Radar gegen Krebs

Im Kampf gegen Krebs gibt es eine neue Hoffnung: Dank neuer Techniken lassen sich die Erbgutspuren versteckter Herde im Blut nachweisen. Nun will Ex-Google-Manager Jeff Huber einen großen Traum der Tumormedizin wahrmachen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 15 Min.
Von
  • Birgit Herden
Inhaltsverzeichnis

Gäbe es ihren Mann Jeff nicht, die Geschichte von Laura Huber wäre eine von Hunderttausenden, die der Krebs schreibt: Als Laura sich abgeschlagen und ständig erschöpft fühlt, tippt ihr Arzt zunächst auf die beginnende Menopause.

Allerdings scheint die Diagnose nicht recht zu passen, daher unterzieht sich die 46-Jährige einer Koloskopie – die sportliche und bis dahin gesunde Mutter zweier Teenager befürchtet ein Reizdarmsyndrom oder eine entzündliche Darmerkrankung. Stattdessen finden die Ärzte ein zwei Zentimeter großes Geschwür, und im PET-Scan offenbart sich das ganze Ausmaß der Erkrankung: Der Krebs hat sich bereits in den Bauchraum ausgebreitet, die Leber befallen und auch Brustraum und Hals erreicht. Trotz bestmöglicher Therapie stirbt Laura Huber im November letzten Jahres, nur 18 Monate nach der Diagnose.

Nun macht sich ihr Mann Jeff daran, den Krebs an der Wurzel zu packen. Mit einem einfachen Bluttest will er Tumore so früh erkennen, dass eine Heilung in den meisten Fällen möglich ist. Und zwar bei jeder Art von Krebs, nicht nur im Darm. Was heute noch auf zahlreiche verschiedene Untersuchungen, auf Mammografie für die Brust, Stuhlproben für den Darm oder Abtasten der Prostata verteilt ist, könnte eines Tages auf eine simple Maßnahme zusammenschrumpfen: die Analyse eines Blutstropfens. Liquid Biopsy, flüssige Gewebeprobe, heißt die Technik daher.

Jeff Huber, bisher Senior Vice President von Google, leitet seit Kurzem das Unternehmen Grail, benannt nach dem sprichwörtlichen heiligen Gral. Illumina, das weltgrößte Unternehmen für Erbgutentschlüsselung, gründete es Anfang des Jahres in San Francisco. Grail verfügt über 100 Millionen Dollar Startkapital, mit Bill Gates und dem Venture Fonds von Amazon-Chef Jeff Bezos sind einige der angesehensten US-Investoren beteiligt. Bis 2019 soll der Bluttest verfügbar sein. "Wir hoffen, dass der heutige Tag ein Wendepunkt im Krieg gegen Krebs ist", sagte Jay Flatley, CEO von Illumina, anlässlich der Firmengründung.

Die Vision ist so groß wie der bisherigen Kampf gegen den Krebs ernüchternd: 45 Jahre nachdem Richard Nixon dem Krebs den Krieg erklärte, gleicht die Diagnose in vielen Fällen immer noch einem Todesurteil. Das traurige Schicksal von Laura Huber ist nur eines unter vielen Millionen weltweit. Allein in Deutschland erhalten jedes Jahr rund 500.000 Menschen die Diagnose Krebs, jeder Zweite wird daran sterben. Zu kompliziert und vielfältig ist die Krankheit, als dass Mediziner noch an eine einheitliche Heilung glauben. Die größte Hoffnung ist daher die Früherkennung. Aber bis heute ist sie entweder umständlich – wer will schon über drei Tage zu Hause Stuhlproben sammeln, um sie auf Darmkrebs analysieren zu lassen –, unzuverlässig oder sogar schädlich, weil ein Test viel zu oft falschen Alarm gibt. Manchmal ist sie sogar alles zusammen.

"Die Schwierigkeit besteht nicht nur darin, Krebs früh zu entdecken, sondern auch mit Sicherheit sagen zu können, dass dieses Wissen für die Patienten ein Vorteil ist", sagt J. Leonard Lichtenfeld von der American Cancer Society. "Ich kann gar nicht zählen, wie oft wir schon gesagt haben: 'Oh, wir müssen nur jeden Krebs früh finden, dann hätten wir das Problem gelöst.'" Auch Jay Flatley räumt ein: "In der Branche wimmelt es von Fehlschlägen. Bis auf wenige Ausnahmen waren alle bisherigen Screening-Tests eine Katastrophe."

Wird Grail besser sein? Die Grundlage der Methode bildet ein seit Jahrzehnten bekanntes Phänomen: Hat ein Mensch irgendwo im Körper einen Tumor, lösen sich von ihm immer wieder tote Zellen. Deren DNA zirkuliert noch einige Stunden im Blut. Sie wollen die Forscher aufspüren. Die Entwicklung in der Biotechnologie arbeitet dabei für das Unternehmen. Zu Hilfe kommen ihm neue machtvolle Sequenziertechniken, die selbst geringe DNA-Mengen im Blut finden. Mit der Methode des Next Generation Sequencing beispielsweise lassen sich Millionen von Genfragmenten gleichzeitig vervielfältigen und analysieren – und das mit Geräten, die nicht mehr größer als ein Kühlschrank sind. Gleichzeitig sind die Kosten dramatisch gesunken: Um das gesamte Genom eines Menschen zu entschlüsseln, sind gerade einmal 1000 Dollar nötig. Der Preis könnten sogar noch deutlich darunter liegen, meinen Insider – würde Illumina nicht sein Quasi-Monopol ausspielen.

Abseits der Krebstherapie hat der Ansatz bereits seine Macht gezeigt: Seit 2012 sind in Deutschland pränatale Tests verfügbar, um Erbgutfehler eines ungeborenen Kindes nachzuweisen. Ab der neunten Schwangerschaftswoche können Frauen durch eine einfache Blutprobe feststellen lassen, ob der heranwachsende Embryo beispielsweise am Down-Syndrom leidet. Der zu 99 Prozent zuverlässige Test leistet im Prinzip das Gleiche wie eine Fruchtwasseruntersuchung – allerdings einen Monat früher und ohne das Risiko einer Fehlgeburt. Obwohl noch keine Kassenleistung, wird der pränatale Bluttest in Deutschland bereits tausendfach genutzt.

Nun soll das Verfahren den weit komplizierteren Kampf gegen den Krebs voranbringen. Die Krankheit entsteht, wenn in einer der geschätzt 37 Trillionen Körperzellen Fehler beim Kopieren des Erbguts passieren. Die Zellen reagieren nicht mehr auf die Signale des Körpers, die ihr Wachstum kontrollieren sollen. Unbemerkt tickt im Körper eine Zeitbombe, bis schließlich ein gefährlicher Tumor entstanden ist. Je früher Mediziner ihn erkennen, umso besser sind die Heilungschancen. Seit einigen Jahren nun sind die Methoden weit genug vorangeschritten, um diese Suche auf ganz neue Weise angehen zu können.

Den Begriff Liquid Biopsy prägte der deutsche Krebsforscher Klaus Pantel, der sich schon seit zwei Jahrzenten mit der Frage beschäftigt, wie man rückfallgefährdete Brustkrebspatientinnen rechtzeitig therapieren kann. Die Möglichkeit einer Früherkennung beurteilt er zwar skeptisch, doch rein technisch hält er den Ansatz für machbar. "Auch ohne die physiologische Zusammenhänge zu verstehen, könnte man durch eine rein datengetriebene Fleißarbeit signifikante Korrelationen aufzeigen. Man braucht dafür allerdings große Investitionen und einen langen Atem." Reichlich Geld hat Jeff Huber nun. Und dass er einen langen Atem besitzt, hat er bereits einmal beweisen: Huber war der Kopf hinter dem Mammutprojekt Google Maps. Nach der Welt muss er nun also den Krebs überschaubar machen.

Dass die DNA-Biopsie im Prinzip funktioniert, zeigte Bert Vogelstein mit seinem Team an der Johns Hopkins University in Baltimore schon 2007. Damals stellte er ein Verfahren namens BEAMing vor. Die Erbgutfragmente binden an magnetische Partikel und bilden Milliarden mikroskopisch kleine Tröpfchen. Jedes dieser Tröpfchen bildet ein eigenes Reaktionsgefäß, in dem man die jeweiligen DNA-Moleküle vervielfältigen kann. Die entstehenden DNA-Partikel lassen sich anschließend auslesen. Mithilfe der Technik können bekannte Krebsmutationen im Blut nachgewiesen werden, selbst wenn sie mit der 10000-fachen Menge des nicht veränderten Gens aus gesunden Körperzellen vermischt sind.

In einer ersten Demonstration der Technik untersuchte das Vogelstein-Team das Blut von 18 Patienten, die aufgrund ihres fortgeschrittenen Darmkrebes operiert wurden. Die Menge an Tumor-DNA im Blut nahm nach der Operation schlagartig ab, doch bei den meisten Patienten ließen sich auch später noch geringe Mengen mutierter DNA nachweisen. Bei diesen brach bis auf eine Ausnahme der Krebs erneut aus. Dagegen erlitten die Patienten, deren Blut völlig frei von Tumor-DNA war, keinen Rückfall. Vor zwei Jahren präsentierte Vogelstein dann in Zusammenarbeit mit vielen anderen Gruppen Ergebnisse einer weit größeren Studie. Bei über 800 Patienten wiesen sie die Tumor-DNA bei einer Reihe von weiteren Krebsarten nach, darunter Dickdarm, Bauchspeicheldrüse, Blase, Haut, Magen, Speiseröhre, Leber.

Spätestens mit dieser Arbeit hat die Liquid Biopsy Goldgräberstimmung unter Krebsforschern ausgelöst. Wer die Nase vorn hat, kann auf einen gigantischen Markt hoffen: Die weltweiten Ausgaben für Krebsmedikamente haben 2014 erstmals die 100-Milliarden-Dollar-Marke überschritten. "Auf der ganzen Welt positionieren sich derzeit kleinere und große Firmen in der Hoffnung, dass sich die blutbasierte molekulare Krebsdiagnostik erfolgreich vermarkten lässt", sagt der Onkologe Edgar Dahl, der an der Uniklinik RWTH Aachen an Methoden der Liquid Biopsy beim Brustkrebs forscht. Ein eindeutiger klinischer Nutzen müsse zwar erst durch umfangreiche Studien nachgewiesen werden. Aber "die Entwicklung ist durchaus erfreulich".