Nachruf auf ein unersetzliches Teleskop: ¡Adiós, Arecibo!
Das legendäre Arecibo-Teleskop ist nicht mehr zu reparieren und wird abgebaut. Es gehört zu den wertvollsten wissenschaftlichen Instrumenten überhaupt.
Am 19. November verlautete die National Science Foundation, Eigentümerin des größten Radioteleskops der westlichen Hemisphäre, dass das Radioteleskop von Arecibo, Puerto Rico, nicht mehr zu retten ist und stillgelegt werden wird. Dies ist ein schwerer Schlag für die Wissenschaft. Im folgenden Artikel soll an die besonderen Fähigkeiten und Leistungen des Radioteleskops erinnert werden, und aufgezeigt werden, warum es auf absehbare Zeit nicht komplett zu ersetzen sein wird.
Am 16. November 1974 war die Sonne für 167,9 Sekunden nicht das hellste Objekt im Sonnensystem – jedenfalls nicht bei einer Wellenlänge von 12,6 cm (2388 MHz) in einem Band von effektiv 10 Hz Bandbreite und aus der Richtung des Kugelsternhaufens Messier 13 im Sternbild Herkules gesehen. Die riesige, 305 Meter (1000 Fuß) durchmessende, in eine Doline auf einer kleinen Insel am Rande der Karibik eingelassene Antenne bündelte das 450.000 Watt starke Sendesignal zu einem nur knapp 1,7 Bogenminuten (rund 1/17 des Vollmonddurchmessers) durchmessenden Kegel, der genau auf den aus ca. 300.000 Sternen bestehenden Kugelsternhaufen gerichtet war. Befand man sich innerhalb dieser schmalen Sendekeule, dann wäre einem das Signal so stark wie das eines Rundstrahlers von 3 Billionen Watt Leistung erschienen.
Mit nur 10 Bit pro Sekunde tickerte der Sender 1679 Bits herunter, bevor er verstummte. 1679 ist das Produkt der Primzahlen 23 und 73 – man kann die Bitfolge nur auf zwei Weisen zu einem Rechteck aus hellen und dunklen Kästchen anordnen, und nur die Anordnung in 73 Zeilen zu je 23 Spalten ergibt so etwas wie ein Bild: Die erste Botschaft, die die Menschheit 1974 gezielt ins All sendete und die stark genug war, um von einer fortgeschrittenen Zivilisation in der Entfernung von Messier 13 empfangen werden zu können.
Der letzte Akt einer Legende
Das Drama des letzten Akts im Leben des legendären Riesenteleskops, mehr als 50 Jahre unangefochten des größte Radioteleskop der Welt, begann am 10. August dieses Jahres, als ein Hilfskabel aus seiner Verankerung an der Instrumentenplattform herausrutschte und auf den Rand der Schüssel peitschte, wo es eine 30 Meter lange klaffende Lücke hinterließ. Möglicherweise hatte der tropische Sturm Isaias, der Ende Juli über Puerto Rico und die übrigen Großen Antillen gefegt war, das Kabel gelockert. Der Schaden sah aus der Nähe zunächst dramatischer aus als er war, auf Luftbildern fiel die Beschädigung der Schüssel kaum auf.
Der Betrieb wurde trotzdem eingestellt und die National Science Foundation (NSF), die das Teleskop finanzierte, bestellte ein neues Kabel zum Austausch. Noch bevor das Kabel installiert werden konnte, zerriss jedoch am 7. November völlig unerwartet eines der zwölf Haupt-Tragekabel, die die 817 Tonnen schwere Instrumentenplattform 150 m über der Mitte der Schüssel in der Schwebe halten, und stürzte auf die Aluminiumplatten des Reflektors. Die bereits beim Bau des Teleskops zwischen 1960 und 1963 installierten Kabel waren zwar regelmäßig geprüft und gewartet worden, aber es war bekannt, dass bereits ein Dutzend der 160 Drähte, aus denen das 9 cm durchmessende Kabel zusammengewickelt war, gebrochen waren; dennoch hatten die Ingenieure nie damit gerechnet, dass das Kabel unvermittelt reißen könnte, denn seine Tragkraft hatte eigentlich weit über dem von ihm gehaltenen Gewicht gelegen.
Nun hatten die zahlreichen Hurrikane, mehrere Erdbeben und die beständige feuchtwarme, mit salzigen Tröpfchen angereicherte Brise wohl doch letztendlich ihren Tribut eingefordert. Die verbliebenen Kabel sind jetzt einer noch höheren Last ausgesetzt, in keinesfalls besserem Zustand und es besteht jederzeit die Gefahr, dass ein weiteres von ihnen reißen könnte. Beide zerstörten Kabel führten zum gleichen Turm, der auf der Rückseite zum Lastausgleich von weiteren Kabeln unter Spannung gehalten wird. Im schlimmsten Fall könnten bei einem weiteren Kabelbruch alle übrigen Kabel des Turms versagen, der Turm nach hinten stürzen, die Plattform herunter fallen und die umherpeitschenden Kabelenden gar das Gebäude des Observatoriums beschädigen, wo sich noch weitere eigenständige Instrumente und ein Besucherzentrum befinden.
Fünf Ingenieurteams verschiedener Baufirmen untersuchten die Aufhängung der Plattform im November und kamen fast einhellig zu dem Schluss, dass das Teleskop nicht ohne Lebensgefahr für die beteiligten Bauarbeiter instand gesetzt werden könne. Daher verkündete die NSF am 19. November, dass das Arecibo-Teleskop endgültig stillgelegt werden müsse. Nicht aufgrund mangelnden wissenschaftlichen Werts, wie noch einmal betont wurde, sondern ausschließlich aus Sicherheitserwägungen. Alle weiteren Planungen konzentrieren sich nun darauf, wie die Instrumentenplattform sicher abgesenkt und die Haltevorrichtungen demontiert werden können.
USP: 25 Billionen Watt EIRP
Weltweit trauern Wissenschaftler um das Riesenteleskop. Es sei nicht durch andere existierende Radioteleskope zu ersetzen, zitiert Gizmodo Dr. Anne Virkki, Leiterin des Radar-Teams am Arecibo Teleskop. Noch kurz vor dem Versagen des ersten Kabels hatte sie einen erdnahen Asteroiden mit dem Teleskop beobachtet und durch eine genaue Bahnbestimmung ermittelt, dass der zuvor als potenziell gefährlich eingestufte Asteroid in absehbarer Zeit nicht mit der Erde kollidieren werde. Denn der USP des Teleskops war ein starker Radarsender, zuletzt mit einem Megawatt Einspeiseleistung, die das Teleskop durch Bündelung relativ zu einem Rundstrahler um das 25 Millionenfache verstärken konnte (Funktechniker sprechen von einer effektiv isotrop rundgestrahlten Leistung, "Effectively Isotropic Radiated Power", EIRP), um damit Asteroiden, den Planeten Venus und sogar den Saturnmond Titan in zehnfacher Sonnenentfernung (1,5 Milliarden km Entfernung) zu beleuchten und abzutasten.
Dass es nicht noch weiter entfernte Objekte mit seinem Radarstrahl erfassen konnte, lag nicht an etwa an mangelnder Leistung, sondern lediglich daran, dass sein Signal zum Saturn und zurück mit gut zweieinhalb Stunden ziemlich genau so lang unterwegs war, wie das Teleskop das Zielobjekt in seinem 40° durchmessenden Blickfeld halten konnte, bevor jenes aufgrund der Erdrotation hinaus wanderte. Ein Radarecho vom doppelt so weit entfernten Uranus hätte das Teleskop nicht mehr rechtzeitig erreichen können.
Eltern: Das Militär und ein Rechenfehler
Die Ausstattung mit einem leistungsstarken Radarsender und auch seine Größe verdankt das Teleskop einem Militärprojekt – und einem Rechenfehler. Im sich zuspitzenden Kalten Krieg während der 1950er Jahre erforschte das US-Militär, wie es die bei einem nuklearen Angriff mit Interkontinentalraketen eingesetzten Täuschkörper, die eine ballistische Raketenabwehr austricksen sollten, auf mehrere Tausend Kilometer Entfernung von echten Sprengköpfen würde unterscheiden können. Es war bekannt, dass in die Lufthülle eintretende schnelle Objekte eine Ionisationsspur durch die Atmosphäre ziehen, die Radarwellen reflektiert und man hoffte, dass sich die Radarechos von Täuschkörpern und echten Sprengköpfen klar unterscheiden ließen.
Über die Physik der Ionosphäre war jedoch noch zu wenig bekannt, und so ließ die Advanced Research Projects Agency (ARPA) Anfang der 1960er mehrere Radarstationen und das Arecibo-Teleskop errichten. Wobei das Teleskop aufgrund eines Rechenfehlers für die geplante Ionosphärenforschung mit Radarwellen – zum Glück für die Radioastronomie! – um einen Faktor 10 zu groß ausgelegt wurde.
Das Arecibo-Teleskop (9 Bilder)
Die schiere Größe des Teleskops hat drei Vorteile: erstens ist die Signal sammelnde Fläche 9 bis 10 Mal so groß wie die der größten schwenkbaren Einzelteleskope, zu denen beispielsweise das Effelsberger Radioteleskop in der Eifel zählt, und somit kann Arecibo entsprechend schwächere Signale aufspüren. Zweitens ist für eine gegebene Wellenlänge die Auflösung, also des Vermögen, den Ort einer Signalquelle zu lokalisieren oder Details einer Quelle zu erkennen, um den Faktor 3 höher als bei den vorgenannten Teleskopen. Und drittens kann umgekehrt auch ein gesendetes Signal mit einer großen Schüssel stärker gebündelt werden als mit einer kleineren Antenne; das einzige andere im Betrieb befindliche Radioteleskop, das über einen starken Radarsender verfügt, ist die 70-m-Schüssel in Goldstone, deren Verstärkungsfaktor (Gewinn) nur 1/19 desjenigen der Arecibo-Schüssel beträgt; diese erreicht bei 2.4 GHz 74 dBi, eine Verstärkung um den Faktor 25 Millionen. Bis zum Jahr 2016 blieb Arecibo das größte Radioteleskop der Welt.
Das Teleskop war von Beginn an auch für den zivilen Einsatz in der Radioastronomie konzipiert worden. Da es aufgrund seiner Größe nur starr im Boden verbaut werden konnte, wählte man einen Standort in den Tropen, möglichst weit südlich aber noch quasi auf US-amerikanischem Boden gelegen: Puerto Rico gehört zu den nichtinkorporierten Außengebieten der Vereinigten Staaten und bemüht sich seit vielen Jahren (vergeblich), 51. Bundesstaat der USA zu werden. Die äquatornahe Position erlaubte dem Empfänger, der einen Streifen von -1° bis 39° Breite am Himmel abdeckte und durch die Erdrotation täglich alle 360° der Längengrade überstrich, die Planeten und viele erdnahe Asteroiden sowie das Zentrum der Milchstraße und den Virgo-Galaxienhaufen in sein Sende- und Empfangsfeld zu bekommen. Das Karstgestein der Insel, in dem durch Unterspülung Einsturzkrater, "Dolinen", entstanden waren, bot natürliche Vertiefungen, in die man die Schüssel des Teleskops integrieren konnte.
Silberblick in die Kugelschale
Durch die starre Konstruktion der Schüssel schien das Teleskop auf den ersten Blick dazu verdammt zu sein, stets senkrecht nach oben schauen zu müssen. Hätte man es mit einem starren Empfänger auf einem zentralen Turm versehen, wie einer der ursprünglichen Designvorschläge gelautet hatte, wäre das auch der Fall gewesen, aber die Ingenieure und Physiker tüftelten eine geniale Konstruktion aus: einen entlang einer gebogenen Schiene verschiebbaren und neigungsfähigen Sekundärspiegel. Die Schiene konnte ihrerseits um 360° in der Waagerechten rotiert werden. Die Empfangsplattform wird über eine von drei Türmen außerhalb der Schüssel gehaltene Seilkonstruktion 150 Meter über derselben in der Schwebe gehalten und kann zur Wartung oder Schutz vor Stürmen auf Haltestangen in der Mitte der Schüssel heruntergelassen werden. Auf diese Weise konnte der Sekundärspiegel aus verschiedenen Richtungen im schiefen Winkel in den Primärreflektor hineinschauen und somit ein Sichtfenster von 40° Durchmesser am Himmel erreichen.
Normalerweise verwenden Radioteleskope paraboloide Reflektoren, denn ein Paraboloid bündelt parallel einfallende parallele Wellen in einem Brennpunkt, was allerdings nur in einem kleinen Winkelbereich um die Symmetrieachse des Paraboloids funktioniert – schräg einfallende Wellen werden nur ungenügend fokussiert, daher muss die Schüssel exakt auf das Ziel ausgerichtet werden. Arecibo verwendet hingegen einen sphärischen Primärreflektor, die abgeschnittene Kappe einer Kugel mit einem Krümmungsradius von 265 Meter. Diese bündelt parallel einfallende Strahlung zwar für überhaupt keinen Einfallswinkel in einem Punkt, aber der Fehler ist wegen der Kugelsymmetrie weniger richtungsabhängig als bei einem Paraboloid und kann durch einen ebenfalls sphärischen Sekundärreflektor kompensiert werden. Seit 1997 gab es eine kuppelförmige Aufnahme für den Sekundärreflektor, die noch einen dritten Reflektor enthielt, der die Radiosignale auf einen festen Punkt im Empfängerraum an der Oberseite der Kuppel fokussierte, wo verschiedene austauschbare Empfänger installiert werden konnten. Das Teleskop gehörte nie zum alten Eisen, sondern wurde stets auf dem letzten Stand der Technik gehalten und für die nächste Aufrüstung standen schon neue Instrumente bereit.
Neben der Kuppel war eine 30 Meter lange Antenne für 430 MHz installiert, die prominent im James Bond Film "Golden Eye" beim Kampf zwischen Bond und den Schurken Trevelyan in Szene gesetzt wurde. Diese Antenne diente auch der Ionosphärenforschung. Man sendete starke Radarpulse in die Ionosphäre, die dort vom elektrisch leitenden Plasma reflektiert wurden. Die Dopplerverschiebung des Signals gab Aufschluss über die Bewegung der Elektronen und den Zustand der Ionosphäre (Temperatur, Druck, Elektronendichte, Drift des Gases).
Aber zu Ruhm kam das Teleskop nicht wegen der Ionosphärenforschung, sondern wegen seiner zahlreichen astronomischen Entdeckungen.
Die Rotation von Merkur und Venus
Zu den ersten Entdeckungen gehörte die Rotationsgeschwindigkeit des Merkurs. Beobachtungen des Planeten mit optischen Teleskopen hatten kein eindeutiges Ergebnis ergeben, der Planet ist in steter Sonnennähe nur sehr schwierig zu beobachten: hoch am Himmel steht er nur am helllichten Tag, wenn der blaue Himmel den Kontrast schwächt, und in der Dämmerung steht er tief, so dass der Blick von einer dicken Schicht turbulenter Atmosphäre getrübt und durch Lichtbrechung verwaschen wird.
Die Beobachtungen deuteten jedoch auf eine langsame Rotation hin, und so ging man davon aus, dass Merkur mit seinem Umlauf gebunden rotiert, so wie der Mond das in Bezug auf die Erde tut. Die Erde hat den Mond mit ihrer Gezeitenkraft allmählich so weit abgebremst, dass er für eine Drehung um sich selbst genau so lange braucht wie für einen Umlauf um die Erde, so dass er uns stets dieselbe Seite zeigt. Dasselbe hatte man für den Merkur angenommen, dessen eine Hemisphäre demnach permanenter Gluthitze ausgesetzt wäre, während die andere in ewiger, eiskalter Nacht gefangen wäre. Arecibo fand jedoch 1965 mit seinem planetaren Radar, 9 Jahre vor dem ersten Vorbeiflug einer Raumsonde durch Mariner 10, dass Merkurs Rotation 58,646 Tage dauert, während ein Umlauf um die Sonne 87,969 Tage währt. Dies bedeutet dennoch eine Kopplung zwischen Rotation und Umlauf: zwei Umläufe dauern 175,938 Tage, genau so lange wie drei Rotationsperioden. Aus Sicht eines Ortes auf Merkur geht die Sonne also auf und unter, und der Merkurtag dauert 175,938 Erdtage. Man spricht von einer 3:2-Spin-Orbit-Resonanz. Die stark elliptische Bahn des Planeten trägt zur Stabilisierung dieser Resonanz bei, denn in Sonnennähe bewegt er sich deutlich schneller um die Sonne und rotiert dann fast synchron mit seinem Umlauf.
Überhaupt nur mit Radar konnte die Rotationsgeschwindigkeit der Venus gemessen werden, deren Oberfläche unter einer dichten Wolkendecke verborgen ist. Diese zeigt zwar im ultravioletten Licht Strukturen, aber deren "Superrotation" genannter Umlauf, der nur ca. 4 Tage dauert, hat nichts mit der Rotation des Planeten selbst zu tun. Arecibo fand, dass die Venus 243,025 Tage für eine Umdrehung braucht – 18,3 Tage länger als sie für einen Umlauf um die Sonne benötigt (224,701 Tage). Zudem rotiert sie retrograd, das heißt in Gegensinn zu ihrem Umlauf um die Sonne. Dies tut ansonsten nur Uranus, dessen Äquatorebene beinahe senkrecht zur Bahnebene steht, während der Äquator der Venus nur 3,4° gegen ihre Bahnebene verkippt ist.
Pulsare und die Allgemeine Relativitätstheorie
Jocelyn Bell Burnell entdeckte 1967 den ersten Pulsar, eine periodische Radioquelle extremer Konstanz mit einer Pulsfrequenz im Subsekunden-Bereich und damals noch unbekannter Ursache. Heute wissen wir, dass es sich um rotierende Neutronensterne handelt. Dieser Zusammenhang konnte dadurch hergestellt werden, dass man Pulsare im Zentrum von Supernovaüberresten fand, das sind die sich ausbreitenden Gaswolken von als Supernova explodierten Sternen, die meist einen Neutronenstern hinterlassen. 1968 fand das Green-Bank-Radioteleskop zwei Pulsare in der Gegend des Krebsnebels Messier 1, von dem man wusste, dass er auf eine Supernova im Jahre 1054 zurückging, die von chinesischen Astronomen dokumentiert worden war. Green Bank konnte allerdings nur sporadische Pulse auffangen und daher die Pulsfrequenz nicht bestimmen. Arecibo konnte einen der beiden Pulsare im Zentrum des Krebsnebels lokalisieren und die genaue Pulsfrequenz messen. Sie beträgt 33,5 ms oder 29,8 Pulse pro Sekunde. So schnell rotiert der Pulsar im Krebsnebel.
Arecibo fand viele weitere Pulsare, darunter 1982 den ersten Millisekundenpulsar. Ein besonderes Highlight war seine Entdeckung des ersten binären Pulsars PSR B1913+16 durch Russell A. Hulse und Joseph Taylor im Jahr 1974. Der sichtbare Pulsar mit einer Pulsdauer von 59 ms umkreist hier einen unsichtbaren Neutronenstern in nur 7 Stunden und 45 Minuten. Dies konnten Hulse und Taylor anhand einer periodischen Dopplerverschiebung der Pulsar-Pulse nachweisen: wenn der Pulsar sich uns nähert, erscheinen seine Pulse verkürzt, wenn er sich entfernt, erscheinen sie verlängert. Aus den Bahndaten schlossen sie auf Massen von 1,44 Sonnenmassen für den Pulsar und 1,39 für den unsichtbaren Begleiter.
Durch eine genaue Beobachtung des Systems konnten Hulse und Taylor zwei Effekte der Allgemeinen Relativitätstheorie nachweisen: zum Einen die Zeitdilatation im Schwerefeld; wenn die Neutronensterne sich bei nur 1,1 Sonnenradien (765.000 km) am nächsten sind, verlangsamt sich die Pulsdauer um ca. 1 Mikrosekunde, weil im Schwerefeld die Zeit langsamer vergeht. Und zum Anderen die Abstrahlung von Gravitationswellen: die sich umkreisenden Neutronensterne kommen sich allmählich näher, was zu einer Verkürzung der Umlaufzeit um 76,5 Mikrosekunden pro Jahr führt. Dieser Wert entspricht 99,7±0,2 % des von der Allgemeinen Relativitätstheorie für den Energieverlust durch die Abstrahlung von Gravitationswellen berechneten Betrags. Die Beobachtung gilt als erster Nachweis von Gravitationswellen. 1993 erhielten Hulse und Taylor den Nobelpreis für ihre Messungen und PSR B1913+16 ist heute viel bekannter unter der Bezeichnung Hulse-Taylor-Pulsar.
Die Suche nach außerirdischer Intelligenz
Arecibo war wegen seiner enormen Empfangsstärke stets beliebt bei SETI-Projekten, also der Suche nach außerirdischer Intelligenz (Search for Extra Terrestrial Intelligence). Die SETI-Gruppe der Harvard-Universität nutzte das Radioteleskop seit 1978 immer wieder für Beobachtungen, wobei die Schüssel wegen ihres kleinen Blickfelds nur für Punktsuchen geeignet war, dort aber die größte Empfindlichkeit aller Radioteleskope auf der Welt bot. Für SETI werden spezielle Empfänger verwendet, die das Empfangssignal in viele schmalbandige Kanäle aufteilen und darin nach starken Signalen suchen, denn Funksignale wie wir sie für Rundfunk, Sprechfunk oder Datenübertragung benutzen, sind stets auf einen kleinstmöglichen Frequenzbereich beschränkt – den "Sender", den wir z.B. am Radio oder Fernseher abstimmen.
Bei der ersten Suche im Jahr 1978 wurde für 200 Kandidatensterne eine Bandbreite von nur 1 kHz um die Wasserstofflinie bei 21 cm durchsucht. Im bis zuletzt aktiven Projekt SERENDIP VI wurden auf der Basis einer in FPGA-Hardware gegossenen Fourieranalyse und eines Grafikkarten-Parallelprozessors (GPU) sieben Signalquellen zu je 300 MHz Bandbreite in 128 Millionen Kanälen mit einer Zeitauflösung von 0,2 Sekunden durchkämmt. SERENDIP lief im Hintergrund zu aktiven Beobachtungen anderer Astronomen und beanspruchte selbst keine eigene Beobachtungszeit.
Arecibo spielte auch eine Rolle im Spielfilm „Contact“, wo die Hauptfigur Ellie Arroway (angelehnt an die SETI-Forscherin und spätere Leiterin des SETI-Instituts Jill Tarter) an ihrem SETI-Projekt arbeitet. Als ihr die Fördermittel gestrichen werden, erhält sie unverhofft Mittel von einem Großindustriellen, kann weitermachen und empfängt schließlich tatsächlich das Signal einer außerirdischen Intelligenz. Die realen amerikanischen SETI-Programme werden bereits seit 1993 nicht mehr aus Steuergeldern, sondern ausschließlich aus privaten Mitteln und Spenden finanziert, zuletzt durch den russischen Milliardär Juri Borissowitsch Milner unter dem Programmnamen „Breakthrough Listen“. Nur China leistet sich noch ein SETI-Projekt aus staatlichen Mitteln, welches das neue FAST-Radioteleskop einsetzt. Anders als im Film hat jedoch weder Arecibo noch ein anderes Radioteleskop bisher ein unzweifelhaft künstliches Signal einer außerirdischen Zivilisation aufspüren können, wobei allerdings bisher auch nur ein kleiner Bruchteil aller Frequenzen und Sterne untersucht werden konnte.
Radarbilder der Venusoberfläche
1981 gelangen Arecibo die ersten Radarbilder der Venusoberfläche, die mit heutiger Technik zuletzt eine Auflösung von nur wenigen Kilometern erreicht haben. Die eingesetzte Technik ähnelt eher der Ultraschallortung von Fledermäusen oder Delfinen als der Abbildung durch einen Kamerasensor: Das planetare Radar nutzt zum einen die Laufzeitunterschiede zwischen näheren und entfernteren Orten auf dem Planeten und zum anderen den Dopplereffekt durch die Rotation. Ein scharfer Radarpuls kommt zeitlich gestreckt zurück, denn der Außenrand des Planeten ist weiter von der Erde entfernt als sein Zentrum. Zuerst kommt also das Echo aus der Mitte der Planetenscheibe zurück und danach das Summensignal eines sich ausbreitenden Rings auf der Venusoberfläche, auf dem alle Punkte dieselbe Entfernung zur Erde haben.
Da sich der Planet dreht, ist das reflektierte Signal auf der uns näherkommenden Seite jedoch ein wenig hochfrequenter als das Signal der sich entfernenden Seite, wobei die Frequenzverschiebung am Äquator am größten ist. Zeichnet man den Signalpegel über die Frequenz und die Zeit auf, so kann man daraus ein Bild generieren. Allerdings sind Nord- und Südhälfte zunächst nicht unterscheidbar, ihre Signale überlagern sich zu gleichen Laufzeiten und bei gleichen Frequenzen. Erst durch die Kombination zahlreicher Messungen mit verschiedenen Neigungen der Venusachse in Bezug zur Erde kann man die beiden Hemisphären auseinander dividieren. Die folgenden Aufnahmen wurden vom Green Bank Radioteleskop aufgenommen, wobei Arecibo den Radar-"Scheinwerfer" lieferte.
Die ersten Exoplaneten
Die ersten Planeten außerhalb des Sonnensystems entdeckte kein optisches Teleskop und kein Weltraumteleskop, sondern das Radioteleskop in Arecibo. Am 9. Februar 1990 entdeckten Aleksander Wolszczan und Dale Frail den 2300 Lichtjahre entfernten Pulsar PSR B1257+12 mit dem Arecibo-Teleskop und verfolgten in den darauf folgenden Monaten, wie sich seine Periode aufgrund des Dopplereffekts zyklisch veränderte, ähnlich wie beim Hulse-Taylor-Pulsar, jedoch mit viel kleinerer Amplitude. Anders als beim Hulse-Taylor-Pulsar wurde PSR B1257+12 nicht von einer großen Masse begleitet, sondern von zwei nur rund 4 Erdmassen leichten Objekten, bei denen es sich folglich um Planeten handeln musste. 1994 fanden sie noch einen dritten Planeten mit nur 2 Mondmassen. 1992 veröffentlichten Wolszczan und Frail ihre legendäre Arbeit und kamen den Astronomen zuvor, die auf der Suche nach konventionellen Planeten waren, welche einen gewöhnlichen Stern wie die Sonne umkreisen. Sie hinterließen ratlose Wissenschaftler, die sich bis heute den Kopf darüber zerbrechen, wieso ein Pulsar überhaupt Planeten haben kann.
Eis auf dem Merkur, Seen auf Titan
1992 fand Arecibo bei Radarbeobachtungen des Merkur, dass sich in Kratern an den Polen des Planeten, deren Grund im ewigen Schatten liegt, möglicherweise Eis befindet. Durch die Bahnneigung des Merkur gegen die Erdbahn konnte Arecibos Radar in die Krater hineinleuchten und bemerkte eine Modifikation des Radarechos, die am besten mit Eis zu erklären war. 2012 konnte die Merkursonde Messenger, die den Planeten von 2011 bis 2015 umkreiste, das Vorhandensein von Eis mit Hilfe ihres Neutronen-Spektrometers verifizieren. Wahrscheinlich haben Kometen das Eis in den Kratern deponiert, den mit -90 °C kältesten Orten auf dem Planeten, auf dem ansonsten bis zu 430 °C herrschen.
2003 sendete Arecibo sein Radarsignal zum Saturnmond Titan, ein gutes Jahr vor der Ankunft der NASA Cassini-Raumsonde und der mitgeführten ESA-Sonde Huygens, die im Januar 2005 auf Titan landen sollte. Da man die Temperatur- und Druckverhältnisse auf Titan kannte (eine Stickstoff-Methan-Atmosphäre bei -180 °C und 1,6 Atmosphären Druck, mehr als auf der Erde – Bedingungen, unter denen Methan noch flüssig ist und bei ein paar Grad mehr gasförmig wird), hatte man spekuliert, dass es auf Titan Meere aus flüssigem Methan geben könnte. Tatsächlich empfing man mit Goldstone oder Arecibo selbst in 3/4 der Beobachtungen Radarechos, die auf ebene Flächen wie denjenigen einer glatten Flüssigkeit oder einer Oberfläche erstarrten Methans auf Teilen des Mondes hindeuteten. Die Flächen reflektierten nur 2% des Radarsignals, was für nichtleitende Kohlenwasserstoffe typisch ist. Die Radarechos deuteten auf Seen von einigen 10 bis 100 km Größe hin, nicht jedoch auf große Ozeane. Tatsächlich fand Cassini im Vorbeiflug am Titan aus einigen tausend bis hundert Kilometern Entfernung mit Hilfe seines Radars und seiner Infrarotkameras die von Arecibo und Goldstone georteten Seen – die diese zuvor aus 1,5 Milliarden Kilometern Entfernung entdeckt hatten. Huygens ging schließlich auf trockenem Boden am Fallschirm nieder.
Die Entfernung der Plejaden
1989 wurde das Weltraumteleskop Hipparcos gestartet, um die Parallaxen einiger hunderttausend Sterne mit vorher nicht erreichter Präzision zu vermessen und somit die Leiter der astronomischen Entfernungsmessung auf eine neue, bessere Grundlage zu stellen. Den Messungen von Hipparcos und dem Hubble-Teleskop verdanken wir die Verbesserung unseres Wissens über die Größe und das Alter des Universums von vormals ±50% auf einige Prozent genau, sowie die Entdeckung der Dunklen Energie.
Ausgerechnet für das nahe Siebengestirn der Plejaden liefert Hipparcos allerdings ein Ergebnis, das mit 392±5 Lichtjahren rund 10% kleiner war als die von der Erde aus bestimmten 435±4 Lichtjahre. Dies war deswegen problematisch, weil Sternhaufen zur Kalibrierung der Sternentwicklung dienen – hier hat man eine Reihe von Sternen in gleicher Entfernung mit gleichem Alter und kann ihre Entwicklung und Helligkeiten mit Sternen bekannten Typus’ vergleichen. Die Plejaden sind das nächstgelegene Sternentstehungsgebiet mit jungen blauen Sternen – wenn man ihre Entfernung hier nicht genau bestimmen konnte, wo sonst? 2014 nahm Arecibo an einer VLBI-Messkampagne teil (VLBI = Very Large Baseline Interferometry), bei der mehrere Radioteleskope weltweit, darunter Arecibo, Green Bank und Effelsberg, zusammengeschaltet wurden, um die Parallaxe der Plejadensterne zu messen. Sie fanden eine Entfernung von 444±4 Lichtjahren. Die Hipparcos-Nachfolgerin Gaia bestätigte im ersten Datenrelease 2016 die Entfernung mit 437±20 Lichtjahren und im zweiten 2018 mit 444±16. Das dritte Release wird in diesem Monat veröffentlicht werden und die Genauigkeit weiter erhöhen. Hipparcos lag hier also offenbar falsch.
Die Quellen der Fast Radio Bursts
Fast Radio Bursts (FRB) sind ein Rätsel, das zurzeit kurz vor der Auflösung zu stehen scheint. Zunächst waren die ultrakurzen, nur Millisekunden andauernden Radiopulse mit Ursprüngen in entfernten Galaxien ausschließlich in Archivdaten des Parkes Radioteleskops in Australien gefunden worden. In Arecibo-Aufzeichnungen vom 2. November 2012 fand man erstmals einen FRB in den Daten eines anderen Radioteleskops – nachdem man schon angenommen hatte, es handele sich um Fehldetektionen, die von einem Mikrowellenherd im Parkes-Büro unter dem Teleskop ausgelöst worden waren. Besonders bedeutsam war, dass Arecibo im Mai 2016 einen erneuten FRB von offenbar derselben Quelle wie 2012 nachweisen konnte, das erste Indiz dafür, dass es sich hierbei um kein kataklysmisches Ereignis handeln konnte, das seine Quelle vernichtete, wie es eine Supernova, verschmelzende Neutronensterne oder ein zerfallendes Schwarzes Mini-Loch wären, die damals als Kandidaten gehandelt wurden. 2020 fand man einen FRB, der offenbar von einem Magnetar, einem Neutronenstern mit einem ultrastarken Magnetfeld ausging, und man nimmt mittlerweile an, dass Magnetare die Quellen aller FRBs sind, wobei der zugrunde liegende Mechanismus allerdings noch unklar ist.
Die Unveränderlichkeit der Naturkonstanten
In physikalischen Gleichungen tummeln sich eine Reihe von Größen, die einen konstanten Wert haben, wie zum Beispiel die Gravitationskonstante, die Lichtgeschwindigkeit oder das Plancksche Wirkungsquantum. Deren Werte können in Experimenten gemessen werden, sie erweisen sich als stets gleich groß, harren aber jeder weiteren Erklärung ihres Betrags (genau genommen wird die Lichtgeschwindigkeit durch zwei andere Konstanten bestimmt, die elektrische und die magnetische Feldkonstante, die dann jedoch wiederum nicht auf ein grundlegenderes Prinzip zurückgeführt werden können). Eine wichtige Frage ist, ob diese Konstanten wirklich unveränderlich sind, oder an anderen Orten oder zu anderen Zeiten geringfügig andere Werte gehabt haben.
Dieser Nachweis ist in keinem Labor der Welt möglich – aber zum Glück eröffnet uns das Universum als Labor aufgrund der endlichen Geschwindigkeit des Lichts sowohl den Blick in die Ferne als auch in die Vergangenheit. Um die Werte der Naturkonstanten auf große Entfernung zu bestimmen, muss man auf die Beobachtung physikalischer Prozesse zurückgreifen, in welche die Konstanten mit eingehen und die man mit lokalen Prozessen im Labor vergleichen kann. Die sogenannte Feinstrukturkonstante setzt sich aus der Lichtgeschwindigkeit (bzw. den Feldkonstanten), der Elementarladung und dem Planckschen Wirkungsquantum zusammen; ihre Konstanz erschlägt damit gleich mehrere Naturkonstanten (falls diese sich nicht untereinander verschworen haben, lediglich ihre Kombination konstant zu halten).
Die Feinstrukturkonstante bestimmt die Stärke der Wechselwirkung zwischen Elementarteilchen. Bei einer Änderung um mehr als 4% wären die Kernprozesse in den Sternen nicht mehr möglich, aber kleinere Variationen wären vorstellbar. Sie bestimmt zum Beispiel die Energieniveaus, die Elektronen im Atom annehmen, je nachdem wie ihr quantenmechanisches Drehmoment (Spin) relativ zum ihrem Umlaufum den Atomkern gemäß dem Bohrschen Atommodell orientiert ist (Spin-Bahn-Kopplung). Die beiden möglichen Orientierungen des Spins sorgen für zwei eng benachbarte Energieniveaus für den ansonsten gleichen Wechsel von einer Schale zur anderen unter Aussendung oder Absorption von Licht, also mithin für eine entsprechende Verdopplung der Spektrallinien, eine Feinstruktur der Linien (die Relativitätstheorie sorgt für weitere Feinstruktur-Niveaus im Spektrum). Eine Änderung der Feinstrukturkonstanten sollte sich darin äußern, dass der Abstand der Feinstruktur-Spektrallinien sich heute im Vergleich zur fernen Vergangenheit verändert hat.
Im Januar 2017 präsentierten Nissim Kanekar, Jayaram Chengular und Tapasi Ghosh eine über mehrere Jahre mit dem Arecibo-Teleskop durchgeführte Messung der Radio-Spektrallinien von Hydroxyl-Molekülen in der Umgebung des 3,27 Milliarden Lichtjahre (Rotverschiebung z=0,2467) entfernten Quasar PKS 1413+135. Die lange Beobachtungsdauer von zusammengerechnet 150 Beobachtungsstunden erlaubte eine Genauigkeit der Messung von 1,3 ppm (Millionstel). Innerhalb dieser Messgenauigkeit konnten die Autoren keine Veränderung der Feinstrukturkonstanten nachweisen.
Asteroiden-Frühwarnung
Seit vielen Jahren nahm Arecibo Radarbilder von erdnahen Asteroiden (Near Earth Asteroids, NEA) auf, um deren Größe, Rotation und Position genau bestimmen zu können und etwaige Asteroidenmonde zu orten. Vor allem die Positionsbestimmung ist sehr wichtig, um mit ausreichender Genauigkeit vorausberechnen zu können, ob ein die Erdbahn kreuzender Asteroid zukünftig mit der Erde kollidieren könnte. Rund 120 NEAs werden pro Jahr vom planetaren Radar aufs Korn genommen. Das planetare Radar besteht aus den Radioteleskopen in Arecibo, der 70-m-Schüssel in Goldstone, die ebenfalls mit einem Radarsender ausgestattet ist, und der 100-m-Antenne in Green Bank, die nur als Empfänger betrieben werden kann.
2014 gelangen spektakuläre Aufnahmen des Asteroiden 2014 HQ124. Im Jahr 2017 wurde der potenziell gefährliche Asteroid 3200 Phaeton, der die Quelle der Geminiden-Meteore ist, vom planetaren Radar erfasst und seine Größe zu 6 km bestimmt – in der Größenordnung des Chixulub-Asteroiden, der für das Aussterben der Dinosaurier verantwortlich gemacht wird und damit langfristig das potenziell gefährlichste Objekt ist, das die Menschheit kennt.
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Glücklicherweise erlaubten die Messungen eine Bahnbestimmung, die eine kleinste Distanz von Phaetons Bahn zur Erbahn von 2,9 Millionen Kilometern (7,5 Mondentfernungen) ergab. Die nächsten Annäherungen des Asteroiden in den kommenden 400 Jahren sind nun gut vorauszuberechnen und allesamt harmlos.
Der letzte potenziell problematische Asteroid 2020 NK1 war erst Mitte Juli 2020 entdeckt worden. Der Asteroid hatte nach den ersten Bahnbestimmungen eine kleine Chance von 1:70.000, zwischen 2086 und 2101 mit der Erde zu kollidieren und war mit 150 m Durchmesser groß genug, kontinentale Verwüstungen anzurichten. Er war deshalb zu dieser Zeit das einzige Objekt auf der Turiner-Skala, das sich auf Stufe 1 befand. Im Oktober veröffentlichte das Team des Planetary Radar unter der Leitung von Anne Virkki, dass der Asteroid der Erde auf absehbare Zeit nicht näher als 3,6 Millionen km, etwa 9 Mondentfernungen, kommen werde und damit wieder auf Stufe 0 zurückgestuft werden konnte.
Dies sind nur die wichtigsten Highlights aus der Geschichte des Riesenteleskops. Eine zum 50. Geburtstag 2013 veröffentlichte längere Liste findet sich hier.
Gemischte Zukunftsperspektiven
Was wird nun aus den Forschungen von Arecibo? Einige Experimente werden zu anderen, kleineren Teleskopen umziehen und damit an Genauigkeit verlieren. Insbesondere wird das planetare Radar seinen stärksten Sender verlieren. Das NANOGrav-Experiment, das in den Pulsfrequenzen von 47 Millisekundenpulsaren nach den Signaturen durchlaufender Gravitationswellen im Nanohertz-Bereich (Pulsdauer-Variationen über Jahrzehnte) sucht, wird wohl ohne Arecibo nicht fortgesetzt werden können, beklagte Jill Tarter gegenüber dem Scientific American.
In einer Karstdoline im Südwesten Chinas wurde zwischen 2011 und 2016 ein Radioteleskop noch größeren Ausmaßes errichtet, das "Five-hundred-meter Aperture Spherical radio Telescope", Spitzname Tianyan ("Himmelsauge"), das sogar 520 m Durchmesser besitzt und dessen Form dynamisch über Stellelemente in eine Paraboloidform verändert werden kann, je nachdem in welche Richtung es gerade schaut. Davon können allerdings zu einer Zeit nur 300 m genutzt werden; das Sammelvermögen der Schüssel ist mithin nicht größer als dasjenige von Arecibo, allerdings kann das Teleskop mit einem Gesichtsfeld von bis zu 40° Zenitabstand einen doppelt so breiten Streifen am Himmel erfassen und Objekte doppelt so lange verfolgen.
Abgesehen davon, dass unklar ist, inwieweit das Teleskop in einem autoritären Regime allen Forschern weltweit zur Verfügung stehen wird und es zur Zeit nur Frequenzen bis 3 GHz unterstützt (Arecibo reichte bis 10 GHz hinauf), verfügt es über keinen Radarsender und kann keinesfalls Arecibos Rolle im planetaren Radar übernehmen; zumal es sich auf einem Längengrad genau gegenüber den verbliebenen Radioteleskopen des Planetary Radar in den USA befindet und somit in die entgegengesetzte Richtung schaut und nicht mit ihnen zusammen das gleiche Ziel beobachten kann. FASTs Empfängerplattform ist beweglicher, kann deswegen aber weniger Last tragen und insbesondere keine schwere Senderhardware, wie Arecibo sie einsetzte.
Ein Projekt, das zumindest die passiven Beobachtungsmöglichkeiten von Arecibo voraussichtlich weit übertreffen wird, soll das Square Kilometre Array (SKA) werden, das von einigen europäischen Staaten (Schweiz, UK, Niederlande, Schweden, Italien, Spanien, Portugal), sowie Australien, Neuseeland, Kanada, Südafrika und China in Australien und Südafrika errichtet werden soll. Es wird aus tausenden Antennen diverser Bauformen bestehen, die insgesamt eine Empfangsfläche von einem Quadratkilometer – 14 Mal die nutzbare Fläche von Arecibo oder FAST – aufbringen sollen. Das kombinierte SKA soll mit einem Halbmesser von 3000 km eine um fünf Größenordnungen bessere räumliche Auflösung ermöglichen. Viele der Antennen sollen als Phased-Array zusammengeschaltet werden und gleichzeitig mehrere Ziele am Himmel anpeilen können, wobei sie von ihrem Standort auf 30° südlicher Breite fast den gesamten Himmel bis 60° nördlicher Breite erreichen können. SKA soll initial Frequenzen von 50 MHz bis 14 GHz erfassen und später bis 30 GHz ausgebaut werden. Falls das Teleskop dann wie geplant und bereits mehrfach verschoben (Deutschland ist 2015 aus der Förderung ausgeschieden und nimmt nur noch vertreten durch das Max-Planck-Instituts für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn am Projekt teil) 2027 sein erstes Radio-„Licht“ sieht und 2030 fertig gestellt werden wird. Über einen Sender wird es allerdings nicht verfügen.
Ein Signal wird uns überdauern
Die Arecibo-Nachricht dauerte nur 2 Minuten 48, und sie war, obwohl von wissenschaftlichen Größen wie Frank Drake und Carl Sagan erdacht, eigentlich eher als Werbegag anlässlich der feierlichen Wiedereröffnung des Radioteleskops nach einer Umbaumaßnahme gedacht gewesen. Sie ist mittlerweile ziemlich genau 46 Lichtjahre von der Erde entfernt und damit noch in unmittelbarer kosmischer Umgebung der Erde. Sie wird noch 25.000 Jahre Richtung Messier 13 unterwegs sein und sich danach in den Weiten des Raums zwischen den Galaxien bis zur Unkenntlichkeit zerstreuen, wie auch die zahllosen Radarpulse, die das Planetary Radar in alle möglichen Richtungen ausgesendet hat, und die vielleicht irgendwo zu irgendjemandes Wow!-Signal werden. Diese Signale werden das Teleskop und uns alle, vielleicht sogar die ganze Menschheit überdauern und von der Leistung zeugen, deren die Ingenieure in der Mitte des 20. Jahrhunderts fähig waren. Und von unserer unstillbaren Neugier, in Erfahrung zu bringen, was sich dort draußen noch alles verbergen mag.
- Daniel Clery, “Famed Arecibo telescope, on the brink of collapse, will be dismantled”, Science, 19. November 2020.
- Meghan Bartels, “Arecibo radio telescope, an icon of astronomy, is lost”, Space.com, 19. November 2020.
- Meghan Bartels, “Losing Arecibo Observatory would create a hole that can't be filled, scientists say”, Space.com, 19. November 2020
- Leonard David, “Arecibo Observatory to Close Its Giant Eye on the Sky”, Scientific American, 20. November 2020.
- National Science Foundation, “NSF begins planning for decommissioning of Arecibo Observatory’s 305-meter telescope due to safety concerns”, NSF News Release 20-010, 19. November 2020.
- George Dvorsky, “'A Magically Surreal Symbol of Human Ingenuity': Scientists Reflect on Arecibo’s Doomed Big Dish”, Gizmodo, 23. November 2020.
- Alexandra Witze, “Astronomen beklagen Ende des legendären Teleskops“, Spektrum.de, 20. November 2020.
- B. Isham, C.A. Tepley et al., “Upper atmospheric observations at Arecibo Observatory: Examples obtained using new capabilities”, Journal of Geophysical Research, Vol. 105, No. A8, 1. August 2000.
- Gregory Hallenbeck, “Overview of the Arecibo Observatory”, ALFALFA Undergraduate Workshop, 14. Januar 2013.
- R.B. Dyce, G.H. Pettengill & I.I. Shapiro, “Radar Determination of the Rotations of Venus and Mercury”, The Astronomical Journal, Vol. 72, No. 3, April 1967.
- Carl Melis, Mark J. Reid et al., “A VLBI Resolution of the Pleiades Distance Controversy”, Science, Vol. 345, Issue 6200, pp 1029-1032; arXiv:1408.6544.
- Stuart Clark, “Radar reveals Titan's methane lakes”, NewScientist, 2. Oktober 2003.
- A.K. Virkki, F. Venditti et al., “Science highlights of near-Earth asteroid radar observations at Arecibo Observatory”, AAS Division of Planetary Science meeting #52, id. 512.06. Bulletin of the American Astronomical Society, Vol. 52, No. 6, Oktober 2020.
- Planetary Radar Science Group, “S-band Spotlight: Arecibo Radar Observations Remove Asteroid 2020 NK1 from CNEOS Sentry List”, Arecibo, 7. August 2020.
- Arecibo Observatory, “Answers/Frequently Asked Questions”, “Legacy Discoveries”, NSF / AO Website.
- www.signale.de, “Die Arecibo-Botschaft”
(mho)