Nokias Endspiel

Für den einstigen Primus im Handymarkt sieht es düster aus. Ein letztes Ass hat Nokia noch im Ärmel: sein riesiges Patentportfolio, das Milliarden Dollar wert ist.

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Von
  • David Talbot

Für den einstigen Primus im Handymarkt sieht es düster aus. Ein letztes Ass hat Nokia noch im Ärmel: sein riesiges Patentportfolio, das Milliarden Dollar wert ist.

Viel ist von Nokias Herrlichkeit nicht übriggeblieben. Einstmals Weltmarktführer bei Handys, versäumten es die Finnen, ein Smartphone zu entwickeln, das iPhones oder Android-Geräten Paroli bieten kann. Den vorerst letzten Akt des darauf folgenden Absturzes gab es vergangene Woche, als der Konzern die Entlassung von 10.000 Mitarbeitern sowie die Schließung zweier Forschungslabore und einer Fabrik bekanntgab. Doch ein Ass hat Nokia noch im Ärmel: ein reichhaltiges Portfolio an Patenten – und die könnten den Konzern noch eine Weile am Leben halten.

Welche Stärke darin steckt, zeigt die Patentklage gegen Apple 2009. Nokia beschuldigte die Überflieger aus Kalifornien, mit dem iPhone 46 seiner Patente verletzt zu haben. Die bezogen sich etwa auf Standards für die drahtlose Datenübertragung, Antennen, Kameras, Click-Wheels und Steuerfunktionen für den Touch-Screen. Vergangenes Jahr einigten sich beide auf einen Vergleich, und Apple zahlte eine nicht genannte Summe an Nokia sowie Lizenzgebühren. Die bringen den Finnen weltweit 600 Millionen Dollar im Jahr ein.

Das enorme Wachstum des Mobilmarkts hat Patente für mobile Technologien zuletzt sehr wertvoll gemacht. So ziehen die großen Player der Branche denn auch verstärkt vor Gericht, um angebliche Patentverletzungen zu verfolgen. Selbst bankrotte Firmen haben noch daran verdient: Die 6000 Patente von Nortel wurden 2011 im Insolvenzverfahren für 4,5 Milliarden Dollar an ein von Apple geführtes Konsortium veräußert. Google gab 13 Milliarden Dollar für die 17.000 Patente der Mobilfunksparte von Motorola aus.

Nokias Patentschatz ist das Ergebnis harter Forschungsarbeit: Über 50 Milliarden Dollar investierten die Finnen in den vergangenen 20 Jahren. Der Ertrag: 30.000 Patente, davon sind 11.000 in den USA angemeldet. "Das sind qualitativ mit die besten Patente in der Branche", sagt Chetan Sharma, Analyst für mobile Technologien in Seattle.

Alexander Butler von IPVision, einer Beratungsfirma für geistiges Eigentum in Cambridge, Massachusetts, schätzt, dass Nokias Patentportfolio wesentlich mehr wert ist als das von Nortel. Zusammengenommen könnte es wahrscheinlich den derzeitigen Börsenwert von Nokia erlösen, rund 9,6 Milliarden Dollar.

Lange ist Nokia in mobilen Technologien führend gewesen. Aus seinen Entwicklungslaboren kam das erste Kamera-Handy, das erste Handy mit Buchstaben-Tastatur und das erste Gerät für Video-Telefonate (eine Galerie seiner Innovationen aus 30 Jahren präsentiert Nokia auf seiner Website).

Das wertvollste stammt aus dem Jahr 1992. Erteilt wurde es für eine "Methode zum Abbilden, Übersetzen und dynamischen Zusammenführen von Daten". Rund 300 Mal wurde es von anderen Patentschriften zitiert - ein deutliches Zeichen seiner Bedeutung für den Mobilfunkmarkt. Es ist im Prinzip die Grundlage dafür, wie Kalenderdaten von Handys und anderen Geräten synchronisiert werden. Nokia hat dieses Patent allerdings nicht selbst entwickelt, sondern durch eine Übernahme erworben.

Viele Nokia-Patente gelten Hardware. Genau das könnte ein Problem werden, da ihre Bedeutung abnehme, warnt Butler. "Zu Benutzeroberflächen und Software halten sie nicht so viele Patente - aber das sind heute die wertvollen Bereiche."

Nokia-Sprecher Mark Durrant verweist jedoch auf Patente zu technischen Standards. Die blieben nach wie vor wichtig. Der Konzern hat vor Jahren als erster ein GPS-fähiges Handy auf den Markt gebracht und hält zahlreiche Patente rund um die Satellitennavigation.

Die Frage ist nun, was Nokia daraus macht. In den vergangenen fünf Jahren haben die Finnen zwanzig Mal Patente verkauft. Zugleich sind sie immer härter gegen die Konkurrenz vorgegangen. "Auch wenn wir Klagen nicht präferieren, zeigt unsere Praxis, dass wir alles tun, um unser geistiges Eigentum vor unerlaubtem Zugriff zu schützen", sagt Durrant.

Erst im Mai reichte Nokia Klagen in den USA und in Deutschland gegen den chinesischen Hersteller HTC, den Blackberry-Hersteller RIM und die Firma Viewsonic ein. Die sollen insgesamt 45 Patente zu Antennen, Stromverbrauchs-Management, App Stores, Datenverschlüsselung, die Abfrage von E-Mail-Anhängen und diversen anderen Komponenten verletzt haben.

Ob durch Lizenzierungen, Verkäufe oder Klagen: Der Umsatz durch Patente könnte darüber entscheiden, ob Nokia Nortel in die Insolvenz folgen werde, sagt Alexander Poltorak, Geschäftsführer der Beratungsfirma General Patent in Suffern im US-Bundesstaat New York.

"Nokia wird sich den Fall Nortel sehr genau anschauen, und ich glaube, dass sie alles unternehmen werden, um ihre Patente zu Geld zu machen", sagt Poltorak. "Sie wissen um den Wert ihres Portfolios." Deshalb würden die Finnen sowohl ihre juristischen Bemühungen forcieren als auch weitere Patente veräußern. "Ich bin optimistisch, dass diese Strategie funktioniert, weil Nokia ziemlich clever mit seinem geistigen Eigentum ist", so Poltorak.

Das ändert aber nichts daran, dass Nokia seine Führungsrolle in der Industrie verloren hat. Letztlich hat für die Finnen nun die Schlussphase des großen Spiels begonnen, in dem sie so lange brilliert haben. "Nokia hat zwar einen Haufen Geld, aber eine düstere Zukunft vor sich", sagt Greg Aharonian, Herausgeber eines renommierten Patent-Newsletters. "Nokia wird untergehen, aber wenigstens wird es ein heiterer Untergang als Teil von Microsoft." (nbo)