Mobillabor für Gentherapie

Gentherapien gegen Krebs und seltene Krankheiten zeigen viel Potenzial, doch ihr hoher technischer Aufwand bedeutet, dass der Zugang zu ihnen eingeschränkt ist. Eine Krebsforscherin in den USA will das ändern.

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Von
  • Antonio Regalado
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Vor ein paar Jahren hat Jennifer Adair zum ersten Mal mit einer Gentherapie experimentiert: mit einem Mittel gegen Krebs, bei dem Patienten Blut entnommen und dann mit einem neuen DNA-Strang – also einem Gen – angereichert wird, damit sie ohne mächtige Chemotherapie auskommen. Die veränderten Blutzellen werden dann wieder in die Venen der Patienten injiziert. Während sie sich in einem viele Millionen Dollar teuren Reinraum mühsam mit den Zellen einer einzigen Person beschäftigte, dachte Adair, Leiterin eines Gentherapie-Labors am Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle, es müsse doch einen einfacheren Weg dafür geben.

Gentherapie wird derzeit rasch vom Experiment zu einer medizinischen Realität. Behandlungsmöglichkeiten gegen Krebs und seltene Krankheiten auf dieser Basis zeigen viel Potenzial. Jedoch haben Wissenschaftler die Sorge, diese Technologie könne so komplex sein, dass Patienten weniger davon profitieren, als möglich wäre, weil es an ausgebildeten Technikern und den richtigen Anlagen dafür fehlt. Die erfolgreichsten Gentherapien erfordern derzeit Eingriffe in Blutzellen außerhalb des Körpers. Doch dieses Verfahren beherrschen nur ungefähr ein Dutzend Forschungszentren, die sämtlich in großen Städten wie New York, Seattle, Mailand oder Paris angesiedelt sind.

Dadurch entstehen Engpässe und moralische Zwickmühlen. Manche Patienten können es sich leisten, für ihre Heilung Flugtickets zu kaufen und um die halbe Welt zu fliegen. Die überwältigende Mehrheit der Betroffenen aber hat keinen Zugang zu diesen Therapien.

Im vergangenen Oktober demonstrierte Adir deshalb eine neue Technologie auf der Grundlage eines Geräts zur Zellbearbeitung vom deutschen Hersteller Miltenyi. Das System könnte ihrer Meinung nach den Zugang zu Gentherapie demokratisieren. Der Prozess zur Vorbereitung von Blutzellen für eine Gentherapie gegen HIV, die ebenfalls an ihrem Zentrum getestet wird, ließ sich damit weitestgehend automatisieren. Zellen, die an einem Ende hineingegeben wurden, kamen 30 Stunden später fertig wieder heraus, ohne dass viel Kontrolle nötig war. Sogar an Räder für ihr mobiles Labor, das sie "Gentherapie in der Kiste" nennt, hat Adir gedacht.

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Das Instrument, genannt Prodigy, wiegt ungefähr 75 Kilogramm. In seinem Inneren werden die Zellen eines Patienten durch die Leitungen befördert und mit stimulierenden Chemikalien und anschließend einer Ladung Viren mit der gewünschten neuen DNA vermischt. Bei Miltenyi kostet das Grundgerät 150.000 Dollar, ein Satz für die Verarbeitung der Zellen eines Patienten weitere 12.000 Dollar. Laut Katharina Winnemöller, einer Marketing-Managerin des Unternehmens, werden Ärzte in London das mobile Labor in den nächsten Monaten nutzen, um Krebspatienten mit CAR-T-Zellen zu behandeln. "Wir wollen Zelltherapien weniger elitär machen, als sie heute sind", sagt Winnemöller.

Mit am wichtigsten ist Adair, dass ihr mobiles Gen-Labor experimentelle Studien auch in Entwicklungsländern unter anderem in Afrika ermöglicht, wo es die meisten HIV-Fälle gibt. "Wir wollten zeigen, dass wir die Technologie mobil machen können. Es ist einfach Unsinn, davon auszugehen, eine Behandlung in Seattle würde dieselben Risiken und Ergebnisse mit sich bringen wie eine in Südafrika", sagt sie.

Einen Beitrag zum zunehmenden Interesse an mobiler Gentherapie leistet die neuartige Krebstherapie CAR-T, bei der die DNA des Immunsystems so umprogrammiert wird, dass es Tumore angreift. Eine wachsende Zahl von Biotechunternehmen hat Milliarden Dollar an Kapital aufgenommen, um diese Therapien zu testen, bei denen ebenfalls Blut entnommen und in speziellen Anlagen mit einem zusätzlichen Gen versehen wird.

Eine der ersten CAR-T-Therapien auf dem Markt wird wahrscheinlich von Novartis kommen. Der Schweizer Pharmariese hat im vergangenen Jahr eine globale Studie mit an Leukämie erkrankten Kindern abgeschlossen, bei denen die Tumore in 82 Prozent der Fälle verschwanden und viele der Kinder anschließend vom Krebs verschont blieben.

Die Verkaufszulassung für das Verfahren will Novartis in diesem Jahr beantragen, doch bislang ist das Unternehmen nicht glücklich damit, wie es angewendet wird. Für die Studie wurden die Zellen der Patienten per Flugzeug zu einer firmeneigenen Anlage zur Zellverarbeitung im US-Bundesstaat New Jersey gebracht, unterstützt von Cryoport, einem Spezialisten für den Transport gefrorener Zellen. Das war logistisch komplex, arbeitsintensiv, teuer und potenziell unkalkulierbar, weil die Zellen von zwei unterschiedlichen Patienten niemals gleich sind. Zudem weiß Novartis noch nicht, wie viele Patienten letztlich auf diese Weise behandelt werden.

Das Miltenyi-Gerät ist nur eines von mehreren, die derzeit entwickelt werden, sagt Philip Gotwals, Leiter der Immunonkologie-Forschung bei Novartis. Im vergangenen Sommer prognostizierte General Electric, der Markt für CAR-T-Krebstherapien könne bis 2020 ein Volumen von 10 Milliarden Dollar erreichen, und kaufte ein auf Zellbearbeitung spezialisiertes Unternehmen namens Biosafe. Auch die Draper Laboratories des MIT arbeiten an Mikrofluidik-Geräten zur Vorbereitung von CAR-T-Behandlungen, und das kalifornische Start-up Berkeley Lights hat neue Methoden entwickelt, um die richtigen Blutzellen für die Therapie zu identifizieren.

(sma)