Missing Link: Taiwan – Netzfreiheit und Desinformationen im Schatten Chinas

Taiwan kämpft gegen Desinformationen und für den Datenschutz und liegt bei der Netzfreiheit und Demokratie vor Deutschland. Was wir von Taiwan lernen können.

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(Bild: muhammadtoqeer/Shutterstock.com)

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Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Die Organisation Freedom House bescheinigte der Trutzburg Taiwan einen der vordersten Ränge in ihrem Bericht zur Netzfreiheit. Der Economist sieht Taiwan im Demokcracy-Ranking ganze vier Plätze vor Deutschland. Alle Welt blickt daher auf die kleine Insel im Südchinesischen Meer und möchte die Rezepte wissen, wie sich eine Autokratie innerhalb von 30 Jahren in eine der führenden Demokratien und einen der demokratischsten Fleckchen in Asien entwickeln kann.

Auch die Professorin Jeanette Hofmann, Forschungs- und Gründungsdirektorin des Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) und Leiterin der Forschungsgruppe Politik der Digitalisierung beim Wissenschaftszentrum Berlin, tourte jüngst für einige Monate durch Asien und nahm Formosa, wie die Insel ursprünglich hieß, wissenschaftlich unter die Lupe. Im Gespräch mit heise online nennt sie das digitale Selbstverständnis der Regierenden und die aktiv an Tools arbeitende Zivilgesellschaft mit die größten Pfunde. Neuralgische Punkte im Mediensystem gibt es aber ebenfalls und auch aus diesen lässt sich viel lernen.

heise online: Taiwan belegt in diversen Demokratie- und Internetfreiheit-Rankings aktuell immer vordere Plätze, teilweise liegt es sogar vor Deutschland. Macht sich das im Alltag bemerkbar?

Jeanette Hofmann

Jeanette Hofmann: Ich bin da in gewisser Weise etwas ernüchtert, vor allem beim Blick in Taiwans Medienlandschaft. Was aber zuallererst auffällt hier, ist, dass die Spannungen zwischen Taiwan und China sich über fast jede politische Diskussion legen. Nicht nur beim Thema Desinformation, mit dem ich mich besonders beschäftigt habe. Selbst eine Debatte um Schweinefleisch-Importe gerät hier zu einer Auseinandersetzung entlang der USA-China- und Taiwan-China-Demarkationslinie. In diesem Fall ging es um den Streit, ob mit wachstumsfördernden Medikamenten produziertes Fleisch aus den USA auf dem taiwanesischen Markt zugelassen werden sollte.

Die Analogie wäre unsere Chlorhühnchen Debatte …

Genau. In der Volksrepublik China ist solches Fleisch verboten. Daher wollte die taiwanesische Partei Guomindang (KMT), die China näher steht, dass es auch in Taiwan verboten wird. Die Demokratische Fortschrittspartei (DPP), die stärker für die Unabhängigkeit eintritt und für das Bündnis mit den USA, hielt dagegen, dass nur noch Spuren von diesem Medikament nachweisbar sind, wenn es die Kunden erreicht. Daher hat sie die Zulassung erlaubt, zugleich aber ein Transparenzregister eingeführt, in dem Metzgereien verzeichnet sind, die Schweinefleisch verkaufen, das nicht aus den USA stammt. In der Debatte des Executive Yuan, des Parlaments, haben KMT-Abgeordnete die DDP-Abgeordneten mit Schweineinnereien beworfen.

Deftige Auseinandersetzungen ...

Es ist ein Beispiel dafür, wie jede Kontroverse in Taiwan den Spin Taiwan versus China bekommt.

Kommen wir auf das Thema Desinformation. Das dürfte gerade durch chinesische Propaganda und taiwanesische Gegenwehr geprägt sein, oder?

Desinformation ist das den Alltag beherrschende Thema hier. Die Menschen sind sich sehr bewusst, dass aktuell zwei Länder, nämlich Ukraine und Taiwan, ganz besonders betroffen sind von Desinformation. Wenn man genau hinsieht, merkt man allerdings, dass die Quelle von Desinformation in Taiwan nicht nur der große Bruder im Norden ist. Es gibt zwar viele, die es gerne allein China zuschreiben. Diejenigen, die das intensiver beobachten, sagen, dass es auch viel Desinformation gibt, die aus Taiwan selbst stammt. Es ist zu einer allgemeinen Waffe in der politischen Auseinandersetzung geworden. Wenn Wahlen anstehen, verdichtet sich das laut den Medienexperten. Vor allem die digitalen Medien, die komplett unreguliert sind, werden dann für Desinformation genutzt. Noch wichtiger erscheint mir aber der Blick auf die Medienlandschaft und deren Anteil am Problem. Taiwan hat eine extrem kommerzialisierte Medienlandschaft mit einer fast unüberschaubaren Vielzahl privater Anbieter.

Ist Medienpluralität nicht eine gute Sache?

Das Problem ist, dass diese Anbieter auf ökonomisch so schmalem Grat wandern, dass sie vielfach Leute engagieren, die noch Studenten sind oder das journalistische Handwerk überhaupt nicht gelernt haben. Gleichzeitig müssen die enorm viel produzieren, manchmal fünf Artikel an einem Tag. Das machen viele dann, indem sie einfach Facebook-Nachrichten kopieren. Im Ergebnis führt das in vielen Fällen dazu, dass falsche Nachrichten und gezielte Desinformation durch die klassischen Massenmedien verstärkt statt korrigiert werden. Eine besondere Wirkung entfaltet ein Messenger, Line. Viele Menschen hier nutzen diesen Messenger …

Die meistgenutzten Social-Media-Plattformen in Taiwan.

(Bild: GWI)

Ein aus Japan stammender Messenger ...

Ja. Zugleich funktioniert Line als News-Aggregator. Line hat Verträge mit ungefähr 600 Medienanbietern, vom einfachen Blog bis zu den großen Zeitungen. Für wenig Geld macht Line deren Nachrichten zugänglich und arbeitet praktisch als Verbreitungsmaschine von Information ganz unterschiedlicher Qualität.

Plattformen wie Line, auf denen man verschiedene Medien beziehen kann und nicht für jede einzelne Paywall bezahlen muss, sind ja eigentlich eine gute Sache ...

Klar hätten wir durchaus gerne Aggregatoren, über die wir Artikel verschiedener Anbieter beziehen können. Wir wollen bestimmte Autoren und Autorinnen lesen, zu bestimmten Themen lesen – und nicht eine große Zahl von Abos. Die Frage ist, ob ein Geschäftsmodell wie bei Line, bei dem ein De-Facto-Monopolist viele Nachrichten für sehr wenig Geld einkauft – ganz ohne auf Qualitätsstandards zu achten – schon der Weisheit letzter Schluss ist. Vielleicht wären andere Modelle, etwa gemeinsame Plattformen großer Nachrichtenproduzenten, besser, um Qualitätsstandards zu garantieren.

Mehr Desinformation wegen des Marktes als wegen der Propaganda aus der Volksrepublik – ist das Deine Bilanz?

Es ist durchaus so, dass sich chinafreundliche Kommentare oder Youtube-Videos monetarisieren lassen. Außerdem gibt es, wie in einigen europäischen Ländern, das Phänomen, dass kapitalstarke Unternehmen anderer Sektoren, Zeitungen kaufen und diese Investition mit einer politischen Agenda verbinden. Mir wurde mehrfach berichtet, dass sich taiwanesische Unternehmen, die in China produzieren, politische Sympathien in China dadurch kaufen, dass sie sich eine Zeitung oder einen Fernsehsender in Taiwan zulegen, der dann China-freundliche Nachrichten produziert. Chinesische Unternehmen selbst sind vom Besitz taiwanesischer Medien ausgeschlossen. Es gab aber auch den Fall des taiwanesischen Unternehmens Want Want, das eine Reihe von Zeitungen und Nachrichtensender eingekauft hatte, und letztere dann wieder veräußern musste, nachdem eine regelrechte Anti-Monopolisierungsbewegung hier auf die Barrikaden gegangen war und die engen Beziehungen zu China thematisiert hatte. Want Want wich dann auf YouTube Kanäle aus und macht dort weiter seine Politik.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Meine Gespräche hier in Taiwan haben für mich verdeutlicht, dass der Einfluss von Desinformation sehr stark abhängt von der breiteren Medienlandschaft in einem Land. Wenn man wie Deutschland eine relativ intakte Medienlandschaft hat, werden Falsch- und Desinformationen abgefedert durch die Vielzahl anderer Informationen, die man bekommen kann. Wie wir bei uns ein pluralistisches und qualitativ gutes Mediensystem erhalten, ist eine Frage, der wir uns stellen müssen.

Digitalministerin Audrey Tang hat in einem Interview kürzlich erläutert, dass man der Desinformation durch Fact-Checkers – und zwar sowohl professionelle Organisationen als auch durch Crowd-Projekte wie das Fact-Checking durch Schüler und Studierende – zu Leibe rücke. Wie gut funktioniert diese Gegenwehr ihrer Einschätzung nach?

Der Besuch des Taiwan Faktencheck Center hat mich skeptisch gemacht. Dessen Leiterin, Summer Chan, hat mir in fast atemloser Weise die Arbeit der Non-Profit-Organisation dargestellt und dabei wurde klar: Das hat was von einem kontinuierlichen Feuerwehreinsatz. Während die Fact-Checker ein Feuer löschen, lodern gerade nebenher zig andere auf. Ohne regulativen Rahmen für die Medienlandschaft wird es schwer, die Situation grundlegend zu verändern – auch wenn die Fact-Checker-Industrie hochprofessionell arbeitet.

Sehr spannend fand ich übrigens, dass zur Identifikation der Desinformationsquelle die Wahl der chinesischen Zeichen herangezogen wird. Kurzzeichen, also die vereinfachte Form der Schriftzeichen, deuten eher auf die Volksrepublik hin. Denn Taiwan hat noch die kompliziertere klassische Variante, und es gibt auch Unterschiede in der Semantik in den beiden so unterschiedlichen chinesischen Staaten.

Ich möchte noch mal nachhaken, ist wirklich Medienregulierung das Mittel der Wahl?

Es erscheint mir einfach nicht sinnvoll, Geld an Fact-Checker zu vergeben, während zugleich jungen Journalisten das Handwerkszeug, Geld und Zeit fehlen, vor einer Veröffentlichung ihre Fakten zu prüfen. Also ich denke, es bedarf so etwas wie eines Code of Conduct. Es könnten auch Gremien im Stil unserer Rundfunkräte geschaffen werden, in denen gesellschaftliche Gruppen vertreten sind. In Taiwan wird intensiv darüber nachgedacht. Audrey Tang hat andererseits offenbar gerade mit Google ein Abkommen geschlossen, mit dem sich Google verpflichtet, bessere Berichterstattung zu finanzieren. Die Frage ist, ob man damit nicht auch Geld einem Modell nachwirft, das sich nicht bewährt hat.

Wie stark setzt man auf Bildung als Mittel der Gegenwehr?

Digital Literacy, das habe ich schon in Singapur gesehen, ist mehr als nur eine Floskel. Wir reden darüber ja auch in Europa, aber hier [in Taiwan] wird sehr viel mehr getan. Hier gibt es etwa verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen, die in dem Bereich aktiv sind. Teilweise sind das die Fact-Checker, die Kurse einerseits für Journalistinnen anbieten, andererseits aber auch an Schulen gehen und dort Menschen weiterbilden. Eine interessante Initiative ist die Kuma Akademie von Kuma Shen. Die Akademie bietet Kurse in ziviler Selbstverteidigung, aber eben auch in Medienbildung an. Um möglichst viele Taiwanesen durch seine Kurse schleusen zu können, bekam Shen kürzlich 32 Millionen Taiwan-Dollar (964.000 Euro) vom Mikrochip-Tycoon Robert Tsao. Spannend finde ich, dass Shen ursprünglich auch aus dem Fact-Checking-Umfeld kam. Er hat auch selbst dazu beigetragen, das technisch zu perfektionieren, kam aber eben zu dem Schluss, dass man Desinformation nicht durch Fakten bekämpfen kann. Also verband er zivile und digitale Selbstverteidigung. Das ist eine Antwort auf die Bedrohung durch China und hat so eine eigene taiwanesische Note, die man bei uns nicht kennt.

Findet sich das Thema Medien- und Computerausbildung auch in den Curricula der Schulen?

Ob das in den Curricula unterkommt, kann ich nicht sagen. Allerdings gehen die erwähnten Organisationen mit ihren Kursen direkt in die Schulen. Generell spielt digital literacy hier eine größere Rolle als bei uns. Genauso wie die Digitalisierung eine höhere Priorität hat. Vernetzung ist hier ein akzeptierter Anspruch.

Es gibt auch ein Grundrecht ...

Ja, man hat einen Anspruch hier und Digitalisierungsfragen haben, auch wegen der Wirtschaft, eine hohe Priorität. In Deutschland ist das bis heute nicht in gleicher Weise angekommen. Ich denke, da macht sich auch bemerkbar, dass sich kein Regierungsmitglied Digitalisierungsfragen so zu eigen macht, dass diese dann wirklich ganz oben auf der Agenda stehen. Es ist eine Frage der politischen Kultur und das ist in den beiden Ländern, in denen ich jetzt war, radikal anders. Dort weiß man, das ist die Zukunft, und in Deutschland weiß man es nicht.

Von resilienteren Medien zur Resilienz der Infrastruktur der Insel. Wie resilient, würdest du sagen, ist das Netz? Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine wurde über deren diversifiziertes und über viele, verschiedenen Provider im Land und international angebundene Infrastruktur gesprochen. Wie hat sich Taiwan hier aufgestellt?

Taiwans Unterseekabel sind bekanntermaßen ein prominentes Angriffsziel. Gerade eben hat es offenbar Macao getroffen. Beide Seekabel dieser chinesischen Sonderverwaltungszone wurden durchgeschnitten und weil es zu wenig Reparaturschiffe gibt, muss Macao bis April warten, bis eines vorbeikommt. Das ist nicht neu, sondern das passiert die ganze Zeit. Natürlich kann man nie beweisen, dass das mit Absicht passiert. Aber man muss annehmen, dass China bewusst diese Kabel zerstört. Das Ministry of Digital Affairs (MoDA) will jetzt für einen Plan B. Dafür sollen ein Low Earth Orbit Satellitennetz aufgebaut werden. Die Insel ist aber auch schon jetzt sehr redundant angebunden, nicht zuletzt, weil Google hier zwei oder drei Data Centers betreibt. Taiwan ist ein Hub für Googles Cloud-Aktivitäten in der Region und es sind auch viele Ingenieure hier, die Hardware und Software für Android entwickeln. Der Netzzugang ist da existenziell. Daher denke ich, Taiwan insgesamt komplett abzuschneiden, das wäre schon sehr aufwendig.

Schlägt sich diese klare Anerkennung von Digitalisierung als Zukunftstechnologie in besonders interessante Regulierungsansätzen nieder? Bei den Medien siehst du ja eher Nachholbedarf.

Also, wenn wir über etwas reden wie Open Data, da passiert hier mehr und da kann man lernen, denke ich. Zwar gibt es hier intern einige Kritik, aber zunächst mal ist die Verwaltung sehr gefordert und steht da auch unter Druck, möglichst viele Datensätze zugänglich zu machen. Nachbesserungen werden bei der Aufbereitung und bei der Frequenz von Updates von Datensätzen verlangt. Oft sei, wie mir Experten berichteten, nicht klar ist, wie alt die Datensätze sind, von wann das letzte Update stammt oder Ähnliches. Für einen Unternehmer, der Traffic Daten sinnvoll verarbeiten will, ist es entscheidend, dass er weiß, was Echtzeit und was von gestern oder vom vergangenen Monat ist. Auf dieser Ebene gibt es also wohl noch einen gewissen Nachholbedarf, aber insgesamt ist der Plattform-Ansatz, mit dem öffentliche Daten zugänglich gemacht werden, etabliert. Ich denke, da ist man hier weiter, genauso wie im Hinblick auf die Institutionalisierung von gesellschaftlicher Beteiligung. Ein klarer Rechtsrahmen für Open Data, genauso wie ein regulativer Rahmen für die von Audrey Tang geplante elektronische Identität, fehlt allerdings noch.

Ministerin Audrey Tang ist ja sehr enthusiastisch, wenn es um partizipatorische Elemente in Taiwans Demokratie geht. Sowohl auf Landesebene, als auch in den lokalen Parlamenten soll die Crowd gefragt und auch gehört werden, versichert die Digitalministerin. Denn dort sitze das Expertenwissen, und nicht unbedingt in den Ministerien. Wie sieht das ganz praktisch aus?

(Lacht) Audrey Tang selbst tritt allerdings nicht so auf, als ob ihr Expertenwissen fehle. Näher kennengelernt habe ich selbst g0v. Dort wird beispielsweise eine Plattform bereitgestellt, über die die Leute politische Initiativen ins Leben rufen können. Das funktioniert ganz gut, allerdings beobachten die Aktivisten eben typische Effekte, dass Initiativen gestartet werden, eine Weile leben und nach einer Weile einschlafen. Es ist nicht einfach für die Zivilgesellschaft, die das in ihrer Freizeit macht, den ganz langen Atem aufzubringen. Es gibt aber eine Reihe von Projekten, da wurde über vTaiwan konsultiert und am Ende der gemeinschaftliche entwickelte Kompromiss vom Gesetzgeber verabschiedet. Die Regulierung von Uber ist das Paradebeispiel, über das sehr viel berichtet wurde.

Und wurde auch umgesetzt ...

Ja, wenn man jetzt ein Taxi bestellt und auf die App geht, kann man zwischen einem normalen Taxi, Uber und einem weiteren Service wählen. Bei der Todesstrafe wurde die Abschaffung diskutiert, aber am Ende nicht umgesetzt. Manchmal fallen schon abgestimmte Vorschläge auch dem Ende der Wahlperiode zum Opfer. Generell bleibt ein Problem, dass sich nur eine gesellschaftliche Minderheit aktiv beteiligt. Außerdem sind es häufig bestimmte soziale Gruppen, oft junge Leute und nicht alte, mehr Leute, die keine Kinder haben oder studieren, also eben die, die irgendwie die Zeit und die Kapazität haben, sich in sowas aktiv zu engagieren. Das ist ein demokratietheoretisches Problem.

Wie sieht es auf lokaler Ebene aus, wo neue Straßen, Bauprojekte oder Schulen die Menschen sehr unmittelbar betreffen? Wie stark wird da auf die Partizipations-Tools gesetzt?

Das gibt es durchaus und überhaupt muss ich sagen, es gibt schon eine relativ starke Zivilgesellschaft, die sich gut mobilisieren lässt, wenn kontroverse Fragen anstehen wie vor der Wahl. Ein interessantes Beispiel ist der Umgang mit dem Digital Services Act. Der entwickelt sich ja gerade ähnlich wie die Data-Protection-Regulation zu einer Art Blaupause, die in Asien überall beobachtet und in adaptierte Formen gegossen wird. Wie mir jemand in Singapur sagte, gibt es fast einen Wettbewerb darum, wer die Anzahl der Stunden für Takedowns am niedrigsten ansetzt; das scheint im Moment in Indonesien zu sein, mit einer einzigen Stunde, innerhalb der der betroffene Provider reagieren muss. In Taiwan hatte die DPP den Digital Intermediary Services Act (DISA) vorgeschlagen und stieß damit auf so massiven Widerstand, dass man das wieder fallen ließ. Ein zentrales Problem der Kritiker war, dass sich die Regierung zumindest in der Erstentscheidung selber die Rolle zugedacht hatte zu entscheiden, was wahr und was falsch ist. Das Beispiel zeigt, es gelingt punktuell sehr gut, die Grundrechte zu verteidigen. Schwierig bleiben aus meiner Sicht langfristige Projekte. Auf der lokalen Ebene mag das aber anders sein.

Kannst du noch etwas über die Tools sagen?

Taiwan hat zwei Plattformen, über die die Beteiligungsverfahren laufen. Regierungsseitig subventioniert ist Join. Join ist eine Plattform, wo von der Regierung Projekte diskutiert werden. Die Besonderheit da, man kann nicht aufeinander antworten. Das andere, von den Hackern gepflegte Tool, ist vTaiwan von g0v. Bei aller Begeisterung für diese Tools sehe ich eine gewisse Fokussierung im Ministry of Digital Affairs (MoDA).

Ist es nicht cool, wann man solche Tools zur Verfügung hat, und die auch funktionieren? Taiwan hat ja in der Pandemie Lockdowns komplett vermieden, etwa durch den Versuch eines sehr kleinteiligen Contract-Tracing. Laut Tang habe man das von 24 Stunden auf 24 Minuten eingedampft.

Das ist schon richtig, aber Tools sind etwas, das man auch delegieren kann, an nachgeordnete Agencies oder Externe. Langfristige Effekte erfordern Strukturen, also etwa Rahmengesetze und das ist Aufgabe des Ministeriums. Regelungen für Open Data oder auch Cybersecurity beispielsweise sind schon notwendig. Oder der Datenschutz.

Gibt es kein Datenschutzgesetz?

Nicht wirklich und es gibt wirklich viele Data-Leaks. Ich habe lange mit Audrey Tang darüber geredet. Zivilgesellschaftlichen Organisationen und Regierung streiten auch schon seit Jahren über einen vernünftigen Datenschutz, das Verfassungsgericht hat inzwischen erklärt, dass das Repurposing von Health Data, also die Zweckänderung für diese sensiblen Daten, nicht verfassungsgemäß sind. Der Spruch des Gerichts lautete, dass künftig eine Data Protection Agency festlegen muss, was verfassungsgemäß ist. Innerhalb von zwei Jahren muss man laut dem Urteil hier nun eine unabhängige Datenschutzbehörde schaffen. Eine andere Diskussion, die für Deutschland interessant sein kann, ist der Zuschnitt des Digitalministeriums. Man hat hier nämlich sehr intensiv diskutiert, ob man ein Ministerium für Digital Affairs schafft oder eine Kommission. Der Vorteil einer Kommission wäre gewesen, dass sie sozusagen quer zu Ministerien angesiedelt ist und dadurch dem Querschnitts-Charakter von Digitalisierung besser gerecht wird. Und da hat man sich dagegen entschieden und stattdessen ein Ministerium geschaffen. Viele Experten hier finden das die falsche Entscheidung. Genau das haben wir in Deutschland auch diskutiert.

Vielen Dank für das Gespräch.

(bme)