Open Source im Globalen Süden – mehr als nur ein technisches Werkzeug
Welche umfassenden Auswirkungen die Open-Source-Entwicklung im Globalen Süden haben kann, klärt Thabang Mashologu von der Eclipse Foundation im Interview.
Wie steht es um die Entwicklung von Open-Source-Software (OSS) im Globalen Süden? Dazu befragten wir Thabang Mashologu, Vizepräsident für Community und Outreach bei der Eclipse Foundation. Er geht im Interview darauf ein, welche positiven gesellschaftlichen Auswirkungen die Open-Source-Entwicklung haben kann, welchen Stellenwert Entwicklerinnen und Entwickler ihr beimessen und wie Regierungen, Communitys und Organisationen weltweit – darunter die Eclipse Foundation mit Sitz in Brüssel – dazu beitragen können, Zugangshürden abzubauen.
Open Source als Instrument für soziale Veränderungen
Im letzten Jahr hat die Eclipse Foundation erstmals eine Umfrage zum "Status von Open Source im Globalen Süden" durchgeführt. Was sticht aus Ihrer Sicht daran besonders hervor? Gab es unerwartete Ergebnisse?
Eine der überraschendsten und erfreulichsten Entdeckungen war, wie wichtig und einflussreich Entwicklerinnen und Entwickler aus diesen Regionen im Open-Source-Ökosystem sind. Sie sind nicht nur Anwender von Open-Source-Software, sondern nehmen aktiv Einfluss auf deren Zukunft. Die Entwickler in diesen Regionen glauben fest an die gesellschaftliche Bedeutung von Open Source, sei es zur Verbesserung der Bildung, zur Förderung von Unternehmertum oder zur Geschlechtergleichstellung. Es wird deutlich, dass sie Open Source nicht nur als technisches Werkzeug, sondern als Instrument für weitreichende soziale Veränderungen begreifen.
Wir haben herausgefunden, dass drei Viertel der befragten Entwicklerinnen und Entwickler Open-Source-Software nutzen. Doch es geht noch weiter: Rund 37 Prozent leisten tatsächlich Beiträge zu Projekten, 28 Prozent sind Maintainer, und 22 Prozent erstellen sogar eigene, neue Projekte. Dieses Engagement zeigt, dass die Entwickler Open Source nicht nur als Karrieresprungbrett nutzen, sondern auch aktiv positive Veränderungen in ihren Gemeinschaften vorantreiben. Wir gehen davon aus, dass die Bedeutung von Open Source in diesen Regionen weiter steigen wird.
Die Eclipse Foundation beruft sich auf die Definition des Globalen Südens gemäß der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (United Nations Conference on Trade and Development). Er umfasst die Regionen Afrika, Lateinamerika und die Karibik, Asien (außer Israel, Japan und Südkorea) und Ozeanien (außer Australien und Neuseeland).
Zugang zur Open-Source-Entwicklung: Herausforderungen und Lösungsansätze
Was sind Ihrer Meinung nach die größten Hürden für Entwickler im Globalen Süden, die sie davon abhalten könnten, zu Open Source beizutragen?
Entwickler im Globalen Süden sehen sich mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert. Eine der größten ist der Zugang zu zuverlässiger Infrastruktur, wie stabilem Internet und moderner Hardware, die in anderen Teilen der Welt oft selbstverständlich sind. Auch mangelt es häufig an lokalen Ökosystemen, die Open-Source-Entwicklung unterstützen. Viele Entwickler betonen die Notwendigkeit stärkerer regionaler Gemeinschaften und einer besseren Einbindung in internationale Projekte. Hinzu kommen finanzielle Hürden und der Mangel an Ressourcen, die eine kontinuierliche Mitarbeit erschweren.
Wie kann die Eclipse Foundation dazu beitragen, einige dieser Hürden zu überwinden? Gibt es bereits konkrete Schritte in diese Richtung oder Pläne für die Zukunft?
Wir sehen diese Umfrage als den Beginn unserer Bemühungen, Open-Source-Communitys weltweit verstärkt zu unterstützen. Unsere Ergebnisse haben wir auf der "OSPOs for Good"-Konferenz vorgestellt, die Anfang Juli 2024 im UN-Hauptquartier in New York stattfand und über 500 Community-Leader, politische Entscheidungsträger und relevante Interessengruppen versammelte, um zu diskutieren, wie Open Source nachhaltige Entwicklung fördern kann. Außerdem haben wir am 7. Oktober 2024 ein Webinar mit führenden Vertretern der Open-Source-Community, der Digital Public Goods Alliance und des United Nations Development Programme (UNDP) organisiert, das Herausforderungen und Lösungsansätze im Globalen Süden thematisierte.
Darüber hinaus haben wir das Thema auf unserer Konferenz Open Community Experience (OCX) im Oktober 2024 in Mainz vertieft. Die bekannte Open-Source-Programmmanagerin Ruth Ikegah hielt eine Keynote, in der sie Wege aufzeigte, wie der Globale Norden afrikanische Softwareentwickler durch Allianzen, Mentoring und finanzielle Unterstützung fördern kann. Wir hatten auch eine Session zu digitalen öffentlichen Gütern (Digital Public Goods, DPGs), in der diskutiert wurde, wie Projekte unter unserer Leitung sozial und wirtschaftlich positiv genutzt werden können. Zusätzlich veranstalteten wir ein Treffen zum Thema Diversity, bei dem wir von der Community erfuhren, wie wir Diversität und Inklusion in unserem Ökosystem weiter fördern können.
Auf Basis dieser Aktivitäten möchten wir die Fortschritte der Entwicklerinnen und Entwickler im Globalen Süden weiter verfolgen und deren Geschichten und Herausforderungen mit der breiteren Community teilen. Zudem möchten wir stärker mit politischen Entscheidungsträgern und Organisationen zusammenarbeiten, um diese Erkenntnisse in umsetzbare Strategien zu überführen, die ein nachhaltiges Wachstum in diesen Regionen unterstützen. Letztendlich hoffen wir, dass unsere Forschung eine breitere Diskussion über die Zukunft von Open Source und die Rolle anstößt, die Entwickler im Globalen Süden dabei spielen werden.
Welche Auswirkungen hat es, dass die in Europa ansässige Eclipse Foundation den digitalen Wandel im Globalen Süden durch Open Source unterstützt, im Vergleich zu den Einflussmöglichkeiten von Großmächten wie den USA und China?
Es wäre unrealistisch anzunehmen, dass die Eclipse Foundation dies allein bewältigen könnte. Angesichts der Größe und Vielfalt der Communitys, aus denen der Globale Süden besteht, braucht es die Zusammenarbeit vieler Organisationen, Regierungen, Communitys und Unternehmen aus Industriestaaten weltweit, um das Wachstum dieses Sektors zu fördern. Dazu gehören eine verbesserte Infrastruktur, Mentoring, Schulungen, Finanzierung und berufliche Chancen. Die Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Förderern, NGOs, Open-Source-Gruppen, Stiftungen sowie lokalen und internationalen Unternehmern ist unerlässlich, um die notwendige Unterstützung zu leisten und das volle Potenzial von Open Source in diesen Regionen zu entfalten.
Im Detail bedeutet das, dass zunächst in Infrastruktur investiert werden muss, die es Entwicklerinnen und Entwicklern ermöglicht, effektiv zu arbeiten. Das umfasst unter anderem besseren Internetzugang sowie bezahlbare Tools und Ressourcen, wie die Eclipse IDE oder die Git-Repositorys der Eclipse Foundation. Weitere Möglichkeiten sind Schulungs- und Weiterbildungsressourcen, die die Fähigkeiten von Contributoren und Committern verbessern. Zweitens ist Mentoring von großer Bedeutung. Erfahrene Entwickler und Organisationen können hier einen wertvollen Beitrag leisten, indem sie Orientierung geben und dabei helfen, die Kluft zwischen lokalen und internationalen Communitys zu überbrücken. Schließlich sollten wir darauf hinarbeiten, die Beiträge von Entwicklern aus dem Globalen Süden sichtbarer zu machen, etwa durch die Hervorhebung ihrer Arbeit in globalen Foren oder durch Plattformen, die ihre Stimmen verstärken. So hat die Eclipse Foundation einen Workshop in New York mit dem Titel "Government Spotlight: Policy Making and Strategy for Building Open Source Ecosystems" mit mehr als 100 politischen Entscheidungsträgern aus der ganzen Welt mitveranstaltet. Auch arbeiten wir eng mit den Vereinten Nationen und ihrem Programm "OSPOs for Good" zusammen.
Wirtschaftswachstum, Innovation und soziale Effekte
Welchen allgemeinen positiven Einfluss kann eine aktive Open-Source-Community auf Länder des Globalen Südens haben?
Open-Source-Software kann eine entscheidende Rolle für das Wirtschaftswachstum und die soziale Entwicklung in Ländern des Globalen Südens spielen. So glauben etwa 59 Prozent der Entwickler, dass OSS in den nächsten zehn Jahren eine bedeutende Rolle für das wirtschaftliche Wachstum ihrer Länder haben wird. Neben wirtschaftlichen Faktoren fördert OSS auch bessere Bildungschancen, den Aufbau eines qualifizierten Arbeitskräftepotenzials an Softwareentwicklern sowie mehr Unternehmertum und Innovation. Zudem berichten reife Open-Source-Communitys von positiven sozialen Effekten, darunter die Förderung des Wirtschaftswachstums, der Anstoß zu mehr Innovation und die Möglichkeit für Frauen, neue Kompetenzen zu entwickeln und sich auf neue Karrierewege zu begeben.
Vielen Dank für das Interview!
(mai)