Nanokugeln als RNA-Fähren

Im Kampf gegen den Krebs kombinieren US-Forscher Ansätze der Nanomedizin und der RNA-Interferenz – und können so erstmals RNA-Abschnitte durch die Blutbahn gezielt in Tumorgewebe transportieren.

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Von
  • Alla Katsnelson

Im Kampf gegen den Krebs kombinieren US-Forscher Ansätze der Nanomedizin und der RNA-Interferenz – und können so erstmals RNA-Abschnitte durch die Blutbahn gezielt in Tumorgewebe transportieren.

Eines der großen Versprechen der Nanomedizin ist die Heilung von Krebs. Gelingen soll dies mit Hilfe des „drug targeting“: Nanopartikel sollen, mit medizinischen Wirkstoffen beladen, zielgenau Tumorzellen ansteuern und dort mit minimalen Nebenwirkungen ihr Werk vollbringen. Hunderte solcher Nanopartikel werden bereits in den Laboren getestet, bislang jedoch ohne durchschlagenden Erfolg. Ein neues Verfahren, das im Wissenschaftsjournal Nature veröffentlicht worden ist, kombiniert nun diesen Ansatz mit der RNA-basierten Krebstherapie, auf die seit langem ebenfalls große Hoffnungen gesetzt werden.

Zwar haben die beteiligten Forscher noch keine detaillierte Auswertung der ersten klinischen Studie vorgelegt. Aber das Grundprinzip funktioniert offenbar: Die Nanoteilchen schleusen in eine Krebszelle RNA-Moleküle, die dort ein Zielgen deaktivieren. „Das ist ein ungemein spannendes Paper“, sagt der MIT-Forscher Phillip Sharp, der 1993 den Medizin-Nobelpreis für die Entdeckung des so genannten RNA-Spleißens bekam. „Es zeigt, dass wir allmählich anfangen können, Patienten mit Nanopartikeln zu behandeln.“

RNA, kurz für Ribonukleinsäure, ist in Zellen für die Übermittlung von genetischen Informationen verantwortlich und ähnlich aufgebaut wie die DNA, die die genetische Information codiert. Meist liegt sie als kurzer einzelner Strang vor, während die DNA aus zwei langen verdrillten Strängen besteht. Vor zwölf Jahren entdeckte man, dass die seltenere doppelsträngie RNA Gene stillegen kann. Schon bald galt das "RNA-Interferenz" (RNAi) genannte Verfahren als Therapieansatz mit enormem Potenzial, das 2006 mit einem Nobelpreis für seine Entdecker Andrew Fire und Craig Mello geadelt wurde.

In der Praxis erwies es sich aber als ziemlich schwierig, die Therapie-RNA in die richtigen Zellen hineinzubekommen. Spritzt man sie in reiner Form einem Patienten in die Blutbahn, zerlegt sie sich in kleinere Abschnitte – „small interfering RNA“ (siRNA) –, die von den Nieren herausgefiltert werden können. In einigen wenigen Versuchen konnten siRNAs direkt in das Auge oder ins Lungengewebe verabreicht werden, um so eine Makuladegeneration oder virenbedingte Lungeninfektionen zu behandeln. Beide Organe sind von außen leicht zugänglich, so dass die RNA auch ohne Zusätze ins Ziel kommt.

Deshalb versuchte man bald, die RNA mit speziell konstruierten Trägerteilchen zu verbinden, um auch entlegenes Zielgewebe über die Blutbahn ansteuern zu können. Auch das ist leichter gesagt als getan. Denn dazu muss man Trägerpartikel finden, die nicht toxisch sind und auch keine Abwehrreaktion des Immunsystems auslösen.

Die Forscher um Mark Davis, Onkologe am California Institute of Technology, verwenden als RNA-Transporter 70 Nanometer große Nanohohlkugeln aus Polymeren. Sie sind mit Marker-Molekülen umhüllt, die sich nur an der Oberfläche einer Krebszelle anlagern können. Haben die Nanotransporter das Gewebe erreicht und angedockt, transportieren die Zellen sie durch die Membran ins Innere, wo sie auseinanderfallen und siRNA-Abschnitte freisetzen. Die deaktivieren dann ein Gen, das für die Bildung des Enzyms Ribonucleotid-Reductase M2 (RRM2) verantwortlich ist. Es reguliert den Zusammenbau von DNA aus seinen chemischen Bestandteilen und dessen Reparatur.

„Wir wollten ein Gen nehmen, das im Verdacht steht, bei vielen Krebsarten heraufreguliert zu werden“, sagt Mark Davis, Hauptautor der Studie vom California Institute of Technology. Als Heraufregulieren bezeichnet man einen Vorgang, bei dem von einem Gen häufiger als üblich die Bildung einer Zellkomponente – etwa eines Proteins – in Gang gesetzt wird. Lege man ein solches Gen still, seien Veränderungen im Krebsgewebe leichter zu erkennen, erläutert Davis, und damit auch, ob die Therapie angeschlagen hat.

Davis und seine Kollegen untersuchten das Verfahren anhand von Gewebeproben, die sie von drei Patienten mit schwarzem Hautkrebs nahmen. Dabei bekam jeder zuvor eine andere Dosis der Nanopartikel verabreicht – viermal innerhalb von 21 Tagen intravenös. Ergebnis: Die Menge der Teilchen, die in Tumorzellen eindrang, hing von der verwendeten Dosis ab. „Das ist das erste Mal unter allen bisher getesteten Teilchensystemen, dass dieser Vorgang beobachtet werden konnte“, freut sich Davis.

Die Forscher konnten auch mRNA, eine Variante der zelleigenen RNA, aus den Proben herausziehen, die genau an den vorgesehenen Stellen von der siRNA zerteilt worden war. Wie sich das Verfahren auf die Melanome der Patienten ausgewirkt hat, will Davis erst auf der Jahreskonferenz der Amerikanischen Gesellschaft für klinische Krebsforschung (ASCO) im Juni bekannt geben. Finanziert wurden die Tests unter anderem von Davis’ Start-up Calando Pharmaceuticals, das Nanopartikel-siRNA-Therapien entwickelt.

„Das ist ein kleiner, aber wichtiger erster Schritt“, lobt Judy Lieberman, RNAi-Forscherin an der Harvard University, die Arbeit von Davis und seinen Kollegen. „Dass sie die Nanopartikel in einen Tumor in der Haut bekommen können, ist eine sehr gute Nachricht.“ Dennoch sei es zu früh, auf der Basis von nur drei Patienten verallgemeinernde Schlüsse zu ziehen. „Anhand von drei Proben kann man noch keine Dosierungseffekte ableiten.“ Außerdem wisse man noch nicht, welche Wirkung das Verfahren auf die Vermehrung oder das Absterben der Tumorzellen habe.

„Es sind noch viel mehr Daten nötig“, pflichtet RNA-Pionier Phillip Sharp bei. „Ja, sie haben Nanopartikel in den Zellen entdeckt. Aber reicht das schon?“ Mark Kay, Leiter des Gentherapie-Programms der Stanford University, warnt, dass, selbst wenn Wirkstoffe es in eine Zelle geschafft haben, ein großer Teil das eigentliche Ziel nicht erreiche – in diesem Fall die DNA im Zellkern. „Was dieser – und auch allen anderen bisherigen Studien – fehlt, ist der Nachweis, dass die RNAi eine Krankheit effektiv behandelt.“

Das Paper: Davis, Mark et al., „Evidence of RNAi in humans from systemically administered siRNA via targeted nanoparticles“, Nature, Online-Veröffentlichung, 21.3.2010, (Abstract )

(nbo)