Platt machen allein reicht nicht

Chinesische Firmen sind groß darin, deutsches Know-how illegal abzukupfern. Was tun, wenn Strafverfolgung nicht weiterhilft?

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Von
  • Bernd Müller
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Chinesische Firmen sind groß darin, deutsches Know-how illegal abzukupfern. Was tun, wenn Strafverfolgung nicht weiterhilft?

Samstagnachmittag vor dem Sommerpalast in Peking: Ältere Herrschaften malen mit übergroßen Pinseln kunstvolle Schriftzeichen auf den Asphalt. Ab und zu tönt ein bewunderndes "Ah". Manche der Zeichen sind Hunderte Jahre alt, und wer sie am besten kopiert, ist der König der Kalligrafen. Alle hier sind fest davon überzeugt, eine gute Tat zu tun: "Damit ehren wir die alten Meister." Und die besten Nachahmer dürfen sich selbst Meister nennen.

Dienstagmorgen auf der CeBit 2010: Zwei Ermittlungsbeamte des Amtsgerichts Hannover, mit Laptop und Drucker bewaffnet, filzen Messestände, vorwiegend aus China. Dort sollen Produkte ausgestellt sein, die illegal Know-how der Konkurrenz nutzen. Hier geht es nicht um die Nachahmung schöner Schrift, sondern meistens um MP3-Player und TV-Empfänger, die patentgeschützte Algorithmen zum Abspielen der komprimierten Daten verwenden. 39 Anzeigen hat es von den Rechteinhabern vor der Messe gegeben, einige der verdächtigen Aussteller haben aber schon vorher kalte Füße bekommen und die Exponate zurückgezogen. Dennoch müssen die Richter mehrere Plagiate beschlagnahmen und im Schnellverfahren Bußgelder und Kautionen verhängen.

"Man darf nicht nur bellen, manchmal muss man auch beißen", findet Uwe Görlich, Oberstaatsanwalt und Leiter der Abteilung Schutzrechtsverletzungen bei der Staatsanwaltschaft Hannover. Die Abschreckungstaktik der letzten Jahre, in denen die Polizei kistenweise gefälschte Produkte von CeBit und Industriemesse abtransportierte, scheint zu wirken. "Die Zahl der Verstöße ist in den letzten Jahren drastisch zurückgegangen", so Görlich.

Ob es in Hannover jemals eine CeBit oder Industriemesse ohne einen Sondereinsatz der Staatsanwaltschaft geben wird, darf bezweifelt werden – zu tief ist das Streben nach Perfektion durch Nachahmung gerade in der chinesischen Kultur verwurzelt, zu gering dagegen der Respekt vor dem Recht auf geistiges Eigentum. Hinzu kommt der Mythos von der eigenen Rückständigkeit und der Überlegenheit des Westens, die Ideenklau gewissermaßen als einen Akt der Notwehr legitimiert. Premierminister Wen Jiabao stufte China kürzlich auf dem nationalen Volkskongress immer noch als Entwicklungsland ein. Dabei soll sich das Reich der Mitte schon bis 2020 von der verlängerten Werkbank des Westens zu einer Innovationsschmiede entwickeln, technologisch auf Augenhöhe mit dem Okzident.

Beim Durchmarsch vom Dritte-Welt-Land zum Industriegiganten Nummer eins waren bisher offenbar alle Mittel recht, auch die illegalen: systematisches Plündern von Patentdatenbanken, nächtliche Einbrüche in chinesischen Fabriken ausländischer Firmen, kamerabewaffnete Horden, die Messestände durchkämmen und alles ablichten, was neu und interessant aussieht – wie auf der Industriemesse Hannover oder auf der Internationalen Automobilausstellung zu beobachten. Einige Monate später gibt es dann Ersatzteile oder ganze Maschinen als Eins-zu-eins-Kopien zum Spottpreis im Internet zu kaufen, zum Beispiel ein Ventil, das Oberstaatsanwalt Görlich auf der letzten Industriemesse beschlagnahmt hat.

Besonders Dreiste kleben gleich noch das Originallogo drauf. Eher zum Schmunzeln sind unbeholfene Versuche, das Design ganzer Autos zu kopieren, wie etwa bei dem zweisitzigen Kleinwagen aus China, der wie ein Zwilling des Smart aussah, 2006 vorgestellt wurde und wieder in der Versenkung verschwand. "Wer stoppt die Chinesen?", fragte das Magazin "Auto Bild" damals besorgt.

Vorerst wohl niemand, denn die Schäden durch Nachahmerprodukte nehmen zu: Laut dem Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) gingen den Maschinenbauern hierzulande 2007 wegen Plagiaten sieben Milliarden Euro Umsatz durch die Lappen, die Branche rechnet mit stark steigenden Zahlen.

Über 70 Prozent der Firmen haben die Fälscher in China ausgemacht. Global gesehen sind die Zahlen astronomisch: Auf 250 Milliarden Dollar jährlich schätzt die OECD den weltweiten Schaden durch Produktpiraterie. Betroffen waren bisher vor allem Luxusmarken. Doch die Fünf-Euro-Rolex vom chinesischen Basar lässt das Abendland nicht untergehen, viel gefährlicher sind die Attacken auf Hightech aus dem Westen, weil sie das Fundament unseres Wohlstands bedrohen. Und so entwickelt die deutsche Industrie ausgeklügelte Technologien zur Kennzeichnung ihrer Produkte, etwa Maschinen, die nur Ersatzteile mit entsprechend kodierten Funketiketten akzeptieren.