälle nahmen aber bald eine ungewöhnliche Wendung, die an sich die Regel sein sollte. Der Vorsitzende Bundesrichter von Delaware, Colm Connolly, nahm nämlich eigentlich nur seine justiziellen Prüfaufgaben wahr und verlangte weitere Informationen über die Patente und deren Eigentumsverhältnisse.
Damit löste Connolly eine Lawine an Erkenntnissen und Gegenmaßnahmen aus. Einer der mutmaßlichen Patentinhaber sei just ein völlig fachfremder Imbisswagenbetreiber namens Hau Bui, berichtet die EFF. Ihm sei "passives Einkommen" – also leicht verdientes Geld – versprochen worden. Er habe aber nur Anspruch auf einen kleinen Teil der durch die Klagen erzielten Einnahmen gehabt. Als eine weitere Eigentümerin maßgeblicher Schutzrechte habe sich die Ehefrau eines Anwalts bei IP Edge herausgestellt. Das ist die mit allen drei Klägern verbandelte, auf die Verwertung von Immaterialgüterrechten spezialisierte Kanzlei. Zu dieser gehört zudem der Ableger Mavexar.
Nach einer umfassenden Untersuchung stellte Connolly zunächst fest, dass es sich bei den klagenden Organisationen um Briefkastenfirmen handelte. Den mit ihnen verbundenen Anwälten warf er vor, gegen die Berufsethik verstoßen zu haben. Der Richter wies darauf hin, dass sie den Fast-Food-Verkäufer Bui möglicherweise über seine potenzielle persönliche Haftung in dem Fall in die Irre geführt hatten.
Einblicke in ein "wildes" Abzocksystem
Connolly kam ferner zum Schluss, dass IP Edge der "faktische Eigentümer" der vor Gericht geltend gemachten Patente sei, jedoch "große Anstrengungen unternommen" habe, um seine Beteiligung zu verschleiern. Er konstatierte: IP Edge habe die Übertragung der Patente an die Briefkastenfirmen veranlasst, die die Kanzlei "unter den Namen relativ unerfahrener Personen gegründet hatte". Diese seien von der Büroleiterin der Anwaltsfirma, Linh Deitz, angeworben worden. Der Richter meldete zudem drei Advokaten von IP Edge an das Komitee für unerlaubte Anwaltspraxis des Obersten Gerichtshofs von Texas, weil sie in dem Bundesstaat "unerlaubte Anwaltstätigkeiten" betrieben hätten. Er zeigte die Zuständigen auch beim US-Justizministerium an und verlangte eine Untersuchung von Personen, die mit IP Edge und Maxevar in Verbindung stehen.
Die EFF spricht von einem "wilden Patent-Troll-System". Die beteiligten Anwälte hätten Connollys Befugnis zur Fortsetzung seiner Recherchen infrage gestellt. Da Transparenz in Bundesgerichten unerlässlich sei und für alle Parteien gelte, reichten die Aktivisten zusammen mit zwei anderen Zusammenschlüssen von Patentrechtsreformern eine Stellungnahme zur Unterstützung des Richters ein. Demnach hat "die Öffentlichkeit ein Recht – und ein Bedürfnis –zu wissen, wer die Verfahren in öffentlich finanzierten Gerichten kontrolliert und davon profitiert". Auch Unternehmen, die bereits Opfer von Patent-Trollen wurden, sowie die Handelskammer intervenierten mit vergleichbaren Eingaben.
Das Berufungsgericht bestätigte daraufhin im Juli Connollys Befugnis, den Fall genauer unter die Lupe zu nehmen. Das führte dazu, dass die beteiligten Anwälte an den Disziplinarrat ihrer jeweiligen beruflichen Kammern verwiesen wurden. Eines der Lizenzierungsunternehmen und sein mutmaßlicher Eigentümer starteten trotz dieser klaren Ansage einen letzten Versuch, den Fall zu ihren Gunsten zu wenden. Im Juli entschied das für Patentfragen zuständige Berufungsgericht für den Regierungsbezirk Washington aber, dass die Untersuchung von Backertop Licensing und die Anordnung einer Zeugenaussage des mutmaßlichen Eigentümers "ein geeignetes Mittel zur Untersuchung eines möglichen Fehlverhaltens" sei.
Haarsträubende Details publik gemacht
Nach Ansicht der EFF sollten derartige justizielle Prüfungen in der undurchsichtigen Welt der Patent-Trolle Pflicht sein. Vor Gericht seien haarsträubende Details zutage getreten. So habe etwa Nimitz ein einziges US-Patent – das mit der Nummer 7.848.328 gegen elf Firmen geltend gemacht. Als Connolly den angeblichen Inhaber des Lizenzierungsunternehmens aufforderte, vor Gericht auszusagen, konnte dieser nichts über den Inhalt oder den Erwerb des gewerblichen Rechtanspruchs sagen. Er kannte nicht einmal den Namen des Patents ("Broadcast Content Encapsulation"). Auf die Frage, welche Technologie dadurch abgedeckt sei, räumte er ein: "Ich habe es nicht ausreichend geprüft, um das zu wissen". Bei der Übernahme des Anspruchs sei jedenfalls "kein Geld geflossen".
Das Nimitz-Breitband-Patent stammte ursprünglich vom finnischen Mobilfunkausrüster Nokia, der dieses und mehrere andere ähnliche Schutzrechte 2013 an France Brevets, einen französischen staatlichen Investmentfonds, abtrat. Dieser wiederum übertrug den Anspruch 2021 an ein US-Unternehmen namens Burley Licensing, das mit IP Edge verknüpft ist. Foodtruck-Besitzer Bui hat diesen Vertrag im Namen von Burley unterzeichnet.
France Brevets wurde 2009 mit 100 Millionen Euro Startkapital der französischen Regierung gegründet, um Immaterialgüterrechte zu verwalten. Der Fonds sollte 35 Prozent aller Einnahmen im Zusammenhang mit der "Monetarisierung und Durchsetzung" der Patentansprüche in diesem Fall erhalten. Burley wiederum verpflichtete sich, innerhalb eines Jahres mindestens eine Patentverletzungsklage einzureichen und innerhalb von 24 Monaten einen "Gesamtbruttoumsatz von mindestens 100.000 US-Dollar" zu erzielen. Andernfalls sollten die Patentrechte an France Brevets zurückfallen.
Französischer Fonds mischte kräftig mit
Burley gründete daraufhin Nimitz – ein Unternehmen ohne Vermögenswerte außer dem einen Patent. Die Lizenzierungsfirma erhielt dafür eine Postanschrift von einer Filiale des Büroausrüsters Staples im texanischen Frisco und übertrug den gewerblichen Rechtsanspruch im August 2021 der Tochterfirma, während die Verpflichtungen gegenüber France Brevets bis zur Schließung des Fonds im Jahr 2022 unverändert blieben.
Es sei beunruhigend, dass Patentklagen oft von Unternehmen finanziert werden, die kein echtes Interesse an Innovationen haben, betont die EFF. Noch besorgniserregender sei es, wenn von ausländischen Regierungen unterstützte Organisationen, wie France Brevets, das US-Patentsystem aus Profitgründen manipulierten.
Über den Verlauf der Verweisungen Connollys an die Aufsichtsgremien ist noch nichts bekannt. Weder das Justizministerium noch die verschiedenen Anwaltskammern der Bundesstaaten sprechen im Allgemeinen öffentlich über laufende Ermittlungen, erklärte Joe Mullin von der EFF gegenüber heise online. "Wir werden also die Ergebnisse der Ermittlungen nicht erfahren, es sei denn, sie veröffentlichen Anklagen oder andere Resultate."
Grundsatzurteile des Supreme Courts unter Beschuss
Jedes Jahr werden in den USA Hunderte von Patentklagen wegen alltäglicher Internetaktivitäten eingereicht. Sie drehen sich etwa um das Ansehen von Online-Werbung, das Anzeigen von Bildmenüs, das Teilen von Fitnessdaten oder den Verkauf über spezielle Warenverzeichnisse oder von Bio-Produkten.
Dabei hat der Supreme Court mit den Grundsatzurteilen Alice vs. CLS Bank und "Mayo vs. Prometheus die Latte für Softwarepatente bereits deutlich höher gehängt. Methoden, die für ihre Anwendbarkeit lediglich eines Computers bedürfen, reichen demnach nicht aus, um eine abstrakte Idee zu einer patentwürdigen Erfindung zu machen. Der Allerweltsansatz "machen wir es mit einem Computer" soll bei einem Patentantrag also nicht zum Erfolg führen.
Doch es gibt immer wieder Versuche, die höchstgerichtlichen Entscheidungen zu umgehen oder außer Kraft zu setzen. 2019 etwa veröffentlichte der damalige, von Donald Trump eingesetzte Direktor des US-Patentamts, Andrei Iancu, Entwürfe für neue Leitlinien für die internen Prüfer, mit denen gewerbliche Schutzrechte für "computerimplementierte Erfindungen" wieder salonfähig werden sollten. Zuletzt sorgten zwei Gesetzesentwürfe im US-Kongress für Schlagzeilen, die das Rad ebenfalls zurückdrehen würden.
Das Patentwesen wieder groĂź machen
Einer davon ist der Patent Eligibility Restoration Act (PERA), der in verschiedenen, interfraktionell eingebrachten Versionen im Senat und im Repräsentantenhaus anhängig ist. Er würde wesentliche Beschränkungen für Patente im Bereich Computertechnologie aus dem Alice-Urteil aufheben. Einer der Initiatoren, der Abgeordnete Kevin Kiley von den Republikanern, begründete das Vorhaben damit, dass die USA derzeit aufgrund "verwirrender Urteile des Obersten Gerichtshofs" ein besonders restriktives Patentsystem hätten. PERA würde eine größere Vielfalt von Erfindungen abdecken, "die ausländische Nationen wie China von ihren Erfindern bereits patentieren lassen".
Joseph Heino, Patentanwalt in der Kanzlei Amundsen Davis, hält davon nichts: Inkonsistente Fallentscheidungen waren ihm zufolge einer der Gründe, warum 1982 das Berufungsgericht in Washington gegründet worden sei. Die Gesetzgeber schlügen vor, das Erfordernis der Neuheit zu streichen und nur noch das der Nützlichkeit zu belassen. Die Innovationskraft einer Erfindung müsste dann höchstens noch nach einer weiteren Klausel des Patentgesetzes geprüft werden.
Wenn dies dazu dienen solle, Erfindern in den USA die Patentierung einer größeren Vielfalt von Erfindungen zu ermöglichen, werde PERA scheitern, gibt Heino zu bedenken. Der Vorschlag erweitere aber die Basis für Angriffe auf die Patentierbarkeit. PERA könnte effektive Schutzmaßnahmen schwächen – insbesondere angesichts neuer, sich schnell entwickelnder Technologien. Die EFF kritisiert ferner, der Entwurf würde auch die Patentierung menschlicher Gene ausweiten – obwohl der Supreme Court auch dies 2013 im Wesentlichen blockiert habe.
Musk ist kein Freund von Patenten
Bei der zweiten umstrittenen Gesetzesinitiative handelt es sich um den Prevail Act. Damit soll der Zugang zu einem erneuten Überprüfungsverfahren für bereits gewährte Schutzansprüche auf Personen und Unternehmen beschränkt werden, die direkt wegen eines Patents bedroht oder verklagt wurden. Die EFF und andere gemeinnützige sowie mitgliedschaftsbasierte Organisationen wie Unified Patents oder die Linux Foundation dürften sich nicht mehr einbringen, obwohl sie über diesen Weg unter anderem 2013 bereits ein "Podcasting-Patent" zu Fall brachten. Mit dem Gesetz würden auch andere Änderungen am Patentanfechtungsverfahren erfolgen, die fast ausschließlich Trollen und einigen wenigen großen Rechteinhabern zugute kämen.
PERA und der Prevail Act sollten eigentlich Mitte November vom Rechtsausschuss des Senats gebilligt und im Anschluss im Plenum verabschiedet werden. In letzter Minute wurden sie aber von der Tagesordnung genommen. Wie es unter Trump weitergeht, steht in den Sternen. Dessen enger Berater Elon Musk zeigte sich bisher vielfach davon ĂĽberzeugt, dass Patente lediglich dazu dienten, "den Fortschritt zu unterdrĂĽcken".
Der Unternehmer selbst hat nur ein paar Dutzend solcher gewerblichen Schutzrechte beantragt, um die darin enthaltenen Innovationen auf gesichertem Weg publik zu machen. Generell seien Patente "etwas für Schwache", meinte Musk einst. Auf X gehen sogar Gerüchte um, dass er das US-Patentamt mit seiner Entbürokratisierungsinstitution Doge abschaffen könnte.
Einheitspatent als groĂźe Unbekannte
Hierzulande beschloss der Bundestag 2021 einen Gesetzentwurf zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts. Dessen Ziel ist es, das scharfe Schwert des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs aus Gründen der Verhältnismäßigkeit etwas einzuschränken und Trollen so zu erschweren. Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) im Fall Wärmetauscher von 2016 gilt zwar prinzipiell schon, dass eine gerichtliche Verfügung nicht ergehen darf, wenn sie eine "unverhältnismäßige Härte" darstellen würde. Der Gesetzgeber wollte nun dafür sorgen, dass dieses bislang selten genutzte Korrektiv mit der Option zu Verhältnismäßigkeitserwägungen auch in der gerichtlichen Praxis besser zum Tragen kommt. Über die Auswirkungen der Änderung ist noch wenig bekannt. Sie dürften sich in Grenzen halten.
Eine weitere Unbekannte ist das neue, Mitte 2023 gestartete Europäische Einheitspatent. Der Förderverein für eine freie informationelle Infrastruktur (FFII) warnt seit Langem, dass vor allem große US-Konzerne und andere Patent-Trolle künftig über die damit verknüpfte spezielle Gerichtsbarkeit mittelständische Firmen ohne großes Portfolio an gewerblichen Schutzrechten in der EU in Grund und Boden klagen könnten. Besonders die auch in Europa umkämpften Softwarepatente wären ihm zufolge durch die vereinheitlichte Rechtsprechung leichter durchsetzbar.
(mki)