Missing Link: Vor 100 Jahren begann die deutsche Revolution

Seite 2: "Der Kaiser ging, die Generäle blieben"

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Andernorts schützte man lokale Bestrebungen, etwa die Bremer Räterepublik. "Der Kaiser ging, die Generäle blieben" (Theodor Plievier): Die Soldatenräte der Volksmarine wussten dabei nicht, dass Friedrich Ebert nach der Fahnenflucht des deutschen Kaisers und der Flucht von Ludendorff in einem Telefonat mit der Obersten Heeresleitung unter Wilhelm Groener einen Pakt geschlossen hatte, mit der das Heer die neue Regierung gegen linksradikale Bestrebungen militärisch unterstützte.

Forderungen der Volksmarine wie "keine Dienstgrade außerhalb der Dienstzeit" oder gar "Wahl der Offiziere durch den Soldatenrat" wurden von der Obersten Heeresleitung rundweg abgelehnt. Die im Gegenzug von Ebert für das Militär abgegebene Bestandsgarantie umfasste auch die Unterstützung der Freikorps durch die Sozialdemokratie.

Im Reichstag donnerte derweil der damals parteilose Otto Rühle in seiner fulminanten Rede: "Dass sich Sozialdemokraten zu der Rolle hergegeben haben, in letzter Stunde für die zusammenkrachende bürgerliche Gesellschaft noch den Nothelfer und Kugelfang zu spielen, wird von den Massen draußen ebenso als schmählicher Verrat empfunden, wie sie sich durch die Scheindemokratie, die vorgegaukelte Volksherrschaft genarrt und verhöhnt fühlen. Sie brauchen zu ihrer Befreiung etwas ganz anderes, nämlich die Demokratie des Sozialismus, die Republik auf der Grundlage der sozialistischen Revolution, und sie verlangen dazu in erster Linie die Abdankung des Kaisers als des Urhebers dieses Weltkriegs."

Die von Rühle geforderte "Demokratie des Sozialismus" konnte sich nicht entfalten. Die unter sozialdemokratischer Leitung stehenden Heerestruppen und die Kampfverbände der Freikorps sorgten für die Niederschlagung der Münchener Räterepublik und anderer Organisationsformen der Arbeiterbewegung, wie etwa die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht vom zahlenmäßig recht kleinen Spartakusbund oder später die Ermordung des Außenministers Walter Rathenau.

Revolutionäre Matrosen im U-Boot-Hafen, Kiel, 5. November 1918

(Bild: Deutsches Historisches Museum, Berlin, Inv.-Nr.: BA 90/5439)

In den Tagen der Novemberrevolution gehörte Rathenau zu den Großindustriellen, die das Stinnes-Legien-Abkommen erarbeiteten und unterschrieben. Mit ihm sicherte die am Boden liegende deutsche Wirtschaft den Fortbestand des "Burgfriedens" aus der Kriegswirtschaft. Im Gegenzug zu loyalen Gewerkschaften, die auf die Mittel des Generalstreiks und der Enteignung verzichteten, bekamen die Arbeitervertreter den Achtstundentag, Tarifverträge und das Recht auf Mitbestimmung durch Betriebsräte. Ganz im Sinne dieser "Sozialpartnerschaft" ist es, wenn Arbeitgeber und Gewerkschafter gemeinsam der Novemberrevolution gedenken, freilich ohne Betriebsräte oder gar die Volksmarine zu erwähnen.

Was von der ganzen Umstürzerei geblieben ist, hat Kurt Tucholsky zum 10. Jahrestag 1928 in seinem Artikel November-Umsturz aufgeschrieben. Bekannt ist sein Bonmot, dass die deutsche Revolution "im Saale" stattgefunden hat. Aber Tucholsky geht ins Detail: "Es ist auch nicht richtig, dass damals nichts zu machen gewesen ist. Die SPD hat nicht gewollt, weil sie keinen Mut, keine Charakterstärke, keine Tradition mehr hatte – wer vier Jahre hindurch Kriegskredite bewilligen mußte, konnte das freilich nicht mehr haben. Folgende Möglichkeiten sind damals ausgelassen worden:

Zerschlagung der Bundesstaaten;
Aufteilung des Großgrundbesitzes;
Revolutionäre Sozialisierung der Industrie;
Personalreform der Verwaltung und der Justiz.

Eine republikanische Verfassung, die in jedem Satz den nächsten aufhebt, eine Revolution, die von wohlerworbenen Rechten des Beamten des alten Regimes spricht, sind wert, dass sie ausgelacht werden.

Die deutsche Revolution steht noch aus."

Zur deutschen Revolution von 1918 gibt es zur Hundertjahrfeier eine ganze Reihe von Ausstellungen und Veranstaltungen, allein 250 in Berlin, aber auch Hamburg hat einiges zu bieten, etwa eine Graphic Novel, die den Kieler Revolutions-Comic ergänzt.

Die zentrale Ausstellung zum Matrosenaufstand in der Revolutionsstadt Kiel ist schon seit einiger Zeit zu besichtigen. Was weiter westlich, insbesondere in Wilhelmshaven, passierte, deckt die Revolution im Nordwesten ab.

Weiter südlich wurde es schwieriger: In Köln wurden z.B. auf Drängen des Bürgermeisters Adenauer statt der Räteverwaltung ein Wohlfahrtsausschuss eingerichtet, während die aus Wilhelmshaven deportierten Matrosen auf dem Schießplatz Köln-Wahn erschossen wurden. Über die Revolution in Bayern informiert das Projekt "Geschichte frei Haus". (jk)