Orbitale Kundschafter des Klimawandels

Dank der satellitengestützten Radar-Altimetrie verfügen Ozeanforscher inzwischen über ein weltumspannendes Beobachtungssystem. Und die Daten belegen: Ozeane und Polkappen reagieren bereits auf den Klimawandel.

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Von
  • Niels Boeing

Fast 50 Jahre nach Sputnik verbinden die meisten Zeitgenossen mit Satelliten vor allem profane Aufgaben wie die Übertragung von Fußballspielen, TV-Seifenopern oder Telefonaten im globalen Dorf. Doch nicht alle funken belangloses Zeug auf die Erde herunter. Eine Hand voll liefert Daten aus dem Orbit, die es in sich haben: Sie messen die Veränderung des Meerespiegels und der Eiskappen an den Polen – und dokumentieren damit die ersten Folgen des sich abzeichnenden Klimawandels.

Möglich macht dies die so genannte Radarhöhenmessung (Radar-Altimetrie), die 1991 mit dem Start des europäischen Satelliten ERS-1 erstmals weltraumgestützt erfolgte. 1800 Radarpulse schicken die Satelliten – hinzugekommen sind ERS-2, Envisat, Jason und Topex/Poseidon – mittlerweile pro Sekunde auf die Ozeane und Polkappen herab. Aus der Laufzeit des reflektierten Signals lässt sich der Abstand zwischen Satellitposition und Wasser- oder Eisoberfläche inzwischen bis auf einen Millimeter genau bestimmen. Atmosphärische Störungen der Signale lassen sich dabei herausrechnen.

Vor ERS-1 mussten Radarhöhenmessungen von Flugzeugen aus vorgenommen werden – eine teure und aufwändige Lösung. "Jetzt werden die Daten permanent geliefert, und wir Wissenschaftler können in unseren Büros sitzen, während sie reinkommen", sagt Seymour Laxon, Altimetrie-Experte vom University College London. Alle zehn oder 35 Tage, je nach Satellit, wird ein Ort erneut vermessen. Dabei reichen die Radaraugen fast bis zum 82. Breitengrad hinauf.

"Die Radar-Altimetrie ist eine langsame Revolution gewesen, es hat zehn Jahre gedauert, bis die Wissenschaftler ihre Bedeutung begriffen haben: Wir haben damit ein wahrhaft globales Beobachtungssystem installiert", sagt der Ozeanograph Carl Wunsch vom Massachusetts Institute of Technology. Und die Ergebnisse dieses Beobachtungssystems seit Beginn der systematischen Auswertung 1993 zeigen: Ozeane und Eismassen verändern sich schneller als noch vor 50 Jahren.

So steigt der Meeresspiegel im globalen Durchschnitt inzwischen um 3 Millimeter pro Jahr, während es zuvor lange Zeit nur 1,8 Millimeter gewesen waren. "Diese Zunahme in den 1990ern im Vergleich zu den Jahrzehnten davor lässt sich im Wesentlichen durch die jüngst gestiegene Wärmeaufnahme der Ozeane erklären", erläutert Steve Nerem von der Universität Colorado. "Verglichen mit den Radar-Altimetrie-Beobachtungen haben die Modelle des UNO-Klimabeirats IPCC den Anstieg des Meeresspiegels im 20. Jahrhundert unterschätzt." Ein Millimeter geht dabei auf abschmelzende Gletscher zurück.

Wie ernst dieser Abschmelztrend ist, zeigen zwei aktuelle Studien der NASA, die sich auf die Daten der Satelliten-Radar-Altimetrie stützen. Jay Zwally vom Goddard Flight Center ermittelte, dass gegenwärtig 20 Milliarden Tonnen Wasser aus den Eiskappen von Arktis und Antarktis jährlich in die Ozeane strömen. Und das, obwohl diese im Inneren aufgrund stärkeren Schneefalls wachsen – eine Folge der steigenden Luftfeuchtigkeit infolge des Treibhauseffektes. Das Problem ist: Die Eisränder der Polkappen tauen gleichzeitig aufgrund steigender Meerestemperaturen ab und werden immer dünner. Eine Studie von Eric Rignot vom Jet Propulsion Laboratory zeigt, dass sich die Menge wegbrechenden Eises in Grönland in den letzten fünf Jahren verdoppelt hat.

Zudem verlängern sich die polaren Sommer, in denen sich das Meereis vor allem in der Arktis immer weiter zurückzieht. "Jede Extratag im Sommer bedeutet, dass im Winter vier Zentimeter weniger Eisschicht zurückkommen", sagt Seymour Laxon, der die Eisbedeckung auf dem Arktischen Ozean seit 1993 ausgewertet hat. Die ist wichtig für das Gesamtklima auf der Erde, weil sie für den Großteil der Albedo, also der Menge der in den Weltraum reflektierten Sonneneinstrahlung, verantwortlich sei. Ein eisfreier Ozean nimmt hingegen mehr Strahlung auf und erwärmt sich weiter.

"Der Arktische Ozean ist eine der besten Gegenden, um den Klimawandel zu studieren, weil er so empfindlich reagiert", sagt Ole Andersen vom Dänischen Weltraumzentrum. Seymour Laxon räumt allerdings ein, dass der Arktische Ozean bislang "eine Art Black Box" sei, die die Wissenschaft noch nicht richtig verstehe.

Die Hoffnungen der Ozeanforscher richten sich jetzt auf den Satelliten Cryosat 2 der europäischen Weltraumagentur ESA. Nach dem Absturz von Cryosat 1 kurz nach dem Start hat die ESA Ende Februar grünes Licht für den zweiten Versuch gegeben, der 2009 glücken soll. Der würde dann erstmals die Polargebiete bis hinauf zum 88. Breitengrad vermessen und außerdem die räumliche Auflösung der Messpunkte von gegenwärtig zehn auf einen Kilometer verringern. "Damit würden die Polargebiete dann fast vollständig erfasst", sagt Laxon. (nbo)