Missing Link: Trons Tod – Eine weitere Spurensuche nach 20 Jahren

Seite 2: Demonstrator fertiggestellt

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In einem Punkt erfüllte Tron die vorab gestellten Ansprüche seiner Diplomarbeit: "Erstellung einer Leiterplatte zur Diplomarbeit auf der die Verschlüsselung und das Verhalten des Telefons bei unterschiedlichen Betriebsarten in einem Versuchsaufbau demonstriert werden." Dieses Hardware-Projekt sollte so gestaltet sein, dass das ISDN-Telefon aus möglichst billigen, in einem Elektronik-Bastelshop kaufbaren Teile mit einer schlichten zweiseitigen Leiterplatte gebaut werden konnte. Dieses von ihm geforderte System lieferte Tron ab. Heute ist es in der Netze-Ausstellung des deutschen Technik-Museums in Berlin ui bewundern. Die Komposition des Demonstrators lässt den Schmerz erahnen, den der Perfektionist über seine Abschlussarbeit empfunden haben mag. Der Weg zu einem einfachen, für Jedermann zugänglichen System war noch weit.

Die Betreuer der Diplomarbeit vergaben für die ungewöhnliche Kombination aus Beschreibung und Bastelanleitung Bestnoten und Tron bekam Stellenangebote von vier deutschen ISDN-Firmen, wollte aber erst nach Afrika reisen und ein paar andere Projekte abschließen. Im Laufe des Jahres 1998 zerschlugen sich die Reisepläne, vielleicht auch, weil sich Tron am Hack des niederländischen Irdeto-Systems beteiligte, das von Pay-TV-Sendern in mehreren europäischen Ländern zum Verschlüsseln eingesetzt wurde. Kurz vor seinem Tode wurde dieser Hack publiziert.

Sobald bekannt geworden war, dass die in Berlin gefundene Leiche eines jungen Mannes ein Hacker namens Tron war, schossen die Spekulationen ins Kraut. Geheimdienste oder Agenten der Pay-TV Sender sollten für sein Ableben verantwortlich sein. Eine besonders absurde Rolle spielte dabei der Berliner Teil des Chaos Computer Clubs, der sich zu allerhand Spekulationen über Geheimdienste, Kühltruhen und Mageninhalte verstieg. Aus der Ferne donnerte dazu CCC-Alterspräsident Wau Holland im Thüringischen: Er werde Trons Telefon, das sogenannte Cryptophon zur Serienreife bringen. Dann brach er das technisch leicht durchführbare Projekt jedoch ab. Angeblich sei er bedroht worden, Leben und Gesundheit von Mitarbeitern seien in Gefahr gewesen.

Heute mag man sich verwundert fragen, warum das angeblich "technisch leicht durchführbare Projekt" dann nicht von anderen engagierten Menschen aufgegriffen wurde, die die Privatsphäre der Bürger verteidigen wollen. Die Antwort ist, dass es technisch eben absolut nicht trivial ist, eine wirklich sichere Verschlüsselung für Gespräche und Datenkommunikation zu entwickeln. Diese Erkenntnis könnte den jungen Hacker Tron auf seinem Weg aus dem Leben beschäftigt haben. Eine Antwort und eine Verbeugung vor Tron gaben die CCC-Mitglieder Andy Müller-Maguhn und Frank Rieger, die im Jahre 2003 die Firma Gesellschaft für sichere mobile Kommunikation (GSMK) gründeten und Trons Ideen mit modernen Smartphones vermarkteten. GSMK bietet für viel Geld international agierenden Firmen und vielleicht auch Geheimdiensten die verschlüsselnde Soft- und Hardware der CryptoPhone-Module an, die Tron vor 20 Jahren auf der Basis von ISDN angedacht hatte.

Trons Erben sind inzwischen in der Gesellschaft angekommen und erstellen für das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik Gutachten zur "Mobilen Endgerätesicherheit in Unternehmen". Bereits zu Trons zehntem Todestag lobte das Jugendmagazin "Fluter" der Bundesanstalt für politische Bildung die kleine Berliner Firma. "Der Traum des Hackers Tron ist wahr geworden." Für die, die es sich leisten können, gibt es das abhörsichere Telefon.

Update 22.10.2018 9:41 Uhr: Heise-Leser haben die Redaktion auf eine weitere Spur hingewiesen, die mitten in die damals tobende Auseinandersetzung der Pay-TV-Sender und ihrer Verschlüsselungssysteme führte – in dieser Lesart finanzierte Rupert Murdoch den Hack des Kirch-Senders Premiere, um der Kirch-Gruppe weiteren Schaden zuzufügen:

NDS war eine Firma, die damals für Murdochs Sender Sky die Verschlüsselung gebaut hat. NDS wurde von Adi Shamir gegründet, dem "S" aus RSA. Dort gab es eine Abteilung, die sich mit Pay-TV-Piraten beschäftigte. Einer der Mitarbeiter von NDS war Ray Adams, ein ehemaliger britischer Polizeibeamter. Bei NDS pflegte er Kontakte zur Pay-TV-Piraten-Szene, insbesondere der Mailingliste tv-crypt und der Webseite THOIC (The House of Ill Compute). Auch zu Tron hielt Adams Kontakt. NDS hat über Adams die Hacks der Konkurrenz finanziert. Dokumentiert sind u.a. Zahlungen an THOIC, aber insbesondere auch an einen gewissen Oliver Kömmerling. Letzteres kam heraus, weil es Hacks gegen Canal+ in Frankreich gab, und Kömmerling als Kronzeuge ausgesagt hat. Kömmerling war auf das Reverse Engineering von Chips spezialisiert. Auf seinem (von NDS finanziertem) Equipment wurde der Premiere-Chip decapped und fotografiert, Tron hat dann händisch das ROM ausgelesen und zusammengesetzt sowie die Software zum Hacken geschrieben (das Kommando zum Aktivieren der Karte nach Bezahlen des Abos hat eine Signatur, die wurde byteweise geprüft – eine simple Timingattacke) An einem Donnerstag geht die Software bei THOIC online, am Samstag verschwindet Tron. Soweit die Zuschrift eines Heise-Lesers.

Zu dieser Lesart gehört der Mythos Hacker, wie ihn der Journalist Burkhard Schröder in seinem Buch über Tron beschreibt. Die entsprechende Passage findet sich auch in seinem Blog: "Der Hacker als Sozialcharakter ist der Magier des Informationszeitalters, ein Mythos, der sich beim näheren Hinschauen als blosse Projektion entlarvt, wie es in der Natur des Mythos liegt...." (tiw)