Retro-Ersatzteile: Knopfzellen, (Fake-)Chips und Böller

Seite 2: Gefährliche Sisyphusarbeit

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Egal, ob in Afrika oder in China: Arbeitskräfte kosten dort nichts. Eine Armee teils Selbstständiger sortiert die Müllberge und trennt die Materialien. Bilder aus dem chinesischen Guiyu zeigen, wie Menschen in notdürftig belüfteten Räumen Platinen erhitzen, um Chips abzuklopfen. Andere sortieren sie in Gefäße. Oft ist das Ziel, wertvolle Materialien zu extrahieren. Aber offenbar nicht nur: Bauteile, die heute nicht mehr hergestellt werden, aber gesucht werden, sind zu schade, um eingeschmolzen zu werden. Sie bringen mehr, wenn man sie wieder in den Wirtschaftskreislauf einspeist.

Jährlich landen hunderttausende Tonnen deutschen Elektroschrotts auf wilden Deponien in der Dritten Welt, beispielsweise im ghanaischen Agbogbloshie.

Bezahlen tun das die Menschen, die die Sisyphusarbeit leisten und dafür nur Brosamen erhalten, und das gleich doppelt: Sie ruinieren ihre Gesundheit und ihre Umgebung mit den Giften, die der recycelte Schrott hinterlässt – sei es beim Versuch, Rohstoffe daraus zurückzugewinnen, sie mit ungeeigneten Mitteln nur voneinander zu trennen oder auch nur irgendwie Herr über die übrigbleibenden Reste zu werden. Offenbar ändern auch die Beteuerungen der Regierungen der Länder, mehr für den Umweltschutz zu tun, herzlich wenig.

Bei allem Groll sollten sich Flippersammler und -bewahrer, Retronerds und Elektronik-Freaks darüber klar sein, aus welcher Schattenwirtschaft sie ihre Ersatzteile beziehen. Wer schlau ist, kauft nicht nur ein Bauteil aus solchen Quellen, sondern bestellt gleich mehrere baugleiche. So steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wenigstens eines der Bauteile funktioniert und man erkennt obendrein eher, um welche Art von Ware es sich handelt. Besser noch: Sie finden einen Verkäufer, der dazu steht, Gebrauchtteile anzubieten und sie nicht aufhübscht.

Wie Ulf-Michael und Rick berichten, kaschiert die aufgebrezelte Optik manchmal nicht nur Gebrauchtware. Mitunter erhalten sie auch Blindgänger: angesichts aktueller Chipknappheit gern Mikro-Controller, die sich nicht programmieren lassen. Mancher, der Blindgänger untersuchte, fand heraus, dass im Chipgehäuse zwar Anschlussstellen montiert waren, aber sich im Inneren nicht mal ein Chip befand. Noch schlimmer sind aber "Chinaböller", Bauteile die umetikettiert wurden, um höhere Kapazitäten oder größere Spannungseignung vorzutäuschen. Die gehen im Zweifelsfall hoch, wenn sie im Praxiseinsatz jenseits der eigentlichen Leistungsgrenzen betrieben werden.

Ulf-Michael testet deshalb diskrete Bauteile, die er auf seinen Platinen verbaut, zumindest stichprobenweise. Im Fall der Chips fällt das leider schwer, weil es nur wenig Testmöglichkeiten gibt. Auf sein Posting im Flipperforum kam aber etwas Bewegung in die Szene. Ein Kollege aus einem 8-Bit-Retroforum hatte ein Testsystem selbst entwickelt und die beiden sind in den Austausch gekommen, wie man das Gerät befähigen könnte, auch die für Flipper relevanten Bauteile zu testen. Die Platinen und Bauteile für das Testgerät kommen übrigens auch aus ... Sie wissen schon, oder?

Dieser Beitrag stammt aus c’t Retro 2021

Die c’t Retro 2021 liefert Lesestoff für lange Winterabende. Wir zeichnen den Weg der Notebooks vom schweren Ungetüm zum superschlanken Allrounder auf und beleuchten die Anfänge des Internet. Nostalgiker erfahren, wie sie alte Hardware wieder flott kriegen, und Fans alter Spiele, wie sich Klassiker auf aktuelle PCs transferieren lassen. Für die sagenumwobene Enigma haben wir eine Programmieranleitung in Python erstellt. Die c't-Retro-Ausgabe finden Sie ab dem 18. Oktober im Heise-Shop und am gut sortierten Zeitschriftenkiosk.

(ps)