Missing Link: Schengen-Informationssystem wird erweitert – Missbrauch befürchtet

Der Bund will über 2000 zusätzliche Behörden an das Schengener Informationssystem der dritten Generation anschließen. Geheimdienste dürfen heimlich fahnden.

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(Bild: ImageFlow/Shutterstock.com)

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Ohne großes öffentliches Aufsehen wollen Bundesregierung und Bundestag den Kreis der hiesigen Behörden, die an das Schengener Informationssystem (SIS) direkt angeschlossen werden, deutlich erweitern. In Deutschland soll dies für über 2000 zusätzliche Ämter gelten. Die Folge könnten etwa deutlich mehr unberechtigte Polizeikontrollen und Überwachungsmaßnahmen sein. Dieses Risiko wird zusätzlich dadurch vergrößert, dass künftig auch die Geheimdienste des Bundes heimlich Personen oder Sachen über das SIS verfolgen lassen dürfen.

"Missing Link"

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Dies geht aus dem bislang noch wenig beachteten Gesetzentwurf hervor, mit dem die Bundesregierung Details zur Durchführung von drei EU-Verordnungen von 2018 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der dritten Generation (SIS III) festlegen will. Darüber sollte der Bundestag ursprünglich am 13. Oktober in 1. Lesung debattieren. Das Vorhaben wurde dann aber doch nur im vereinfachten Verfahren an die zuständigen Ausschüsse überwiesen.

Einen Änderungsantrag, der heise online vorliegt und der an der Kernsubstanz des Regierungspapiers nicht mehr rührt, haben die Fraktionen der Ampel-Koalition am 8. November im federführenden Innenausschuss bereits beschlossen. Die Initiative soll so voraussichtlich in der übernächsten Sitzungswoche am 1. Dezember zu später Stunde in 2. und 3. Lesung verabschiedet werden. Eine längere Aussprache wird es dazu vermutlich nicht mehr geben.

Die EU-Verordnungen selbst bauen sowohl den Anwendungsbereich als auch die Funktionen des SIS massiv aus. Bisher hatten ausschließlich berechtigte Mitarbeiter von Ämtern der Mitgliedsstaaten aus den Bereichen Strafverfolgung und Justiz wie etwa Grenzschutz, Polizei, Zoll und Visa Zugriff auf die riesige Datenbank. Dazu kamen einzelne Zulassungsstellen und EU-Behörden wie Europol.

Künftig werden zu dem Kreis hierzulande etwa die Ausländerbehörden, das Auswärtige Amt, das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten, die Auslandsvertretungen, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die Wasserstraßen- und Schifffahrtsämter sowie das Luftfahrt-Bundesamt gehören. In den Verbund integriert werden zudem alle für die Kfz-Zulassung zuständigen Ämter, die Waffenbehörden, die Staatsanwaltschaften sowie die obersten Landesbehörden im Rahmen ihrer Zuständigkeiten nach dem Aufenthaltsgesetz.

Die einschlägigen EU-Verordnungen an sich sind schon am 27. Dezember 2018 in Kraft getreten und unmittelbar anzuwenden. Sie bilden die Rechtsgrundlage für das SIS III, dessen Inbetriebnahme die EU-Kommission noch festlegen muss. Beim Upgrade vom SIS I zum aktuellen SIS II gab es massive technische Probleme, die den Start jahrelang verzögerten und die Kosten deutlich erhöhten. Fast wäre das Projekt aufgegeben worden.

Die Einrichtung des gemeinsamen Fahndungs- und Informationssystems stellt generell eine der wichtigsten Ausgleichsmaßnahmen dar, die nach dem Wegfall der Grenzkontrollen mit dem Schengener Durchführungsübereinkommen 1990 die innere Sicherheit aufrechterhalten sollen. Aktuell können Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden aus rund 30 Staaten rund um die Uhr auf das SIS II zugreifen. Zum Großteil der EU-Mitgliedsländer kommen hier Island, Norwegen, die Schweiz und Liechtenstein dazu.

Ende 2021 enthielt das gigantische Register 89.999.229 Datensätze alias Hinweise, wie aus der jüngsten Statistik der für den Betrieb von IT-Großsystemen zuständigen Behörde EU-Lisa hervorgeht. Fast 68 Millionen davon bezogen sich auf offiziell ausgegebene Dokumente wie Personalausweise, knapp eine Million auf Personen. Bei den ausgeschriebenen Sachen entfallen allein 3,1 Millionen auf Fahrzeuge und 4,3 Millionen auf Nummernschilder. Eingespeist werden etwa auch Banknoten und Schusswaffen.