Missing Link: Von Zwiebeln, Knoten und Moneten – der Anonymisierungsdienst Tor in Zahlen

Seite 2: Wer nutzt Tor?

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Tor gilt als wichtigstes Instrument digitaler Selbstverteidigung. Die Nutzung der Anonymisierungstechnologie bewegt sich allerdings unverändert auf einem niedrigen Level, wie das Statistik-Tool Tor Metrics verrät.

Die Zahl der Tor-Nutzerinnen und -Nutzer liegt seit Mitte 2014 bei etwa zwei Millionen pro Tag. Ab Mitte 2017 war die Zahl auf mehr als vier Millionen gestiegen, was vor allem auf einen rasanten Anstieg der Tor-Zugriffe aus Deutschland zurückging. Im Frühjahr 2018 fielen die Zahlen wieder auf das Ausgangsniveau zurück. Wer oder welches Projekt dafür verantwortlich war, ist nicht bekannt. Moritz Bartl vom Verein Zwiebelfreunde vermutet allerdings, dass keine größere Nutzerdynamik, sondern sehr wahrscheinlich einfach ein Botnet hinter der Entwicklung steckte.

Ein Ranking der Nutzungszahlen nach Ländern zeigt: die USA machen, mit etwa 19,5 Prozent, die größte Ländergruppe aus, es folgen Russland (13 Prozent), Deutschland (8,5 Prozent), Indonesien (6 Prozent) und Frankreich (5,5 Prozent). Absolut hat Tor in Deutschland täglich etwa 170.000 Nutzerinnen und Nutzer.

Die Zahl der Tor-Knoten liegt bei etwa 6.500. Bei der Infrastruktur des Tor-Netzwerks gibt es seit 2015 wenig Entwicklung, sieht man von zwischenzeitlichen Schwankungen ab. Zu den 6.500 "normalen" Tor-Knoten kommen noch etwa 1.000 sogenannte Bridge-Knoten, deren IP-Adressen individuell abgefragt werden müssen, was bei der Umgehung von Tor-Zensur helfen soll. Die Zahl der Bridge-Knoten unterliegt extremen Schwankungen, Anfang 2015 waren es mehr als 4.000 gewesen.

Das Tor-Netzwerk hat einen globalen Anspruch. Bei der Bereitstellung der Tor-Infrastruktur dominiert allerdings eine Gruppe von vier Ländern, angeführt von der Bundesrepublik. Etwa 1.400 Tor-Knoten, das sind 21 Prozent aller Knoten, rechnet die Statistik Deutschland zu. Auf die USA entfallen 1.000 (16 Prozent), auf Frankreich 800 (13 Prozent) und auf die Niederlande 500 (7 Prozent). Insgesamt ergibt sich ein Gesamtgewicht von 57 Prozent

Nicht alle Knoten wickeln gleich viel Traffic im Netzwerk ab. Das Gewicht der Vierergruppe ist noch größer, wenn man auf das "Consensus Weight" schaut, die Wahrscheinlichkeit, dass Tor-Traffic einen bestimmten Knoten passiert. Das größte Gewicht hat Deutschland (etwa 25 Prozent), dann folgen mit einigem Abstand Frankreich (19 Prozent), die Vereinigten Staaten (12 Prozent) und die Niederlande (10 Prozent). Insgesamt laufen etwa zwei Drittel des Tor-Traffics über Knoten in einem der vier Länder. Verantwortlich für dieses kollektive Verhalten sei wohl schlicht, dass der Traffic in den Ländern am billigsten ist, meint Moritz Bartl von den Zwiebelfreunden.

Eine erhebliche Konzentration gibt es auch auf der Ebene der Autonomen Systeme (AS), der miteinander verbundenen Einzelnetze, die in ihrer Gesamtheit das Internet ausmachen. Etwa 15 Prozent des Tor-Traffics laufen über ein Autonomes System des französischen Unternehmens OVH S.a.S., AS16276 beheimatet knapp 600 verschiedene Tor-Knoten. 13 Prozent laufen über ein AS der ebenfalls französischen Firma Online S.a.S. und 11 Prozent über ein Autonomes System des deutschen Hostinganbieters Hetzner. Insgesamt werden etwa 38 Prozent des Tor-Traffics über nur drei Autonome Systeme abgewickelt. Gegen den Herdentrieb ist auch das Tor-Netzwerk machtlos. Auch hier steckt hinter der Ballung ein banaler Grund, so Bartl: "Das sind die billigsten Provider."

In die Schlagzeilen von Medien schafft es Tor meist nicht wegen der soliden Anonymisierungsfähigkeiten des Tor-Browsers, sondern einzig wegen des Tor-Darknets.

Für die Frage, wie viele Menschen mit dem Tor-Browser "nur" im Clearweb surfen oder tatsächlich ins Darknet gehen, gibt es nur grobe Anhaltspunkte. Der Tor-Mitgründer Roger Dingledine schätzt, dass nur zwischen einem und drei Prozent der Nutzerinnen und Nutzer mit Tor tatsächlich auch .onion-Adressen aufrufen. Demnach würden weltweit täglich zwischen 20.000 und 60.000 Menschen ins Darknet gehen, in der Bundesrepublik wären es etwa zwischen 1.500 und 5.000.

Während die Tor-Nutzungszahlen und die Zahl der Tor-Knoten seit Jahren stagnieren, gab es im Jahr 2018 zumindest beim Darknet jedoch eine signifikante und wohl auch stabile Zunahme. Zwei Jahre lang lag die Zahl der .onion-Adressen bei etwa 60.000. Im April/Mai 2018 ist sie dann auf über 100.000 gesprungen, seitdem auf dem Level geblieben und liegt heute bei um die 110.000.

Ist das viel? Nun ja, würde man das Tor-Darknet in ein Ranking neuer Top Level Domains einordnen, würde es sich auf einem bescheidenen Platz 38 wiederfinden, irgendwo zwischen den nur mäßig erfolgreichen Internetendungen.tokyo und .rocks. Die Zahlen des Tor Projects machen klar: das Darknet, medial ein Riese, ist und bleibt faktisch doch ein digitaler Winzling. Zahlen lügen nicht. (bme)