Niklaus Wirth: "Eine Optimierung beim Programmieren erfordert Zeit"

Der am 1. Januar 2024 verstorbene Niklaus Wirth entwickelte die Programmiersprache Pascal. Im Interview von 2016 prangert er die Qualität beim Programmieren an.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 214 Kommentare lesen

(Bild: Tyomitch)

Lesezeit: 4 Min.

Der Schweizer Niklaus Wirth entwickelte von 1968 bis 1972 die Computersprache Pascal. Für seine Verdienste wurde er 1984 mit dem Turing Award ausgezeichnet. Wie nun bekannt wurde, verstarb der 89-jährige Informatiker am 1. Januar 2024. TR-Redakteur Wolfgang Stieler führte 2016 ein Interview mit Wirth. Darin kritisiert er, dass sich die gesteigerte Leistungsfähigkeit von Computern nicht auf die Programmierung ausgewirkt hat.

MIT Technology Review: Herr Wirth, brauchen wir das Fach Informatik in der Schule, damit Menschen im digitalen Zeitalter überhaupt noch sinnvolle Entscheidungen treffen können?

Niklaus Wirth: Immer wenn jemand etwas nicht versteht, aber sich dennoch gezwungen sieht, sich damit zu beschäftigen, ist die Gefahr groß, dass Ängste aufkommen. Ich kann das in gewisser Weise nachfühlen. Die Informationstechnologie ergreift ja mehr und mehr Lebensbereiche. Wir werden immer abhängiger von der Technik, das ist schon beunruhigend. Umso wichtiger ist es, Informatik in der Schule zu behandeln. Nicht so sehr, um Informatiker auszubilden, sondern um ein gewisses Grundwissen herzustellen.

Andererseits gibt es Millionen Autofahrer, die keine Ahnung haben, wie ein Benzinmotor funktioniert – und trotzdem gute Fahrer sind. Warum sollte es bei Computern anders sein?

Das Auto-Beispiel wird dem Computer nicht gerecht. Denn Letzterer ist im Gegensatz zu allen anderen Maschinen eine Universalmaschine. Sie können aus ihm eine Waschmaschine konstruieren, ein Telefon oder eine Steuerung für ein Atomkraftwerk – es ist immer dasselbe Prinzip. Schüler müssen nicht selber Programme schreiben können. Aber sie sollten verstehen, was ein Programm aussagt. Es ist ja in der Literatur auch so: Jeder lernt lesen, aber es muss nicht jeder ein Schriftsteller sein.

Kommt ein Teil der Angst nicht auch aus der Furcht vor Fehlern? Oft funktioniert die Software eben doch nicht so gut wie die Bremsen meines Autos.

Der Computer beruht auf den gleichen einfachen Prinzipien wie vor sechzig Jahren. Aber die Leistungsfähigkeit hat sich millionenfach gesteigert. Der Effekt dieser Leistungssteigerung auf die Programmierung ist allerdings sehr negativ – vor allem auf die Disziplin der Programmierung. Früher waren die Ressourcen extrem begrenzt, heute dagegen ist alles in Unmengen vorhanden: Speicher, Rechenleistung, Übertragungskapazitäten, einfach alles. Niemand muss mehr sparen. Programmieren heißt aber, Disziplin zu bewahren und jeden Moment darauf zu achten, dass man unnötige Komplexität vermeidet. Dieses Denken verschwindet mehr und mehr. Denn eine solche Optimierung erfordert Zeit. Sie wäre viel teurer, als einfach noch ein bisschen Hardware dazuzukaufen. Deswegen wird es nicht gemacht.

Warum ist das schlimm?

Diese schnell erstellten Programme sind nicht nur weniger ökonomisch. Sie enthalten auch mehr Fehler.

Verlieren wir irgendwann die Kontrolle über die IT?

Allzu pessimistisch darf man natürlich auch nicht sein. Es wird irgendwie gehen. Aber ich meine, es wäre möglich, rascher und sicherer Fortschritte zu erzielen, als wir das jetzt tun. All diese komplexen Programme könnten von Anfang an sauberer programmiert werden, wenn man sich mehr Zeit ließe.

Wenn Sie diese Kritik gegenüber Unternehmen vorbringen, was sagen die dann?

Dazu haben wir keine Zeit. Sie können einfach mehr Geld verdienen, wenn sie Dinge schneller herstellen. Irgendwelche Tüftler zu bezahlen, die den letzten Schliff anbringen, ist nicht mehr drin.

Hätte eine Computersprache wie Pascal unter diesen Bedingungen entstehen können?

So etwas wäre heute gar nicht mehr möglich. Sie entstand ja nicht im Rahmen eines konkreten Projekts, sondern neben meiner Lehrverpflichtung. Heute müsste ich dazu erst einmal Geld über Drittmittel auftreiben. Aber welche Firma hätte schon Interesse an pädagogischen Fragen der Programmierung? An der Entwicklung einer Sprache, die im Unterricht einfach zu vermitteln ist und dennoch die zugrunde liegenden Prinzipien herausarbeitet? Das wäre ein bisschen viel verlangt für die heutige Zeit.

(wst)