Opioide: Bei akuten Rücken- und Nackenschmerzen nicht besser als Placebo​

Die Schmerzmittel mit hohem Suchtpotential sollen nur als letzter Ausweg verschrieben werden. In Australien erhalten sie zwei Drittel der Patienten als Erstes.​

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(Bild: Aleksandar Karanov/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
Inhaltsverzeichnis

Akute Rücken- und Nackenschmerzen sind häufige und sehr unangenehme Gesundheitsprobleme. Weltweit sind mit 577 Millionen Menschen sieben Prozent der Weltbevölkerung betroffen. "Das sind keine leichten Schmerzen. Rückenschmerzen können schlimm genug sein, dass sie das Leben ziemlich miserabel machen", sagt Chris Maher von der University of Sydney. Vom Arbeiten bis zu Freizeitaktivitäten falle alles schwerer. Maher und Kollegen sind der Frage nachgegangen, wie gut opioide Schmerzmittel vom Typ Oxycodon Linderung verschaffen. Das Ergebnis der australischen Studie veröffentlichten sie im Fachjournal Lancet: Oxycodon wirkt gegen akute Rücken- und Nackenschmerzen nicht besser als ein Placebo, ist also ineffektiv.

Auslöser für die Studie war die Statistik, dass bis zu zwei Drittel der australischen Patienten mit akuten Rücken- und Nackenschmerzen verschreibungspflichtige Opioide gleich als Erstes erhalten – obwohl das laut medizinischen Leitlinien erst dann geschehen soll, wenn weder Wärme noch ein einfaches Schmerzmittel mit entzündungshemmender Wirkung geholfen haben. Die Einschränkung hat gewichtige Gründe: Oxycodon hat ein hohes Suchtpotenzial, das Risiko dafür steigt laut Maher schon nach drei Tagen der Einnahme. Zudem verträgt es bis zu einem Drittel der Behandelten nicht, weil es Nebenwirkungen wie Übelkeit, Verstopfung, Schwindel und Verwirrung verursacht. Vor allem aber ist die Gefahr einer unbeabsichtigten tödlichen Überdosis hoch.

"In Australien gibt es pro Tag zwei bis drei Todesfälle durch verschriebene Opioide", sagt Maher. "Leider hört man darüber wenig, weil all diese Menschen meist Unbekannte sind." Es sei traurig, dass nur die berühmten Fälle von Musikern wie Prince und Tom Petty, oder Schauspielern wie Heath Ledger kurzzeitig ein Schlaglicht auf das Problem werfen. "Deshalb ist diese Studie besonders wichtig, weil wir zeigen konnten, dass dieses häufig eingesetzte Opioid für diesen medizinischen Kontext ineffektiv ist", so Maher.

Die Forschenden rekrutierten 347 Probanden mit akuten Rücken- oder Nackenschmerzen zwischen 2016 und 2021. 174 Probanden wurden nach einem Zufallsprinzip in die Opioid-Gruppe und 173 in die Kontrollgruppe eingeteilt. Die Studie war damit randomisiert und gleich dreifach verblindet: weder Ärzte, noch Probanden und der unabhängige Statistiker, der die Randomisierungsmethode anwendete, wusste, welche Probanden in welcher Gruppe sind.

Um die Verblindung zusätzlich abzusichern, enthielten die echten Oxycodon-Tabletten zusätzlich auch Naloxon, um Verstopfung zu verhindern. "Diese Nebenwirkung wäre für die Patienten nicht nur unangenehm, sondern würde sie auch für ihre Gruppe entblinden", sagt Maher.

Vor der Behandlung lag die gemittelte Schmerzschwere der Opioid-Gruppe – auf einer von eins bis zehn laufenden Schmerzskala (Brief Pain Inventory) – bei 5,7. Für die Placebo-Gruppe betrug der Durchschnittswert 5,6. Die Probanden sollten täglich zwei Tabletten einnehmen, bis sie drei Tage am Stück weitgehend schmerzfrei waren (null bis eins auf der Schmerzskala) – maximal aber sechs Wochen lang. Beiden Gruppen wurde zudem empfohlen, möglichst aktiv zu sein und keine Bettruhe zu halten.

Nach sechs Wochen Behandlung waren die Schmerzwerte auf 2,78 in der Opioid-Gruppe und 2,25 in der Kontrollgruppe gesunken. Statistisch gesehen gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Gruppen. "Es ist ziemlich klar, dass das Opioid für diese Patienten komplett ineffektiv ist", sagt Maher.

Bei einer letzten Kontrolle ein Jahr nach Behandlungsbeginn ergab sich bei der Kontrollgruppe eine höhere Lebensqualität und niedrigere Schmerzwerte. Zwar war ein Viertel der Probanden nicht bis zum Ende der Studie dabei. Sie verteilten sich aber gleichmäßig auf beide Gruppen, sodass die Ergebnisse immer noch stimmten, sagte Mahers Kollegin Christine Lin dem Magazin New Scientist.

Eine weitere wichtige Erkenntnis der Studie bestand darin, dass ein Jahr nach Behandlungsbeginn jeder fünfte Proband der finalen Opioid-Gruppe ein deutlich erhöhtes Suchtrisiko hatte. In der finalen Kontrollgruppe betraf das nur jeden Zehnten. Bei der Ermittlung des Risikos werden die Probanden nicht nur gefragt, ob sie das Schmerzmittel anders als verschrieben eingenommen haben (Missbrauch), sondern auch, ob sie kognitive Einschränkungen und Stimmungsschwankungen bemerkt haben.

Insgesamt sei es Zeit, den Einsatz von Opioid-Schmerzmittel als letzte Therapiemöglichkeit für akute Rücken- und Nackenschmerzen zu hinterfragen und die medizinischen Leitlinien entsprechend anzupassen, schreiben Forscher von der University of Washington in einem Kommentar derselben Lancet-Ausgabe.

(vsz)