Natürlich künstlich

Angesichts schwindender Ölvorräte wächst das Interesse an Kunststoffen auf pflanzlicher Basis. Doch noch sind sie deutlich teurer als gewöhnliches Plastik.

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Von
  • Veronika Szentpetery

Es war ein Preisausschreiben im Jahr 1869, das die Ära der Massenkunststoffe einläutete. Gesucht wurde ein preiswerter Ersatzstoff für das teure Elfenbein in Billardkugeln. Sieger dieses Wettbewerbs wurde Celluloid, ein Material, das aus Cellulose und dem aus Pflanzenöl gewonnenen Campher hergestellt wurde. Knapp 40 Jahre später verdrängte das billigere Erdöl diese Naturstoffe als Ausgangsmaterial. Mittlerweile aber, vor dem Hintergrund knapper werdenden Öls, wächst das Interesse an Biokunststoffen wieder rapide: Laut einer Studie der Europäischen Kommission soll sein Marktanteil in Europa von derzeit nahezu null auf vier Prozent im Jahr 2020 zunehmen.

Chemisch gesehen werden alle Kunststoffe durch das wiederholte Zusammenfügen des gleichen Molekülbausteins (Monomer) zu langen Ketten (Polymer) hergestellt. Zu den wichtigsten Biokunststoffen gehören Stärkepolymere, Polymilchsäure, Polyhydroxyfettsäuren und Cellulose-Werkstoffe. Als Produktionsverfahren kommen chemische Synthese und die biotechnologische Herstellung durch Mikroorganismen oder genetisch modifizierte Pflanzen zum Einsatz. Reine Biokunststoffe haben jedoch meist noch unerwünschte Eigenschaften wie eine leichte Entflammbarkeit oder Reaktionsfreudigkeit mit Wasser. Deshalb werden sie häufig mit weiteren Polymeren und Zusatzstoffen kombiniert.

Am weitesten verbreitet unter den Biokunststoffen ist das natürliche Polymer Stärke aus dem Monomer Glukose; es wird aus Mais, Kartoffeln und Weizen gewonnen. Besser formbar wird es durch die Zugabe von Weichmachern und Plastifizierungsmitteln wie Sorbit oder Glycerin, die Zugabe von Erdöl-basierten Polymeren wie Polyester macht Stärke zusätzlich wasserabweisend. Die dadurch entstehenden sogenannten Stärkeblends werden zu Verpackungen wie Folien, Joghurtbechern und Tragetaschen, zu Folienbeschichtungen für Windeln und Pappe sowie zu Pflanztöpfen verarbeitet.

Ebenfalls recht verbreitet sind Biokunststoffe aus Polymilchsäure (Polylactid, PLA). Die industrielle Produktion des Grundbausteins Milchsäure übernehmen Bakterien, indem sie aus pflanzlicher Stärke stammende Glukose zu Milchsäure vergären. Durch eine anschließende Polymerisierung mittels chemischer Synthese entstehen transparente Kunststoffe. Milchsäure kann in zwei Variationen auftreten – je nachdem, welche Anteile sie haben, und durch die Zugabe von anderen Polymeren lassen sich damit wahlweise schnell abbaubare PLA für medizinische Implantate und OP-Fäden oder jahrelang stabile für Becher, Lebensmittelschalen oder Folien herstellen.

Der japanische Elektronik-Produzent NEC hat inzwischen auch die größte Schwäche dieser Materialklasse – die Hitzeempfindlichkeit – behoben: Durch die Verstärkung der PLA mit der Pflanzenfaser Kenaf und Metallhydroxiden schuf er einen Biokunststoff, der nicht nur schwer entflammbar, sondern obendrein gut formbar und stabil ist. Mit dem Mobiltelefon FOMA N701iEco ist in Japan bereits das erste Produkt auf dieser Grundlage auf dem Markt. Derzeit entwickeln die NEC-Techniker Biokunststoffe mit völlig neuen Eigenschaften: Sie sollen ein Formgedächtnis haben und recyclebar sein.

Als Geheimtipp unter den Biokunststoffen gelten die sogenannten Polyhydroxyfettsäuren, insbesondere die Polyhydroxybutyrate (PHB). Mit den richtigen Hilfspolymeren vermischt, ähneln ihre Eigenschaften denen des Erdöl-basierten Massenkunststoffs Polypropylen, und sie können auf die gleiche Weise per Spritzguss verarbeitet werden. PHB werden natürlicherweise von Bakterien aus überschüssiger Nahrung wie etwa Zucker produziert und als Energiereserve gespeichert. Allerdings ist die Gewinnung des Kunststoffs aus den Bakterien aufwendig, da die Zellmembran erst einmal mit wenig umweltfreundlichen Mitteln wie Chloroform oder mit Enzymen geknackt werden muss. Zudem braucht es drei Kilogramm Zucker, um ein Kilogramm PHB herzustellen. Der Zuckerpreis aber ist wegen der starken Nachfrage nach Bioethanol, das ebenfalls aus Zuckern hergestellt wird, erheblich gestiegen.

An einer billigeren Methode arbeiten unter anderem Gerrit Luinstra von BASF und Professor Bernhard Rieger von der Universität Ulm: Die beiden Forscher entdeckten, dass sich PHB mithilfe eines Katalysators aus den kleineren und industriell leicht verfügbaren Verbindungen Propylenoxid und Kohlenmonoxid chemisch synthetisieren lässt. Trotzdem ist der Biokunststoff noch teurer als Polypropylen: "PHB würde zunächst in kleineren Anlagen produziert und könnte daher kostenmäßig mit dem etablierten Massenkunststoff nicht mithalten", sagt Luinstra. Entscheidend für eine erfolgreiche Markteinführung sei daher, ob Kunden für den Zusatznutzen Bioabbaubarkeit mehr zu zahlen bereit sind.

Angesichts wachsender Plastik-Müllberge zu Land und zu See, die sich oft nur über mehrere hundert Jahre zersetzen, macht sich zunehmend auch die Politik für Biokunststoffe stark. So werden in Frankreich ab 2010 nur noch Plastiktüten aus nachwachsenden Rohstoffen erlaubt sein. In Deutschland wurden Hersteller von kompostierbaren Bioverpackungen in der neuen Verpackungsverordnung bis zum Jahr 2012 von der Verpflichtung ausgenommen, eine flächendeckende Entsorgung zu gewährleisten. Allerdings lösen sich nicht alle natürlichen Biokunststoffe unter Einwirkung von Wärme, Luft und Feuchtigkeit auf. Ebenso gibt es Erdöl-Kunststoffe, bei denen das sehr wohl der Fall ist; auch sie werden verwirrenderweise als Biokunststoffe bezeichnet.

Noch ist der Markt für die natürlichen Biokunststoffe recht klein. In Europa werden laut dem Branchenverband European Bioplastics jährlich etwa 50000 Tonnen davon hergestellt; die Produktionsmenge bei den konventionellen Erdöl-Kunststoffen dagegen beträgt pro Jahr etwa 45 Millionen Tonnen. Doch obwohl Biokunststoffe im Schnitt doppelt bis viermal teurer sind, übersteigt die Nachfrage schon die Produktionskapazitäten: "Biokunststoffe werden vor allem für die Verpackungshersteller zunehmend attraktiv, weil sie die höheren Produktionskosten durch Einsparungen bei der Entsorgung wettmachen können", sagt Michael Carus, Geschäftsführer der Marktforschungsfirma Nova-Institut. So muss eine bio-abbaubare Mulchfolie im Gartenbau nicht mehr entfernt werden, sondern zersetzt sich selbst.

Allerdings ist leichte Abbaubarkeit nicht unbedingt gleichbedeutend mit Umweltschutz, gibt Wolfgang Beyer, Kunststoff-Experte beim Umweltbundesamt, zu bedenken: "Aus Umweltsicht ist es falsch, zu kompostieren. Ich bekomme keine wiederverwertbaren Wertstoffe wie beim Recycling." Der Trend könnte also auch zu Kunststoffen gehen, die zwar auf Pflanzen basieren, sich aber trotzdem für das Recycling eignen – und bei nicht fachgerechter Entsorgung ebenso wie ihre Vorbilder aus Erdöl jahrelang die Landschaft verschandeln. (bsc)