Printer statt Paket

Ersatzteile verschicken ist out, Unternehmen versenden immer häufiger Daten – und lassen sie beim Kunden auf 3D-Druckern fertigen.

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Von
  • Bernd Müller

Der Porsche 959 war bei seiner Vorstellung 1986 das schnellste Auto der Welt mit Serienzulassung – und ein echter Exot. Nur 292 Exemplare des 420.000 Mark teuren Flitzers verließen das Werk. Die wenigen Oldtimer werden gehegt und gepflegt, doch mangels Ersatzteilversorgung ist das ein nervenaufreibendes und teures Hobby.

Frohe Kunde kommt nun aus der Klassik-Abteilung des Autobauers: Künftig sollen Ersatzteile mittels 3D-Druck aus Metallpulver hergestellt werden. Ein Kupplungsausrückhebel für den 959er ist das erste Ersatzteil im Programm, weitere sollen folgen. Bis alle 52.000 bei Porsche Classic gelisteten Ersatzteile gedruckt werden, wird es zwar noch dauern, realistisch ist das aber schon.

Von der Spezialschraube bis eines Tages zum gesamten Motorblock hat der Metall-3D-Druck das Potenzial, herkömmliche Fertigungsverfahren zu verdrängen. 3D-Druck wird diese nicht ganz ablösen, er eignet sich vor allem für geringe Stückzahlen bis herunter zur Einzelanfertigung. Die additive Fertigung erlaubt zudem komplexe Geometrien, die mit subtraktiven Verfahren wie Bohren, Fräsen oder Schleifen unmöglich sind.

Im Schnitt verdoppelt sich die Größe der druckbaren Teile jedes Jahr, gleichzeitig halbiert sich die Druckzeit. Im größten Modell von SLM-Solutions, einem Hersteller von Maschinen zum Metalldruck in Lübeck, schweißen vier Laser Metallpulver zu dünnen Schichten auf, die Bauteile können bis 80 Zentimeter in die Höhe wachsen. In solchen Anlagen, die ganze Fabrikhallen füllen, geschieht vom Pulvermanagement bis zum Abtransport der fertigen Teile alles vollautomatisch.

Derzeit wachse das Geschäft jedes Jahr um 50 Prozent, sagt Ralf Frohwerk, bei SLM-Solutions für die globale Geschäftsentwicklung zuständig. Das sei der Tatsache zu verdanken, dass es mittlerweile jede Metalllegierung als Pulver für den 3D-Druck gebe. So ließen sich Ersatzteile für Oldtimer drucken, das defekte Teil werde dazu vorher mit einem 3D-Scanner erfasst.

Auch moderne Autos nutzen den 3D-Metalldruck. So braucht der 1500 PS starke Bugatti Chiron am Motorträger wegen der starken Hitze einen Kühlkanal, der sich mit herkömmlichen Druckguss-Verfahren nicht herstellen lässt – aber mit 3D-Druck. „Andernfalls hätte das Fahrzeug nicht in Serie gehen können“, so Frohwerk. Für den Maschinenbauingenieur ist das aber erst der Anfang: „In Zukunft werden wir ganze Autos drucken.“

Der IT-Branchenverband Bitkom sieht im 3D-Druck eine Schlüsseltechnologie für den Digitalstandort Deutschland. Um die Führungsrolle zu festigen, fordert der Verband Anstrengungen bei Themen wie Produkthaftung, Urheberrecht und gewerblichem Rechtsschutz, Umwelt und Emissionen sowie internationalem Handelsrecht. Außerdem müsse das Know-how des 3D-Drucks in alle relevanten Ausbildungsberufe integriert werden. 2020 soll der weltweite Umsatz mit additiven Fertigungsverfahren auf über 13 Milliarden US-Dollar wachsen.

Mit der wachsenden Bedeutung schießen auch die Geschäftsmodelle aus dem Boden. Stand zu Anfang der Druck von Prototypen – Rapid Prototyping genannt – im Mittelpunkt, etabliert sich der Druck von Ersatzteilen zu einem wichtigen Dienstleistungsgeschäft. Interessant ist das für Teile, die vor Jahrzehnten konstruiert wurden. So hat Siemens für eine Wasserpumpe im Kernkraftwerk Krsko in Slovenien einen defekten Impeller nachgedruckt. Solche Teile sind Einzelstücke und werden nicht auf Vorrat gefertigt, der 3D-Druck erlöst das Unternehmen aus einer teuren Zwickmühle. Um an die Konstruktionsdaten zu kommen, durchleuchteten die Siemens-Experten das Teil in einem 3D-Röntgenscanner. Wie ein Computertomograph in der Klinik erzeugt er schichtweise Aufnahmen des „Patienten“ und setzt sie zu einem dreidimensionalen Bild zusammen, das den Drucker steuert.

Auch die Deutsche Bahn hat den 3D-Druck für sich entdeckt. 2015 hat der Konzern als erstes Ersatzteil einen Kleiderhaken gedruckt, der in Zügen gerne mal abbricht. Bis heute seien mehr als 2000 Teile gefertigt worden, darunter Kopfstützen oder eine so genannte Sandtreppe, die Sand aufs Gleis rieselt, damit die Räder des Zugs beim Bremsen mehr Haftung haben. „3D-Drucken ist schneller, flexibler und günstiger als herkömmliche Herstellungsverfahren und die Fahrzeuge sind innerhalb kürzester Zeit wieder im Einsatz“, sagt Uwe Fresenborg, Vorsitzender der Geschäftsführung der Fahrzeuginstandhaltung und Pate für den 3D-Druck bei der Deutschen Bahn.

„Wenn Du es träumen kannst, kannst Du es auch drucken.“ Unter diesem mitreißenden Slogan hat der 3D-Druck auch bei Siemens Einzug gehalten. Ermutigt durch den Erfolg mit dem Impeller für das Kernkraftwerk, präsentierte das Unternehmen vor zwei Jahren in seinem Gasturbinenwerk im schwedischen Finspang eine neue Werkhalle vollgestopft mit 3D-Druckern, die Gasbrenner aufbereiten. Sind deren Köpfe nach 30.000 Betriebsstunden verschlissen, werden die oberen zwei Zentimeter abgesägt und die Spitze im Metalldrucker wiederhergestellt. Dabei werden die alten Brenner gleich mit dem neuesten Design bedruckt.

„Das bringt ein Plus beim Wirkungsgrad von bis zu einem Prozent“, sagt Vladimir Navrotsky, Direktor für Technologie der Servicesparte für verteilte Energieerzeugung in Finspang. Auch neue Werkstoffe kommen dabei zum Einsatz, denn heute können die Pulverhersteller nahezu jede Materialkomposition liefern, selbst hochbelastbare nickelbasierte Stähle, die an den Brennerspitzen immerhin 1500 Grad Celsius aushalten müssen.

Zusammen mit der additiven Fertigung erlaube das völlig neue Geschäftsmodelle im Service, so Andreas Graichen, Leiter des Expertenteams für additive Fertigung bei Siemens in Finspang. „Der Wert der Daten wird den der Hardware künftig übersteigen.“ Dafür legt der Konzern nun einen weiteren Grundstein und investiert 30 Millionen Euro in eine hochmoderne Produktionsstätte bei Materials Solutions Ltd., einem Spezialisten für die Additive Fertigung in Worcester in England. Ab September 2018 arbeiten dort 50 Personen an ebenso vielen 3D-Druck-Maschinen. Die Investition sei Teil der Siemens-Strategie zum Auf- und Ausbau eines globalen Geschäftes mit Dienstleistungen im Bereich der Additiven Fertigung für die Luft- und Raumfahrtindustrie, die Automobilindustrie, die Energieerzeugung sowie weitere Branchen. Das Unternehmen will vom Engineering bis zum Druck die komplette Lieferkette anbieten.

3D-Druck-Hubs sollen bald auf vielen Kontinenten entstehen und die schnelle Ersatzteilversorgung für Siemens-Produkte sicherstellen. Statt die Teile zu verschicken, verschicken die Ingenieure Daten, die erst dort zum physischen Produkt werden, wo der Kunde sitzt. Sogar mobile Druckstationen in Containern sind dabei eine Option.

Einen Schritt weiter geht 3Yourmind. Das Start-up, das vor drei Jahren an der TU Berlin gegründet wurde, bringt Druckaufträge mit 3D-Druck-Dienstleistern zusammen. Eine Software importiert CAD-Konstruktionsdaten und konvertiert sie in ein 3D-Druck-kompatibles Format. Dabei checkt die Software, ob sich der Entwurf mit dem gewünschten Material fertigen lässt. Anschließend erhält der Interessent eine Liste mit internen sowie optional externen Dienstleistern, die diesen Auftrag ausführen können, gleich mit dem jeweiligen Preis. Das Netzwerk-Prinzip ist auch für große Unternehmen, zum Beispiel Automobilhersteller, gedacht. „Die haben 3D-Drucker angeschafft, die aber oft nicht ausgelastet sind, weil die Mitarbeiter nicht wissen, wie sie diese nutzen können“, sagt Philipp Stelzer, Leiter für Vertrieb und Marketing. Die Software von 3Yourmind helfe dann bei der Aufbereitung der Daten und der Koordination der Prozesse.

Ideal ist das Angebot auch für Unternehmen, die keine eigenen 3D-Drucker vorhalten wollen. Das trifft zum Beispiel auf die Mitglieder der Rapid3D Initiative des Einkaufsbüros Deutscher Eisenhändler zu. Die greifen gerne auf den Service zurück, wenn sie Sonderanfertigungen für alte Maschinen liefern müssen. Da 3Yourmind Dienstleister weltweit einbindet, funktioniert das auch für Ersatzteile, die schnell in einem exotischen Land gebraucht werden. Was früher mit Fertigung und Versand viele Wochen bis Monate dauern konnte, benötigt mit On-Demand Manufacturing heute nur noch wenige Tage. „Liegt die Konstruktion digital vor, dauert es bis zum Druckauftrag nur drei Minuten“, so Stelzer.

Künftig sollen nicht nur Unternehmen von dem Service profitieren. Gemeinsam mit Sony hat 3Yourmind eine Version entwickelt, mit der man mit einem Sony-Smartphone eine Person einscannen kann, das ausgedruckte Selfie wird dann von dem schwedischen Logistikunternehmen Postnord ausgedruckt und versandt – als Geschenk oder Topping für die Geburtstagstorte.

(anwe)