Peer gewinnt

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Der P2P-Finanzsektor sieht sich aber gewappnet. Zopa, die 2005 gegründete älteste britische Plattform, habe anfangs bewusst nur an wenige, gut ausgewählte Personen Darlehen vermittelt, sagt Unternehmenssprecher Mat Gazeley. "Dadurch konnten wir nach zwei Jahren zeigen, dass das Modell funktioniert. Dank eines konservativen Umgangs mit Kreditrisiken gab es nur wenige Ausfälle." Auch jetzt wird bei Zopa maximal ein Viertel der Kreditbewerber zur Vermittlung zugelassen. Doch Luke O'Mahony von RateSetter macht sich nichts vor: "Zu glauben, man wäre als Geschäft zu klein und uninteressant für Betrüger, ist naiv." Sowohl Zopa als auch RateSetter hatten sich deshalb schon vor Gründung des Branchenverbands P2PFA ehrgeizige Sicherheitsheitsrichtlinien gegeben. RateSetter hat zudem als Head of Compliance mit Simon Pearse einen langjährigen Mitarbeiter der britischen Finanzaufsicht gewonnen.

Die alternativen Finanzdienstleister wären auch schlecht beraten, die laxen Kreditgeschäfte der traditionellen Banken zu wiederholen. Schließlich hat ihnen deren Crash 2008 erst zum Erfolg verholfen. Wenn es also für Geld funktioniert, warum dann nicht auch für Energie? Batteriespeicher im Keller und Solarmodule auf dem Dach legen den Grundstein, erste Anbieter stellen bereits die Energieversorgung auf den Kopf.

Eine Zukunft ohne Großkraftwerke

Über viele Jahrzehnte sah die Architektur des Stromnetzes so aus: Einige wenige Energieerzeuger speisen aus großen Kraftwerken ein berechenbares Angebot von Elektrizität in ein Netz ein. Doch nun mischen immer mehr Kleinsterzeuger in der Stromproduktion mit – und das in einem schwer berechenbaren, weil wetterabhängigen Ausmaß. Was für die Energiewirtschaft zum Problem wird, sehen andere als Aufbruch in ein neues Zeitalter. "Wir kommen weg von der Versorgerwirtschaft, in der Strom einfach aus der Steckdose kommt", sagt Justus Schütze, Mitbegründer von buzzn.

Die Firma aus München will das P2P-Prinzip in der Energieversorgung etablieren, indem sie einen Energieaustausch zwischen "Stromnehmern" und "Stromgebern" organisiert. Stromgeber sind dabei alle, die etwa auf dem Dach ihres Hauses eine Solaranlage betreiben, den Strom aber nicht vollständig verbrauchen. Den Überschuss vermittelt buzzn an Verbraucher, die grünen Strom haben wollen. "Es wird nur Strom aus dem Buzzn-Verbund weitergegeben. Wir wollen keine Wasserkraft aus Norwegen dazukaufen", sagt Schütze. Deshalb wird für das Lastprofil eines Tages immer ein leichter Überschuss als Puffer einkalkuliert. Physikalisch bleibe an den Stromflüssen durch das bestehende Netz zwar alles gleich, betont Schütze.

"Aber die Geldflüsse ändern sich." Nämlich direkt von Stromgebern zu Stromnehmern. Denen zahlt buzzn einen Eurocent mehr Einspeisevergütung, als im Erneuerbare-Energien-Gesetz vorgesehen ist. Der eine Cent addiert sich zwar nur zu bescheidenen Erträgen. Er ist indes nicht der einzige Anreiz, sich am Buzzn-Verbund zu beteiligen. Es geht um ein Modell für eine dezentrale Energieversorgung, in der die Bürger selbst zu Produzenten werden.

Für manche Gesellschafter, die kein eigenes Dach mit einer Solaranlage haben, sei es ein Ansatz, mit dem sie als Stromnehmer "gefühlt" den Solarstrom selbst erzeugen und verbrauchen, sagt Wolfgang Bauer von "Solarpark München". Der Solarpark in Hadern ist bereits Teil des Buzzn-Modells, und "wir planen derzeit, mit weiteren Anlagen zu buzzn umzusteigen".

Buzzn testet zudem eine App, mit der sie den Abgleich zwischen Stromangebot und -bedarf immer näher an eine "Echtzeit-Bilanzierung" heranführen will. Über die App sollen sich "Stromgruppen" bilden, die genau wissen, wann sie wie viel Strom verbrauchen können. Bei Bedarf können sie zudem Überschüsse an andere Gruppen abgeben. "Wir hoffen, dass es eine Art Volkssport wird, die eigene Stromgruppe möglichst autark zu machen", sagt Schütze.

Die physikalische Grundstruktur des Netzes ist mit diesem Ansatz indes noch nicht angetastet. Doch auch hier brüten kluge Köpfe weltweit unter dem Stichwort "paketbasierte Stromübertragung" über einer neuen Lösung. Die Mainzer GIP AG beispielsweise, ursprünglich aus der IP-Netztechnik kommend, will das Stromnetz nach dem Vorbild des Internets umbauen.

Anstatt eines riesigen Netzes bestünde ein paketbasiertes "Quantum Grid" aus vielen kleineren Teilnetzen. In ihm müsste die Frequenz des Wechselstroms nicht mehr flächendeckend auf 50 Hertz gehalten werden. Stattdessen ließe sich auch Gleichstrom, etwa aus Photovoltaik-Anlagen, verteilen. Wird in einem Teilnetz mehr Energie verbraucht als produziert, speisen andere Teilnetze ihren Überschuss ein – möglichst selbstorganisiert.

Neue Leitungen bräuchte man dafür nicht, aber eine intelligente Strom-Infrastruktur: Denn innerhalb der Netze und zwischen ihnen sollen "Digital Grid Router" gezielt den Strom weiterleiten – und zwar nach dem Vorbild der Datenübertragung in Paketform: Ein solches "Energiepaket" besteht aus drei Teilen: Der Kopf enthält die Start- und Zieladresse, ein Leistungsprofil und Kommandos, die Leitungen zwischen den Netzen freischalten. Die "Payload" ist nutzbarer Strom, der Lampen oder Haushaltsgeräte antreibt, gefolgt von einem dritten Datenpaket, das die Leitungen wieder abschaltet. Kleine Stromspeicher, wie der jetzt von Tesla vorgestellte Powerwall, puffern überschüssige Energie und stabilisieren das Teilnetz.

Dass so etwas im Prinzip geht, haben die japanischen Ingenieure Hiroumi Saitoh und Junichi Toyoda bereits 1996 gezeigt, damals noch für auf 50 Hertz synchronisierte Netze. Forscher der Universität Kyoto um Takashi Hikihara und Rikiya Abe von der Universität Tokio haben in den vergangenen Jahren das Konzept des "Paketstroms" weiterentwickelt. Nun könne man einen praktischen Einsatz der Technik erwägen, schreibt die Gruppe in einem Paper. Noch ist die dazu erforderliche Leistungselektronik aber nicht tauglich für den Massenmarkt.

Als die GIP AG sich ihre Idee eines Digital Grid Routers 2009 patentieren ließ, schien ein digitales Stromnetzes noch eine kühne Vision zu sein. "Inzwischen ist die Energiebranche offener für solche Ansätze", sagt Forschungschef Bernd Reifenhäuser. Die Firma arbeitet nun mit Antonello Monti an der RWTH Aachen (E.on ERC) zusammen, um das Energie-Internet voranzutreiben. "Bis die Technologie breit einsetzbar ist, sind aber noch zehn Jahre Entwicklungsarbeit nötig", sagt Reifenhäuser.