Missing Link: Die Zukunft von Rund- und Mobilfunk steht auf dem Spiel

Seite 2: "Tür für die Zukunft"

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Dieses Jahr müssten die ITU-Mitglieder noch nicht genau festlegen, wie das UHF-Band möglicherweise künftig aufgeteilt wird, meint Daiber. Wichtig sei aber, bei der Konferenz "die Tür für die Zukunft" nicht zu verschließen. Keiner wisse genau, wie sich 2030 die Situation darstelle. Alle interessierten Parteien trügen leidenschaftlich ihre Haltung vor. Es bringe aber nichts, Kultur gegen Leben oder Smartphone zu "traden". Da auch die Digitalisierung der Industrie mit auf der mobilen Plattform basiere, müssten sich die Kämpfer die Hand reichen und für alle tragbare Kompromisse suchen.

Basecamp-Teilnehmer: Valentina Daiber, Andreas Gegenfurtner, Kathrin Böttcher, Johannes Schätzl, Dr. Volker Ziegler, Slawomir Stanczak

(Bild: Stefan Krempl)

Kathrin Böttcher, Leiterin Medienpolitik im ARD-Generalsekretariat, hält davon nichts: "Ko-primär ist alles andere als flexibel" und markiere "den Beginn des Ausstiegs von der Fernseh-Terrestrik", moniert sie. Das Frequenzband reiche indes "jetzt schon nicht aus". Bei der Olympiade in Frankreich im Sommer 2024 müssten die Veranstalter etwa "vermehrt auf Kabel" umsteigen. Der digitale Antennenfunk sei aber ein wichtiger Verbreitungsweg für die öffentlich-rechtlichen Sender, da diese "alle erreichen" müssten.

Aktuell nutzten viele Zuschauer noch lineares Fernsehen, holt Böttcher weiter aus. Das klassische Programm werde aktuell durchschnittlich drei Stunden pro Tag konsumiert. Ein DVB-T-Empfangsgerät biete hier einen sehr niedrigschwelligen, kostengünstigen Zugang für alle, die "nicht abhängig von Mobilfunk- oder Kabelverträgen" sein wollten. DVB-T2 erfahre daher mehr Zuspruch. Die Nutzerzahlen in den Digitalisierungsberichten seien zwar nicht sehr hoch – 6 Prozent der deutschen Haushalte gucken demnach per Antennenfunk fern –, in den vergangenen drei Jahren aber um 30 Prozent gestiegen. Generell habe der Rundfunk eine Zukunft auf DAB+ und habe auch bei der Katastrophe im Ahrtal als einziger Kanal noch funktioniert, um Leben zu retten.

Radio- und TV-Sender sowie die Veranstaltungstechnik "haben bereits viele Frequenzen verloren", gibt Böttcher zu bedenken: "Künstler können Konzerte nicht mehr veranstalten." Netze resilienter zu bauen, zu verdichten und andere kreative Lösungen zu finden, sei zwar sinnvoll. Das so freigeschaufelte Spektrum dürfte aber "in zwei Jahren wieder aufgebraucht" sein. Nötig sei ferner eine europäische Harmonisierung: Länder wie Frankreich, Polen und Großbritannien hielten an TV-Antennenfunk fest. Da Frequenzen nicht an nationalen Grenzen Halt machten, könnte das UHF-Band so hier nach 2030 "nur in einer ganz kleinen Region rund um Kassel störungsfrei genutzt werden".

Mit 5G Broadcast hat die Lobbyistin für Das Erste einen weiteren potenziellen Trumpf in der Hand. Mit dem neuen Übertragungsstandard sollen lineare Rundfunkinhalte direkt auf mobile Endgeräte wie Smartphones oder Tablets verbreitet werden ‒ ganz ohne WLAN, sonstige Internetverbindung oder SIM-Karte und Mobilfunkvertrag. "Verschiedene Ausspielwege sind wichtig", hebt Böttcher dazu hervor. Alle Seiten bräuchten ferner jetzt Klarheit, um Investitionsentscheidungen treffen zu können, nicht erst im Jahr 2030.

Die deutsche Allianz für Rundfunk- und Kulturfrequenzen richtete schon vor einem Jahr gemeinsam mit Partnern aus 17 europäischen Ländern einen flammenden Appell an politische Entscheidungsträger und Regulierungsbehörden. Die Beteiligten fordern in dem "Call to Europe", den Bereich 470-694 MHz für den Rundfunk sowie den Betrieb lokaler Funkstrecken im Rahmen der professionellen Veranstaltungstechnik zu erhalten. In der gesamten EU nutzten 80 Millionen oder 43 Prozent der Haushalte digitales terrestrisches Fernsehen.

Event-Organisatoren bräuchten UHF-Frequenzen "für den ordnungsgemäßen Betrieb von drahtlosen Mikrofonen, In-Ear-Systemen, Talk-Back-Systemen und Audioverbindungen, insbesondere im Rahmen von Live-Veranstaltungen", ist dem Weckruf zu entnehmen. Sie ermöglichten tourenden Musikern und Künstlern, mit ihrer eigenen Beschallungsanlage durch ganz Europa zu reisen. Zudem seien Kirchen, Schulen, Universitäten, Messeveranstalter und viele andere auf das Spektrum angewiesen. Letztlich brauche ganz Europa die Frequenzen auch im Interesse "einer freien Gesellschaft". Zu den hiesigen Unterzeichnern gehören neben den Öffentlich-Rechtlichen Media Broadcast, die Landesmedienanstalten, die Initiative SOS (Save Our Spectrum), Sennheiser, die Privatsendervertretung Vaunet und der Verband der Elektro- und Digitalindustrie ZVEI.

Bereits Ende 2021 empfahlen Medienberater in einer Analyse für die Bundesnetzagentur indes, digitale Antennen-TV zu reduzieren oder abzuschalten und das entsprechende Spektrum teils für die BOS und den Mobilfunk freizugeben. Für die 20 Prozent der Bevölkerung, die in dünn besiedelten Gebieten ohne oder mit schlechtem Handy-Empfang leben, würde das UHF-Spektrum den Experten zufolge nach 2030 einen "kapazitativen Mehrwert" bieten. Andererseits könnten "Mega-Events" wie die Tour de France oder der Eurovision Song Contest zeitlich und lokal begrenzt erhebliche Frequenzanforderungen von mehr als 150 MHz haben. Die Anforderungen der digitalen Mobilität wie das autonome Fahren erforderten dagegen "aus heutiger Sicht keine massive Erhöhung der Datenraten im ländlichen Raum".

Die europäische Gruppe für Frequenzpolitik (RSPG), die die EU-Kommission berät, schlug im Juni 2022 vor: Die Mitgliedstaaten sollten die Flexibilität haben, das 470-694-MHz-Band für drahtloses Breitband zu nutzen. Voraussetzung dafür müsse aber sein, dass dies "mit den Rundfunkbedürfnissen in dem betreffenden Mitgliedstaat vereinbar ist" und den DVB-T-Betrieb in den Nachbarländern nicht einschränke.

Johannes Schätzl, Mitglied im Digitalausschuss des Bundestags, hält die von der Bundesregierung anvisierte gemeinschaftliche Nutzung des UHF-Bands für richtig. Die Politik müsse priorisieren. Den Behörden stehe dabei das erste Zuschlagsrecht zu, wenn sie das Spektrum angemessen verwendeten. Es gebe Optionen, die einschlägigen Frequenzen "maximal effizient" einzusetzen und so den Nutzerkreis zu vergrößern. Der SPD-Politiker kennt nach eigenen Angaben keinen, der den digitalen Antennenfunk "auf Stationärgeräten" schaut. Er sieht die Zukunft so nicht in DVB-T2, sondern bei IP-basierten Anschlüssen. Die WRC-23 setze aber eh nur einen Rahmen, der durch nationale Regulierer noch ausgefüllt werden könne. Hierzulande obliege es also der Bundesnetzagentur, die beiden favorisierten Nutzungen primär ins UHF-Band zu geben.