Missing Link: Zur digitalen Lage der Nation

Der Chef des Hasso-Plattner-Instituts stellt in seiner Analyse zur digitalen Lage der Nation der Verwaltung und Politik kein gutes Zeugnis aus.

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(Bild: Wichy/Shutterstock)

Lesezeit: 18 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Der Chef des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) in Potsdam, Professor Christoph Meinel, liefert seine Analyse zur digitalen Lage der Nation: In unserem Interview stellt er Verwaltung und Politik kein gutes Zeugnis aus.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Alles schien seit Jahren vorbereitet, um bei den Behörden des Bundes auf das neue Netzprotokoll IPv6 umzustellen. Aber, der Bund tut sich schwer mit dem Umstieg auf den Nachfolger der kürzeren IPv4-Adressen. HPI Chef Professor Christoph Meinel sieht darin ein Symptom eines tiefer reichenden Problems. Nach wie vor fehlt es in der Politik an einem Verständnis dafür, dass die Schaffung einer digitalen Infrastruktur staatliche Aufgabe sei, sagt Meinel im Gespräch mit heise. Ein sommerlicher Blick auf ein ungelöstes Grundsatzproblem.

heise online: Deutschland war früh dran bei der Beschaffung von IPv6 Adressen und hat damit auch geworben. Warum tut sich selbst der Bund nun so schwer, auf die neuen Adressen umzusteigen?

Professor Christoph Meinel: Es liegt ein Grundsatzproblem vor. Man hat in Deutschland nie verstanden, wo Infrastrukturfragen zur Digitalisierung anzusiedeln sind. Nehmen Sie das Beispiel der Schulen. Bei den Schulen ist der Schulträger für den Kauf der Computer zuständig. Also hat man gesagt, du musst auch die Digitalisierung machen. Dabei wurde übersehen, das kann keine Schule leisten. Nicht einmal die Länder schaffen das. Schauen Sie sich selbst große Länder wie Bayern oder Baden-Württemberg an. Sie sehen ja das Desaster. Das muss auf Bundesebene gemacht werden.

Was bei landespolitischen Aufgaben wie der Bildung nicht vorgesehen ist...

Hier geht es nicht nur um Bildungsplattformen, die für die Schulen insgesamt gemacht werden. Es braucht digitale Infrastrukturen für alle digitalen Dienste und Plattform der öffentlichen Hand. Wenn man einen Dienst oder eine Plattform nutzt, muss sich jeder sicher anmelden können. Man muss Dokumente erstellen und Daten sicher ablegen können. Es braucht Kommunikationssysteme wie Videokonferenzsysteme und Messenger. All diese Tools werden immer gebraucht, wenn digital agiert werden soll und hängen nicht von dem speziellen Einsatzgebiet ab.

Man hat auch Anforderungen formuliert, wie solche Infrastrukturen zu bauen sind. Es sollte Open Source sein. Die Daten sollten in Deutschland bleiben und ähnliche Dinge. Über digitale Infrastrukturen müssen all diese Systeme bereitgestellt und die Anforderungen abgesichert werden. Erst wenn dies so alles eingerichtet und gesichert ist, geht es um das jeweils Spezifische.

Bei der Schule sind das die Lerninhalte und natürlich die Sicherstellung der dort besonders sensiblen Datenschutzanforderungen. Genau so haben wir die HPI Schul-Cloud gebaut. Alles, was jede Schule zum digitalen Arbeiten braucht, wird bereitgestellt, die spezifischen Lernsysteme können individuell ausgewählt und eingesetzt werden.

Wo kommt die HPI Schul-Cloud zum Einsatz?

Aktuell wird sie von drei Ländern eingesetzt, in jeweils angepasster Version. Anstatt mit riesigen Kosten die entsprechenden Systeme zu entwickeln, könnten auch andere Bundesländer die HPI Schul-Cloud nutzen – die übrigens aus verschiedenen Open-Source-Komponenten gebaut ist. Der Bund hat für die Entwicklung dieser Bildungsinfrastruktur etwa 20 Millionen eingesetzt, die Länder könnten das frei nutzen und nach eigenen Vorstellungen weiterentwickeln. Das Beispiel illustriert das Grundsatzproblem: Jeder macht auf jeder Ebene alles von neuem, mit Ressourcen, die am Ende doch nicht reichen.