Missing Link: Wie die Sterne im Zentrum der Milchstraße vermessen werden

Moderne astronomische Instrumentierung erlaubt es, Einsteins Relativitätstheorie am Schwarzen Loch im Zentrum der Milchstraße zu testen. Ein Einblick.

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Die Nahinfrarot-Aufnahme des galaktischen Zentrums mit adaptiver Optik (rechts) besitzt 20-mal mehr räumliche Schärfe als die Aufnahme ohne adaptive Optik (links).

(Bild: MPE/ESO)

Lesezeit: 19 Min.
Von
  • Stefan Gillessen
  • Frank Eisenhauer
Inhaltsverzeichnis

Dieser Artikel wurde zuerst abgedruckt im Physik Journal 21, 2022.

Die Instrumente SINFONI und GRAVITY kommen am Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte zum Einsatz und haben das Studium von Exoplaneten, supermassereichen Schwarzen Löchern und Galaxien mit hoher Sternentstehungsaktivität im frühen Universum revolutioniert. Beide Instrumente spielten eine wichtige Rolle bei der Entdeckung und Charakterisierung des Schwarzen Lochs im galaktischen Zentrum.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Die bedeutenden Himmelsforscher Galileo Galilei, Isaac Newton, Tycho Brahe, William Herschel und Albert Michelson haben die Geräte selbst gebaut, mit denen sie den Himmel beobachteten. Auch heute noch folgen Astronom:innen ihrem Beispiel: Unsere Gruppe am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) unter Leitung von Reinhard Genzel lebt davon, neue Instrumente zu entwerfen, zu bauen, damit zu beobachten und so neue Fenster in den Kosmos zu öffnen.

Die Vorteile des Eigenbaus von Instrumenten liegen auf der Hand: Wir können das Design eng an unseren wissenschaftlichen Zielen ausrichten und nutzen die neuen Apparate zuerst. Zwei davon, SINFONI und GRAVITY, möchten wir im Folgenden vorstellen. Eine ihrer Anwendungen stellt die Beobachtung des galaktischen Zentrums und seines Schwarzen Lochs dar.

Die Autoren

Stefan Gillessen hat 2004 an der Universität Heidelberg promoviert, mit einer Arbeit zur Ausrichtungskontrolle der Cherenkov-Teleskope des HESS-Experiments in Namibia. Anschließend trat er der Gruppe von Reinhard Genzel am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) bei. Seitdem forscht er an den Sternbewegungen im galaktischen Zentrum und ist Teil des Teams, das neue Instrumente für den Einsatz an ESO-Teleskopen entwickelt.

Frank Eisenhauer wurde 1998 an der LMU München promoviert und beschäftigte sich schon damals mit der Entwicklung neuartiger astronomischer Instrumente: einer Nahinfrarotkamera für adaptive Optik zur Beobachtung der Sternentstehungsregion NGC 3603. Am MPE leitet er die Entwicklung und wissenschaftliche Ausarbeitung großer astronomischer Instrumente und Experimente wie SINFONI und GRAVITY. Für seine bahnbrechenden Arbeiten zur Entwicklung und Nutzung von Instrumenten in der Infrarotastronomie und zur adaptiven Optik wurde Eisenhauser 2022 mit der Stern-Gerlach-Medaille ausgezeichnet.

CCD- und Infrarot-Detektoren sind zweidimensionale Pixelarrays, auf die sich die zweidimensionale Himmelssphäre mittels einer ins Unendliche fokussierten Kamera abbilden lässt. Der Einsatz von Filtern und mehrfache Aufnahmen erlauben es, Farbinformation zu gewinnen. Um das Licht in seine Spektralfarben zu zerlegen, benötigt man eine Dimension der Detektorfläche für die Wellenlängenachse. Damit verbleibt für die räumliche Auflösung nur eine Achse, sodass die spektroskopische Information nur entlang eines eindimensionalen Spalts vorliegt. Ein astronomisches Instrument kann daher entweder "sehen" – also gute räumliche Auflösung und moderate spektrale Information liefern – oder "hören", das heißt eine gute spektrale Auflösung mit begrenzter räumlicher Information bieten.

Die Lösung, um beide Aspekte zu kombinieren, erinnert stark daran, wie ein Strickpullover auf die andere Seite einer verschlossenen Tür kommt: Man fädelt ihn auf, transportiert den Wollfaden durch das Schlüsselloch in den Nebenraum und schickt die Strickanleitung auf einem Blatt Papier unter der Türritze mit. Die Grundlage der "Integral Field Spectroscopy" (IFS) unterscheidet sich davon nur wenig: Man zerschneide das Bildfeld in einzelne Reihen und ordne diese optisch zu einem eindimensionalen Pseudoschlitz an.

Dieser lässt sich auf herkömmliche Art spektroskopieren, sodass auf einen Schlag die Spektren aller Reihen vorliegen. Diese einzelnen Spektren gilt es anschließend wieder so zusammenzusetzen, dass ihre Anordnung dem zweidimensionalen Himmelsfeld entspricht – mit Computern keine Schwierigkeit. Das Ergebnis, ein dreidimensionaler Datenkubus, besitzt zwei räumliche Achsen und ein volles Spektrum in jedem Pixel.

Der Bildfeldteiler (a) zerlegt die Aufnahme des astronomischen Objekts optisch in einzelne Zeilen und arrangiert sie in einen Schlitz. Dieser wird spektral dispergiert und im Computer als Datenkubus rekonstruiert. Der Bildfeldteiler von SINFONI (b) zerlegt das quadratische Gesichtsfeld, indem er die verschiedenen Zeilen in verschiedene Richtungen reflektiert und mit einem Satz an Fangspiegeln zu einem einzigen Schlitz kombiniert (c).