Reisefreiheit für Avatare

Der geschlossene Dienst Second Life erfreut sich höchster Beliebtheit – und ist doch nur der Beginn einer viel bedeutenderen Entwicklung: Die Avatar-Spielplätze sind nur der erste Schritt zu einem Netz aus dreidimensionalen Räumen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 4 Min.

Wilde Online-Spielwelten wie World of Warcraft ebenso wie friedliche Internet-Umgebungen wie Second Life gibt es schon länger. Was es noch nicht gibt, ist eine direkte Verbindung zwischen ihnen, die Benutzern das Welten-Wechseln erlaubt – jeder Betreiber hat Welten mit eigenen Standards, Bedienungen und Regeln geschaffen. Die Situation ähnelt frappierend der in den frühen 1990er Jahren, als geschlossene Dienste wie AOL oder T-Online noch eine große Zukunft zu haben schienen, sich aber letztlich als bloße Zwischenstation auf dem Weg zum offenen World Wide Web erwiesen.

Ähnlich dürfte es auch jetzt wieder kommen: die Avatar-Spielplätze sind nur der erste Schritt zu einem Netz aus dreidimensionalen Räumen, die mit einem einheitlichen Betrachter („World-Browser“) und einem gleich bleibendem Avatar („Travatar“) durchwandert werden können.

Zunächst hat eine dominierende, privat betriebene Plattform wie Second Life durchaus ihren Charme. So wurde bei Second Life ein einheitliches Chat- und Zahlungssystem von vorneherein mit eingebaut. „Bei den virtuellen Welten hat man die Chance, die Fehler bei der Entwicklung des World Wide Webs zu vermeiden“, sagt Ansgar Schmidt, der im Böblinger IBM-Entwicklungszentrum am 3D-Internet forscht.

In dem Maße allerdings, in dem sich 3D-Welten zum ernsthaften Geschäft wandeln, gerät das Modell einer privat betriebenen Welt an seine Grenzen: Wer viel Zeit und Geld in sein virtuelles Anwesen investiert, ist ungern den einsamen Entscheidungen einer Softwarefirma ausgesetzt. Solange die Nutzer schlecht regierten Welten nicht einfach den Rücken kehren können, hat der Betreiber auch wenig Anreiz, viel Energie in eine gute Regierung zu stecken. Joshua Fairfield, Jura-Professor an der Universität von Indiana, hält deshalb die Reisefreiheit von Avataren für entscheidend für die Zukunft von virtuellen Welten: „Solange das nicht der Fall ist, werden wir kein neues Internet sehen.“ Und genau daran hakt es noch: „Die Betreiber wollen keine offene Standards, weil sie kein Interesse haben, dass ihre Nutzer die Welten wechseln können“, so Fairfield.

Doch Rettung naht. Fairfield glaubt, dass die erste Bresche in die Mauern zwischen den Welten bereits geschlagen wurde: „Wenn Menschen ihren Besitz in virtuellen Welten verkaufen können, dann können sie auch wechseln“. In der Tat herrscht in der Ebay-Kategorie 1654 („Internet Games“) ein reger Handel mit virtuellen Gütern gegen harte Euro oder Dollar. Damit sei der Damm zwischen den Welten gebrochen.

Mehrere technische Plattformen für dieses Avatar-Hopping stehen kurz vor der Marktreife – zum Beispiel Multiverse, OpenCroquet oder das deutsche Startup Stage Space mit Sitz in Karlsruhe. Bei all diesen Ansätzen können Avatare von Welt zu Welt wandern – aber nur, wenn der Betreiber der Welt dies erlaubt und die Welten auf der gleichen Plattform laufen. Für Multiverse-Mitgründer Corey Bridges sind solche Insellösungen ein notwendiger Zwischenschritt in Richtung universeller Browser für die 3D-Version des World Wide Web: „Ich rechne damit, dass frühestens nächstes Jahr ein offizielles Konsortium für Standards gegründet wird. Jetzt ist es dafür noch zu früh, wir brauchen noch etwas Offenheit, um Stärken und Schwächen der verschiedenen Ansätze bei der tatsächlichen Nutzung herauszufinden.“

Der TR-Fokus "3D-Internet" im Einzelnen :

Überblick: Reisefreiheit für Avatare

Interview: Lawrence Lessig über Software als Gesetz

Infografik: Die Computer-Infrastruktur hinter Second Life

Ökonomie: Virtuelles Geld in der echten Wirtschaft

Technik: Wie die 3D-Welten von morgen entstehen

Zusammenfassung aus der Print-Ausgabe 07/2007 von Technology Review. Die neue Ausgabe ist ab dem 28.6. am Kiosk zu haben. Das Heft kann man aber auch hier online portokostenfrei bestellen. (wst)