Missing Link: Wieso so viel US- und Google-Geld in Open-Source-Projekten steckt

Der US-Staat und die Google-Mutter Alphabet sind die Lieblingsfeinde der digitalen Zivilgesellschaft und gleichzeitig deren Financiers. Wie passt das zusammen?

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(Bild: Imilian/Shutterstock.com)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Stefan Mey
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Zum zehnten Geburtstag von Tails im Sommer 2019 meldete sich auf Twitter ein prominenter Gratulant. Edward Snowden höchstpersönlich lobte das anonyme Betriebssystem, das den gesamten Datenverkehr eines PCs über das Verschleierungsnetzwerk Tor leitet. Tails habe damals seine Kommunikation geschützt. Im Ergebnis habe die NSA erst aus den Medien erfahren, wer er ist und was er getan hat.

In der digitalen Zivilgesellschaft entstehen Werkzeuge, die staatliche Überwachung (wie durch die US-Regierung und ihren technischen Geheimdienst NSA) sowie privatwirtschaftliche Datensammelei (wie durch den übermächtigen Alphabet-Konzern) aushebeln.

Das Paradoxe: Diese beiden Lieblingsfeinde der Hackerszene sind gleichzeitig die wichtigsten Geldgeber. Tails, Tor, Firefox, Debian, Signal, VeraCrypt, NoScript, Freifunk, OpenStreetMap oder Qubes OS – all diese Projekte haben direkte oder indirekte Unterstützung vom US-Staat oder/und von Alphabet erhalten. Wie kommt es zu dieser merkwürdigen Konstellation?

Im Jahr 2010 hielt Hillary Clinton eine wegweisende Rede, betitelt mit "Remarks on Internet Freedom". Das freie Internet sei in Gefahr, so die damalige US-Außenministerin, da es in autoritär regierten Ländern zunehmend zensiert werde. Die Regierung würde diese Freiheit jedoch offensiv verteidigen wollen. Mit dieser Rede wurde "Internet Freedom" offiziell zur außenpolitischen Doktrin.

Seitdem fördert der US-Staat systematisch Open-Source-Projekte. Für das Jahr 2023 hat der US-Kongress über den Internet Freedom and Operations (INFO) Act 124 Millionen US-Dollar freigegeben, als "Ermächtigung der Regierung der Vereinigten Staaten, die Freiheit des Internets in Ländern zu fördern und zu schützen, in denen die Informationsfreiheit bedroht ist".

49 Millionen US-Dollar gehen im Jahr 2023 an die US Agency for Global Media (USAGM), eine Auslandsrundfunk-Behörde. Über den Open Technology Fund (kurz Open Tech Fund oder OTF) fördert die Behörde seit 2012 Open-Source-Technologien. Der OTF war ursprünglich eine direkte Tochter des USAGM-Senders Radio Free Asia und ist seit 2019 formal unabhängig, finanziert sich jedoch wie zuvor über Gelder der US Agency for Global Media.

Projekte können über den Internet Freedom Fund Anträge stellen. Die übliche Fördersumme liegt laut FAQ zwischen 50.000 und 200.000 US-Dollar. In der Übersicht über alle 158 seit 2012 geförderten Projekte tauchen viele bekannte Namen auf. Die größten Empfänger von OTF-Geldern sind:

  • das Tor Project: 3,5 Mio. US-Dollar (hinzu kommen direkte Zahlungen von Radio Free Asia),
  • der Messenger Signal: 3 Mio. (für das Signal-Vorläuferprojekt Open Whisper Systems)
  • die Zensur-Beobachtungsplattform OONI (1,7 Mio.),
  • die Browser-Erweiterung NoScript (730 Tausend) und
  • das auf Virtualisierung setzende PC-Betriebssystem Qubes OS (570 Tausend).
"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Der Open Tech Fund agiert auch als eine Art Allround-Dienstleister. Das Red Team Lab finanziert externe Sicherheitsüberprüfungen. Der OTF listet 70 Audits auf, darunter die des Verschlüsselungsstandards OpenPGP, des Android-Open-Source-Appstores F-Droid und der Signal-Vorläufer-App TextSecure.

Das Localization Lab sponsert Übersetzungen. 49 Projekte haben das Angebot in Anspruch genommen, darunter das PC-Verschlüsselungsprogramm VeraCrypt, die Darknet-Technologien Freenet und I2P sowie ebenfalls OpenPGP.

Der OTF bemüht sich um Transparenz, maximal intransparent hingegen agiert der zweite staatliche Förderer. 75 der insgesamt 124 Millionen US-Dollar vergibt der US-Kongress im Paket an die USAID, eine unabhängige Behörde der "Entwicklungszusammenarbeit", sowie an das Bureau of Democracy, Human Rights, and Labor (DRL).

Das direkt dem US-Außenministerium unterstellte DRL fördert ebenfalls Open Source, über sogenannte "Funding Opportunity Announcement" im Bereich Internet Freedom. Diese Ausschreibungen heißen etwa "DRL Request for Statements of Interest (RSOI): FY23 Internet Freedom Annual Program Statement Round 1". Man kann zwischen 500.000 und 3 Millionen US-Dollar beantragen. Daneben gibt es spezifische Einzelausschreibungen, etwa "DRL Expanding the Reach and Resilience of Wireless Internet-Independent Peer-to-Peer Communications", bei denen meist jeweils ein Mal eine Million US-Dollar vergeben wird.

Ansonsten findet man keinerlei Informationen. Nur wenige Projekte machen die erhaltene Förderung öffentlich. Das Tor Project listet DRL-Gelder in seinen Jahresberichten auf. Die Gelder summieren sich über die Jahre auf etwa 5,4 Millionen US-Dollar (hinzu kommen Zahlungen über andere Töpfe des Außenministeriums). Tails hat laut Eigenangaben in den Jahren 2021 und 2022 130.000 US-Dollar vom DRL erhalten.

Eine Auftragsstudie aus dem Jahr 2015 ermöglicht Einblicke in die Logik der DRL-Förderung. Kongress-Abgeordnete hatten sich damals gefragt, ob die gesponserten Technologien nicht auch nützlich für Kriminelle sind, was die Studie Internet Freedom Software and Illicit Activity untersuchen sollte. Das DRL, so heißt es in dem Bericht, finanziere "ein großes Projekt-Portfolio" zur Förderung von Grundrechten, Menschenrechten und dem freien Fluss von Informationen. Als konkretes Beispiel wird nur Tor genannt. Andere Namen lasse man, "aufgrund des sensiblen Charakters vieler der geförderten Initiativen", weg.

Stattdessen nennt die Studie Gruppen von Diensten, bei denen man nur spekulieren kann, wer dazu zählt:

  • digitale Sicherheit,
  • Mesh-Netzwerke,
  • Proxies/VPN und
  • sichere mobile Kommunikation (womit, wie eine Erläuterung klarmacht, Smartphone-Messenger gemeint sind).

Für den US-Staat ergibt die Förderung strategisch Sinn: Wenn dank "Internet Freedom"-Technologien Menschen in Russland, China oder dem Iran an der Zensur vorbei Youtube, Instagram, Twitter, Facebook oder Gmail nutzen können, ist das eine Wirtschaftsförderung für eine heimische Schlüsselindustrie. Gleichzeitig entstehen dabei geheimdienstlich spannende Daten, an die der US-Sicherheitsapparat ansonsten nur mit aufwendigeren Mitteln gelangen würde.